Clochard Raade

Das wundersame Leben des Justin Hoppa


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      "Oder das Militär", fügte Herr Maxwell Clayton hinzu.

      "Nein", rief Frau Strowbarry, die sich plötzlich an Justins alten Freund erinnerte, lauf zu Herrn Braun, Maxwell, und bitte ihn, er möge unverzüglich hierherkommen. Renne, eine Mütze brauchst du nicht."

      Ohne Zeit zu verlieren, stürzte Maxwell fort.

      Justin wehrt sich

      Maxwell Clayton rannte ohne Aufenthalt zum Armenhaus, wo er atemlos ankam. Nachdem er sich einige Minuten an der Tür ausgeruht hatte, setzte er eine klägliche Miene auf und klopfte dann laut an das Pförtchen. Nachdem man ihm geöffnet hatte, schrie Maxwell in ängstlichem Tone:

      "Herr Braun, Herr Braun!" Dieser eilte herbei.

      "Ach, Herr Braun!" rief Maxwell, "Justin hat - - "

      "Was, - doch nicht etwa weggelaufen?"

      "Nein, Herr, weggelaufen ist er nicht, aber ganz bösartig ist er geworden. Er hat mich umbringen wollen, und dann wollte er auch Giltine und die Meisterin ermorden. Es war ganz schrecklich."

      Maxwell fing laut zu heulen an. Der Herr mit der grünen Weste ging gerade über den Hof; er trat auf Braun zu und fragte, was mit dem Jungen los sei.

      "Es ist ein Junge aus der Armenschule", entgegnete Herr Braun, "der von dem jungen Hoppa beinahe ermordet worden wäre, jawohl, Herr."

      "Donnerwetter", rief der Herr, "habe ich es nicht gesagt? Ich hatte immer das Gefühl, dass Justin Hoppa mal gehängt werden würde."

      "Er wollte auch die Köchin umbringen", fuhr Herr Braun bleichen Gesichts fort.

      "Und die Meisterin auch", fügte Maxwell hinzu.

      "Und den Meister ebenfalls -, so, sagtest du doch, Maxwell?" ergänzte Herr Braun.

      "Nein, der war ausgegangen, sonst würde er ihn auch ermordet haben. Er sagte aber, er wolle -"

      "So, sagte er das wirklich, er wolle", fragte der Herr mit der grünen Weste.

      "Ja, Herr!" erwiderte Maxwell, "und die Meisterin wünscht zu wissen, ob Herr Braun Zeit hat, hinüberzukommen und Justin durchzuprügeln. Der Meister ist nämlich nicht zu Hause."

      "Gewiss, mein Junge, gewiss!" sagte der Herr und streichelte Maxwells Kopf. "Du bist ein guter Junge. Hier hast du einen Schilling. Gehen Sie schnell mit Ihrem Stock zu Strowbarrys und schonen Sie Justin Hoppa nicht."

      "Gewiss nicht, Herr", sagte Braun und holte dann seinen Hut. Er begab sich in aller Eile, soweit es sich mit seiner Würde vertrug, zur Werkstatt des Leichenbestatters. Hier hatte sich der Stand der Dinge nicht geändert. Da Justin fortfuhr, mit unverminderter Kraft gegen die Kellertür zu stoßen, daher hielt es Herr Braun für klug, erst zu verhandeln, bevor er die Tür öffnete. Er rief deshalb durchs Schlüsselloch:

      "Justin!"

      "lassen Sie mich raus", erwiderte dieser von innen.

      "Kennst du meine Stimme?" fragte Herr Braun.

      "Und du fürchtest dich nicht, Junge? Zitterst nicht?"

      "Nein!"

      Eine solche Antwort hatte Herr Braun nicht erwartet. Er war baff.

      "Wissen Sie, Herr Braun sagte Frau Strowbarry, der Junge muss verrückt sein, sonst würde er es nicht wagen, so mit Ihnen zu sprechen."

      "Das ist nicht Verrücktheit", entgegnete Herr Braun nach einigen Augenblicken tiefen Nachdenkens, "das ist das Fleisch."

      "Was für Fleisch?" fragte die Meisterin.

