Michael Schenk

Die Pferdelords 03 - Die Barbaren des Dünenlandes


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die See zu kochen schien. Weiße Gischt tobte über die

      Wellenkämme hinweg, und die »Sturmschwinge« wurde rasend schnell in die

      Höhe gehoben, nur um Augenblicke später wieder in eine bodenlose Tiefe zu

      stürzen. Lotaras und Leoryn waren derart beschäftigt, sich immer wieder

      festen Halt zu verschaffen, dass sie gar keine Zeit fanden, Übelkeit zu

      empfinden.

      Die Leinen und Taue summten unter der Spannung, und das Schiff schien

      zu ächzen, denn das prall gefüllte Segel trieb es unbarmherzig durch den

      Sturm, doch weder Herolas noch Gendrion machten Anstalten, die Fahrt zu

      verringern. Das erste Korsarenschiff war ihren Blicken entschwunden und das

      zweite, weitaus nähere, tauchte nur gelegentlich in ihrem Blickfeld auf. Es

      schien wie ein Korken auf den Wellen zu tanzen, aber Lotaras und Leoryn

      vermuteten, dass ihr Schiff von Ferne wohl denselben Anblick bot.

      Der Sturm umtoste sie, und so krampften sie ihre Hände in Handläufe und

      Leinen, um nur nicht über Bord gewirbelt zu werden. Lotaras sah, wie

      Gendrion eine kurze Leine nahm und sie um seinen Körper schlang, um sich

      mit ihr an der Heckreling anzubinden. Kapitän Herolas wies zu der kleinen

      Treppe hinüber, die ins Innere des Schiffes führte. »Unter Deck, Bruder und

      Schwester des Waldes. Es wird jetzt ein wenig lebhaft werden.«

      »Ich möchte sehen, was geschieht«, widersprach Leoryn.

      Herolas’ Gesicht verlor seine Freundlichkeit. »Unter Deck! Alle beide!

      Oder ich werfe euch eigenhändig hinunter.«

      Lotaras schaffte es, Leoryns Arm zu ergreifen, und versuchte gegen die

      Kraft des Sturmes anzubrüllen. »Hinunter mit dir, Schwester. Vertraue den

      See-Elfen. Sie wissen, was zu tun ist.«

      Er schob sie zur Treppe hinüber, hatte selber jedoch Mühe, Halt zu finden,

      und ächzte schmerzerfüllt, als ihn eine abrupte Bewegung des Pfeilschiffes

      gegen den Mast schleuderte. Er glaubte, seine Rippen brechen zu fühlen, und

      stieß seine Schwester fluchend den Treppenabgang hinunter. Im Innern der

      »Sturmschwinge« waren die Schiffsbewegungen zwar nicht angenehmer, aber

      man konnte wenigstens nicht über Bord gehen. Wer bei diesem Sturm ins

      Wasser stürzte, war dem Tode geweiht, für ihn würde es keine Rettung mehr

      geben.

      »Wir müssen reffen und das Segel kürzen«, ertönte Gendrions Ruf von

      Deck. »Die Leinen summen bereits. Sie werden reißen.«

      »Sie werden halten«, brüllte Herolas zurück.

      Lotaras und Leoryn wurden im Rumpf von einer Seite zur anderen

      geschleudert und schrien gemeinsam auf. Lotaras bemerkte verwirrt, dass

      seine Schwester Vergnügen an dem Abenteuer zu finden schien.

      »Sie werden reißen«, rief Gendrion erneut. »Lass sie uns kürzen, Kapitän.«

      »Dann stellt uns das Jagdschiff«, erwiderte Herolas. »Sie halten.«

      »Sie halten nicht!« Gendrions wütender Erwiderung folgte eine unflätige

      Bemerkung über Kapitäne, die erst lächerliche tausend Jahre zur See fuhren

      und keine Ahnung vom Meer hätten.

      Auf einmal hatte Lotaras das Gefühl, als würde er schweben. Es dauerte

      nur einen kurzen Augenblick, dann kam der harte Schlag, der ihm die Füße in

      den Schädel zu treiben schien. Er begriff, dass die »Sturmschwinge« in ein

      Wellental getaucht und dann wieder nach oben geworfen worden war. Ein

      Wasserschwall klatschte durch die offene Luke herein, und Leoryn schrie

      empört auf, als ihr weißgoldenes Haar durchnässt wurde. Das Pfeilschiff

      neigte sich zur Seite und wieder drang Wasser ins Schiff ein.

      Ein See-Elf der Besatzung erschien in der offenen Luke und blickte auf

      Lotaras und Leoryn herab. Dann schwang er sich mit einem Satz zu ihnen

      hinunter und prüfte den Wasserstand im Inneren des Schiffes. »Zwei

      Handbreit«, brüllte er an Deck hinauf.

      »Zu viel. Nimm die beiden Waldelfen und die Pumpe und schaffe es

      hinaus«, brüllte Herolas zurück.

      Der See-Elf sah die beiden Geschwister kurz an und stützte sich instinktiv

      ab, als das Schiff weit überholte und sich dann wieder zögernd aufrichtete,

      nur um sich sogleich zur anderen Seite zu neigen. Der Elf trat gegen eine der

      Stützstreben des Rumpfes, worauf neben der Stütze ein metallener Griff

      hervorklappte. Der Elf sah die Geschwister auffordernd an. »Auf und ab.

      Immer auf und ab.«

      Der See-Elf drückte den langen Hebel hoch und runter, und ein leises

      Schlürfen ertönte. Lotaras und Leoryn traten zu ihm und halfen ihm, die

      Pumpe zu betätigen, die nun irgendwo im Rumpf der »Sturmschwinge«

      arbeitete und das eindringende Wasser wieder nach draußen beförderte. Nach

      kurzer Zeit waren die Geschwister schweißgebadet. Aber das Pumpen hielt

      sie nicht nur warm, der Hebel verschaffte ihnen auch etwas Halt, wenn das

      Schiff den Bewegungen des Wassers folgte.

      »Gendrion, wir müssen das Segel kürzen«, brüllte Kapitän Herolas. »Die

      Leinen werden nicht halten!«

      »Sag ich doch«, erwiderte Gendrion lautstark, und Lotaras konnte förmlich

      das mürrische Gesicht des Steuermanns vor sich sehen.

      Dann gab es einen peitschenden Knall, der selbst das Tosen des Sturms

      übertönte. »Zu spät«, brummte der pumpende See-Elf lakonisch. »Herolas

      hätte auf Gendrion hören sollen.«

      »Kürzen«, brüllte Herolas mit Stentorstimme. »Refft das Segel, aber lasst

      uns Steuerdruck, sonst macht der Sturm mit uns, was er will. Rodas, schlag

      eine Ersatzleine an!«

      Eine Ersatzleine. Lotaras wusste nicht, welche der vier Leinen, die den

      Mast stabilisierten, gebrochen sein mochte, aber er schauderte bei dem

      Gedanken an die Aufgabe, vor der Rodas nun stand. Er musste eine neue

      Leine vom Mast aus zum Verankerungspunkt an Deck spannen. Aber mit nur