Francine F. Winter

Filmstars küsst man nicht


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sagte Monique lächelnd. „Ist etwas nicht in Ordnung?“

      „Allerdings!“, herrschte Sam sie an. „Die Vorführung ist heute Vormittag! Wir brauchen das Material jetzt!“

      „Aber ... aber warum? Ich habe Julie doch gesagt, dass es heute Nachmittag ...“

      „Das haben Sie nicht“, unterbrach Julie sie. „Wir sprachen gestern über das Material zu `Rodeo Drive´.“

      Sam wurde selten laut, aber jetzt riss ihm der Geduldsfaden: „Das heißt also, wir haben hier Material zu all unseren Filmen, nur nicht zu dem, der als erstes vorgeführt wird? So etwas darf einfach nicht passieren!“ Er begann im Raum auf und ab zu laufen. „Julie, kümmere dich darum! Ich fahre ins Kino und empfange die Journalisten.“

      Julie griff zum Telefonhörer. „Wie ist die Nummer der Druckerei?“

      Monique blätterte umständlich in den unordentlichen Papieren auf ihrem Schreibtisch. „Moment, ich habe es gleich ...“

      Sam und Julie tauschten einen genervten Blick. „Ich verlass mich auf dich“, sagte Sam und warf die Tür hinter sich zu.

      Jerome Chauvet stand in seinem Zimmer im vierten Stock des Carlton-Hotels und inspizierte den Kleiderschrank. Heute war die erste Pressevorführung von „Morning Light“ und er musste sich zusammen mit dem Regisseur und der Hauptdarstellerin auf der Bühne zeigen, bevor es nachmittags mit den Interviews losging.

      Er hasste solche Veranstaltungen. Viel lieber saß er in seinem Tonstudio und komponierte oder hielt sich im Freien auf, irgendwo, wo es ruhig war, am liebsten zwischen seinen Weinstöcken. Vor Kameras zu posieren und mit Journalisten zu reden, war nichts für ihn. Aber das gehörte halt zum Geschäft.

      Jerome nahm einen hellen Leinenanzug und ein T-Shirt aus dem Schrank. Während er sich anzog, dachte er an Julie Griscom. Die Pressefrau des Filmverleihs würde natürlich im Kino und bei den Interviews dabei sein. Er sah wieder ihre zarte Erscheinung vor sich, ihr wunderschönes Gesicht mit den strahlend grünen Augen und spürte plötzlich eine starke Sehnsucht. Es war lange her, dass eine Frau ihn so beeindruckt hatte, wie diese Engländerin es tat. Seit der Sache mit Ella war das nie mehr passiert ...

      Julies Finger trommelten nervös auf der Schreibtischplatte. Sie hatte bereits mehrmals mit der Druckerei telefoniert, wo man ihr jedes Mal mitteilte, dass das Material fristgemäß am Nachmittag geliefert würde. Schneller würde es auf keinen Fall gehen und der Chef wäre gerade nicht da. Beim vierten Versuch hatte Julie die Nase voll: „Ich muss jetzt sofort ihren Chef sprechen! Es ist sehr wichtig! Es geht ums Festival!“

      Die Angestellte weigerte sich, die Handynummer herauszugeben, aber nach einigem Hin und Her erwähnte sie, in welchem Café der Chef normalerweise sein Frühstück einnahm.

      Julie warf den Hörer auf die Gabel. „Ich fahr da jetzt hin. Monique, bestellen Sie mir ein Taxi!“

      Eine halbe Stunde später fand Julie Monsieur Paret auf der Terrasse eines kleinen Cafés, wo er gemütlich seinen Espresso schlürfte und Zeitung las. Julie machte ihm schnell klar, worum es ging.

      Monsieur Paret zückte sein Handy und rief in der Druckerei an. „In einer Stunde sind die Sachen fertig“, sagte er schließlich. „Reicht Ihnen das, Mademoiselle?“

      „Das ist gerade noch rechtzeitig, ich danke Ihnen!“, sagte Julie. „Dann können wir das Material nach der Vorführung verteilen.“

      „Woher sprechen Sie so ein gutes Französisch?“ Monsieur Paret machte dem Kellner ein Zeichen, ihm noch einen Espresso zu bringen.

      „Ich habe als Schülerin an einem Frankreich-Austausch teilgenommen“, erklärte Julie. „Mit dem französischen Mädchen von damals bin ich noch immer befreundet. Ich werde sie nach dem Festival besuchen.“

      „Das ist schön, très bien.“ Monsieur Paret schüttelte ihr zum Abschied die Hand.

