Jo Jansen

Nach(t)Klang


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Moment lang hoffte, sich verhört zu haben. Doch dann hämmerte sich das Echo der Worte immer lauter werdend in seinen Kopf. Oma ist tot. OMA IST TOT!

      Seine Oma – Omi hatte er immer zu ihr gesagt, die gestern noch die kleinen weißen Kekse für ihn gebacken hatte. Er hatte sich, wie immer, seit er kein kleiner Junge mehr war, zum Abschied zu ihr hinabgebeugt und sie vorsichtig gedrückt. Sie war ja so klein, seine Omi, so zerbrechlich, und sie roch immer nach diesem Oma-Parfüm. Daniel spürte, wie ihm die Tränen in die Augen schossen. Hätte er gestern geahnt, dass dieser Abschied endgültig sein sollte, er hätte seine Omi gar nicht mehr losgelassen.

      Die folgenden Tage fühlten sich für ihn an wie in Nebel gehüllt. Er fuhr jeden Tag mit dem Bus in die Firma, verrichtete seine Arbeit und fuhr am Abend wieder nach Hause. Doch er tat dies automatisch, wie ein gut programmierter Roboter, dem kein Fehler unterläuft. In seinem Kopf verwoben sich die Erinnerungen an seine Omi zu einem riesigen, bunten, lebendigen Bild, und er bemühte sich, jeden Zipfel davon festzuhalten.

      Die Testamentseröffnung war keine Überraschung. Omi hatte immer gesagt: „Mein Häuschen mit allem, was darin ist, erbt einmal der Daniel. Das ist alles, was ich ihm hinterlassen kann.“ Wie die Omi war das Häuschen ebenfalls klein, alt und wirkte zerbrechlich. Doch dieses Erbe riss Daniel aus seiner Lethargie. Er sagte zu seinen Eltern: „Ich zieh' in Omis Häuschen. Mein Lehrlingsgeld geb' ich dann eben für Mörtel und Farbe aus, statt für die Disco. Nach Feierabend und an den Wochenenden kann ich am Häuschen reparieren und sanieren, dass es der Omi auf ihrer Wolke ein Lächeln ins Gesicht zaubern wird!“

      So geschah es. Mit Musikanlage, ein paar Postern, seinen Karategürteln und einem Sack voll Klamotten zog Daniel um. Omis Häuschen lag in einer kleinen Gasse neben dem riesigen Einkaufszentrum, das vor fünf Jahren am Rande der Altstadt gebaut worden war. Für Daniel war das sehr praktisch. So hatte er Supermarkt, Dönerladen und alles, was er sonst noch benötigte, direkt vor der Haustür. Er begann voller Eifer, das Häuschen in Besitz zu nehmen. Die Zimmer waren klein, aber prall gefüllt mit den Erinnerungen, die er seit seiner Kindheit hier gesammelt hatte. Ein Hauch von Omis Parfüm Nonchalance hing noch in der Luft. Daniel fand, dass ihre selbst gehäkelten Deckchen sich durchaus mit seinen Heavy Metal Postern und Karategürteln vertrugen, die er an der Wand aufhängte. Die Dose mit den letzten Keksen, die seine Omi ihm gebacken hatte, bekam einen Ehrenplatz auf dem kleinen Tischchen neben dem Sofa. Jeden Abend öffnete Daniel den Deckel, schnupperte und gönnte sich genau einen seiner Lieblingskekse. Sie waren hell, knusprig und schmeckten ganz leicht nach Zitrone. Am Wochenende öffnete er alle Fenster, drehte seine Musikanlage voll auf und begann, auszusortieren was alt, kaputt und unbrauchbar war. Dabei lächelte er so manches Mal versonnen. Seine Omi! Wenn sie eine kaputte Glühbirne auswechseln musste, hatte sie diese hinterher in die Schachtel der neuen Lampe gesteckt und im Keller gelagert. Daniels Erbe enthielt siebzehn kaputte Glühbirnen. Außerdem gefühlt an die tausend Plastikblumentöpfe, geflochtene Bastkörbchen, wiederverwendbare Einkaufstüten und Keksdosen. Ja, die Omi war in einer Zeit groß geworden, als man alles noch irgendwie gebrauchen konnte. Daniel sah es ihr nach und entsorgte alles bis auf die Keksdosen. Darin fand er ab und zu noch ein Krümelchen seiner Lieblingskekse.

      Der Brief von der Bank sah ganz harmlos aus. Daniel, als Erbe der verstorbenen Frau Elsa Dankert, wurde zu einem Gespräch gebeten. Dort eröffnete man dem ahnungslosen jungen Mann, dass er mit dem Haus auch die darauf lastende Hypothek von fünfundsiebzigtausend Euro geerbt hatte, und fragte ihn, wie er diese Schulden abzahlen wolle.

      „Junger Mann, selbst wenn Sie im nächsten Jahr die Lehre beenden, sehe ich schwarz“, bedauerte der Bankberater. „Für die Kreditraten wird es nicht reichen und damit ist eine Zwangsversteigerung unvermeidlich.“

      Traurig kehrte Daniel ins Häuschen zurück, das schon bald nicht mehr seins sein würde.