      Julie stieg in das wartende Taxi, ließ sich zum Palais des Festivals fahren und hastete die Treppen hinauf. Der Film lief schon, aber sie hatte ihn ja bereits gesehen. Sie setzte sich leise auf einen Platz ganz am Rand und schaute sich um. Der große Kinosaal war nur spärlich besetzt, aber das war zu erwarten gewesen, „Morning Light“ war eben keine der Hauptattraktionen. Sie lehnte sich zurück und genoss eine Weile die wunderbare Filmmusik von Jerome Chauvet, die leidenschaftliche Gefühle heraufbeschwor, manchmal melancholisch war, leise und dann wieder sehr kraftvoll.

      Julie lauschte wie verzaubert. Dann gab sie sich einen Ruck. Sie war nicht hier, um rumzusitzen. Sie musste hinter die Bühne, nachsehen, ob die Mitwirkenden da waren, um sich nach der Vorführung zu verbeugen und ein paar Worte zu sprechen. Sie stand leise auf und tastete sich durch die Dunkelheit zum Ausgang.

      „Alles in Ordnung, Chef!“, sagte sie zu Sam Cole, als sie den Raum hinter der Bühne des großen Kinosaales gefunden hatte. „Der Drucker liefert die Hefte in spätestens einer halben Stunde.“

      Sams besorgte Miene entspannte sich etwas. „Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann, gut gemacht!“ Er ließ sich auf eines der Sofas fallen. Der Raum war halb Garderobe, halb Aufenthaltsraum. Es gab ein paar Sofas und Sessel, einen großen Garderobenständer und mehrere Schminkplätze.

      „Wo sind unsere Leute?“, fragte Julie.

      „Die kommen hoffentlich gleich.“ Sam fuhr sich durch die silbergesträhnten Haare. „Machst du die Ansage auf der Bühne?“

      „Ich?“ Vor einer größeren Gruppe von Menschen zu sprechen, gehörte nicht zu Julies Lieblingstätigkeiten, aber eben manchmal zum Job. „Ja, natürlich ...“

      „Wunderbar!“, Sam zückte schon wieder sein Handy und wählte eine Nummer.

      Es klopfte.

      „Entrez!“, rief Julie.

      „Bonjour!“ Das war der drahtige Regisseur von „Morning Light“ mit Jerome Chauvet im Schlepptau.

      „Bonjour Messieurs!“, begrüßte Julie die beiden. „Dann fehlt nur noch unsere Hauptdarstellerin.“

      „Vielleicht hat sie sich verlaufen“, meinte Jerome und musterte Julie mit ernstem Gesicht.

      „Das kann sein“, sagte Julie, die sich unter dem eindringlichen Blick unwohl fühlte. Dieser Mann hatte irgend etwas an sich, das sie nicht einordnen konnte. „Es ist gar nicht so einfach, diesen Raum hier zu finden, wenn man sich nicht auskennt. Ich gehe mal zum Eingang. Ich muss mich sowieso noch um eine Lieferung kümmern.“ Sie machte dem telefonierenden Sam ein Zeichen. Der verstand und nickte.

      Julie ging durch die langen Gänge zurück zur Eingangshalle und tatsächlich sah sie dort die junge Schauspielerin, die aufgeregt auf einen älteren Mann einredete, der verständnislos mit den Schultern zuckte.

      „Wissen Sie ... Savez-vous? Der Raum ... äh, wie sagt man ... La ... chambre ... ach verflixt!“

      „Hallo, ich bin hier, alles wird gut!“, sagte Julie lächelnd.

      „Oh, Miss Griscom! Sie schickt der Himmel!“, sagte die junge Frau erleichtert.

      „Bitte warten Sie hier einen kleinen Moment. Ich muss kurz nach einer Lieferung schauen.“ Julie lief weiter zu den Eingangstüren und sah draußen den Wagen der Druckerei und einen Mitarbeiter, der Kartons auf eine Sackkarre lud.

      „Ach wunderbar, dass das geklappt hat! Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Weg.“

      „Dann sind wir ja soweit“, sagte Sam, als alle beisammen waren. „Der Film ist gleich zu Ende. Julie wird Sie ankündigen, sie gehen nacheinander auf die Bühne, jeder sagt ein paar Worte darüber, wie die Mitarbeit am Film für ihn gewesen ist und fertig. Den Rest können die Journalisten heute Nachmittag bei den Interviews erfahren.“

      Julie war jetzt etwas nervös und legte sich in Gedanken ein paar Worte zurecht. Sie spürte wieder den Blick des Komponisten auf sich und sah ihn an. Der Ausdruck in seinen dunklen Augen wirkte leicht spöttisch. Oder