      „Ach Omi, was hast Du nur mit dem Geld gemacht?“, fragte er, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte und sein Blick auf den zerschlissenen Teppich im Flur fiel. Der Hauch von Nonchalance hing immer noch in der Luft und gab ihm das Gefühl, seine Omi wäre noch hier.

      Am nächsten Morgen wurde Daniel unsanft aus dem Schlaf gerissen. Jemand klingelte Sturm an der Haustür, und während Daniel sich noch verwundert die Augen rieb ob dieser frühen Störung am Samstagmorgen, gesellte sich dem Klingeln ein Klopfen hinzu. Daniel schlurfte zur Tür, öffnete sie und sah hinab auf einen kleinen dicken, geschniegelten Mann mit Schlips und Anzug. Versicherungsvertreter war Daniels erster Gedanke. Vorsicht! Sein zweiter. Der kleine Mann grinste breit von einem Ohr zum anderen und ließ dabei einen Goldzahn aufblitzen.

      „Gestatten? Jakob Grimm, Immobilienmakler.“ Dabei schnellte seine kleine dicke Hand nach vorn und blieb auffordernd vor Daniel in der Luft hängen, sodass dieser sich genötigt sah, die Hand zu ergreifen und zum Gruß zu schütteln. Die Hand fühlte sich an wie einer dieser Einweggummihandschuhe, die Daniel als Kind mit Wasser gefüllt und zugebunden vom Balkon auf die Straße geworfen hatte. Wie diese „Wasserbomben“ war die Hand dick und schwabbelig und Daniel beeilte sich, die Schüttelei zu beenden.

      „Was möchten Sie?“, fragte er höflich.

      „Das sollten wir lieber drinnen besprechen“, meinte Jakob Grimm und drängte sich mit einer Behändigkeit an Daniel vorbei, die dieser ihm gar nicht zugetraut hätte. Im nächsten Moment saß der ungebetene Gast bereits im Wohnzimmer auf Omis altem Plüschsofa und sah erwartungsvoll zu Daniel auf, der ihm schlurfend gefolgt war.

      „Bei mir ist ihr Immobilienverkauf in besten Händen“, verkündete der kleine Mann fröhlich und ließ wieder seinen Goldzahn aufblitzen. Daniel grinste nun ebenfalls, weil er bei Erwähnung der Hände automatisch wieder an die Wasserbomben denken musste.

      „Wie kommen Sie darauf, dass ich eine Immobilie verkaufen möchte?“

      „Nun, ich habe so meine Quellen.“ Auch der Goldzahn grinste wieder. Im nächsten Moment zuckte er zusammen, verzog das Gesicht und rieb sich die Speckröllchen über der rechten Hüfte, als ob er dort Schmerzen hätte. Dann kehrte das Grinsen in sein Gesicht zurück.

      „Mal ganz unter uns“, dabei senkte er die Stimme und machte eine weit ausholende Geste.

      „Die Bruchbude hier kann nur jemand mit richtig viel Geld wieder flott machen. Aua!“ Wieder griff er sich in die Seite und knetete seinen eigenen Speck, das Gesicht schmerzverzerrt.

      „Tut mir leid, das muss die Galle sein“, entschuldigte er sich und sah sich dabei suchend im Zimmer um.

      „Ich mach schon mal ein paar Fotos fürs Exposé.“ Mit diesen Worten zog er eine kleine Digitalkamera aus der linken Jackettasche.

      „Ah. Aua.“ Er ließ die Kamera aufs Sofa plumpsen, griff nun auch mit der linken Hand seine rechte Seite und massierte sich selbst dort beidhändig. Sein Blick flatterte zwischen Daniel und der Tür unruhig hin und her.

      „Ich geh' wohl doch erst mal zum Arzt.“ Jakob Grimm sprang auf, schnappte sich seine Kamera und huschte genauso schnell zur Haustür, wie er hereingekommen war.

      „Ich melde mich.“ Das klang gepresst und gar nicht mehr fröhlich. Rums! Die Haustür fiel ins Schloss und es war wieder still und friedlich im Haus.

      Daniel schüttelte den Kopf. Was war das denn eben? Sein Blick fiel auf das Sofa und bleib dort hängen. Eine Kuhle zeigte an, wo eben noch der seltsame Makler gesessen hatte. Doch rechts daneben war eine zweite Kuhle und in der Mitte, zwischen den beiden Vertiefungen, lagen ein paar Krümel, die Daniel bekannt vorkamen. Er stand auf, nahm ein paar Krümel zwischen die Finger, zerrieb sie, roch daran und steckte sie am Ende in den Mund. Tatsächlich – Krümel von Omis Keksen! Dabei hatte er gestern erst das Sofa mit dem Staubsauger abgesaugt.

      Am Nachmittag beriet Daniel sich mit seinen Eltern. Sie waren ebenfalls sehr erstaunt über die Schulden der Omi und hielten einen Verkauf des Hauses für die einzige Lösung.

      „Du weißt, Papa und ich, wir haben auch nie viel verdient und kaum Ersparnisse. Wir können dir nicht helfen, den Kredit zu bezahlen“, bedauerte die Mutter.

      „Ich