      "Jawohl, das Fleisch. Sie haben ihn überfüttert. Daher kommt diese störrische Seele und der Geist des Widerspruchs, die für einen Menschen in seiner Lage nicht passen. Was haben überhaupt Arme mit Seele und Geist zu schaffen. Es ist genug, dass wir ihren Körper leben lassen. Hätten Sie dem Bengel nichts als Haferschleim gegeben, so wäre so etwas nie vorgefallen." In diesem Augenblick kam Herr Strowbarry nach Hause, und man erzählte ihm Justins Verbrechen mit so viel Übertreibungen, dass er in einen mächtigen Zorn geriet. Er schloss die Kellertür im Nu auf und packte Justin beim Kragen.

      "Du bist mir ja ein nettes Bürschchen", brüllte der Meister und gab ihm ein paar Ohrfeigen.

      "Maxwell beleidigte meine Mutter", erwiderte Justin trotzig.

      "Wenn schon, du Strolch", schrie die Meisterin. "Sie. Hat es verdient und noch viel mehr."

      "Sie hat es nicht verdient", entgegnete Justin.

      "Doch", geiferte Frau Strowbarry.

      "Das ist eine Lüge", schrie der Junge.

      Frau Strowbarry brach in einen Strom von Tränen aus, und dies ließ dem Meister keine Wahl. Er musste seine teure Gattin zufriedenstellen, und so prügelte er denn, wenn auch ungern, den armen Jungen in einer Weise durch, die Herrn Brauns nachträgliche Anwendung des Amtsstockes eigentlich unnötig machte. Dann wurde Justin bei Wasser und Brot wieder eingeschlossen und durfte spät am Abend unter den Sticheleien Maxwells und Giltines sein trauriges Bett bei den Särgen aufsuchen.Als Justin in der düsteren Werkstätte allein war, ließ er seinen Gefühlen freien Lauf. Er hatte die Schmähungen mit Verachtung angehört und jede Misshandlung ohne einen Schmerzenslaut hingenommen. Hier aber, wo ihn niemand sehen konnte, fiel er auf die Knie, verbarg sein Gesicht in den Händen und weinte heiße Tränen. Lange blieb Justin in dieser Stellung. Als er wieder aufstand, war das Licht fast heruntergebrannt. Er horchte und entfernte dann leise die Riegel von der Tür. Er sah hinaus. Es war eine kalte, finstere Nacht. Kein Lüftchen wehte. Er schloss leise wieder die Tür, dann band er seine wenigen Kleidungsstücke mit einem Taschentuch zusammen und erwartete den Morgen auf einer Bank. Als die Sonne aufging, öffnete er aufs neue die Tür, sah sich scheu um und drückte sie dann hinter sich ins schloss. Auf der Straße sah er sich nach rechts und links um, unschlüssig, wohin er fliehen sollte. Schließlich nahm er den Weg, der bergan führte, und bemerkte nach kurzer Zeit, dass er ganz nahe der Anstalt war, wo er seine ersten Kinderjahre zugebracht hatte. Er langte bei dem Hause an. Niemand schien zu dieser frühen Stunde in demselben wach zu sein. Justin blieb stehen und guckte durch das Gartengitter. Ein Kind jätete eben auf einem Beete Unkraut aus. Als es sein blasses Gesicht erhob, erkannte Justin die Züge eines seiner früheren Kameraden.

      "Pst, Joe!" rief Justin, und der Junge lief ans Tor und streckte seine dünnen Ärmchen zum Gruß durch das

      Gitter. "Ist niemand auf, Joe?"

      "Außer mir, keiner", entgegnete der Junge.

      "Hör mal, du darfst nicht sagen, dass du mich gesehen hast, Joe", sprach Justin. "Ich bin weggelaufen. Man hat mich geschlagen und schrecklich misshandelt. Ich will jetzt mein Glück in der Fremde versuchen. - Du siehst aber blass aus, Joe."

      "Ich hörte, wie der Doktor sagte, ich müsste sterben", sagte Joe mit einem schwachen Lächeln. "Ach, wie ich mich freue, dich wiedergesehen zu haben, Justin, aber halt dich nicht auf. Eile."

      "Erst sage ich dir jedoch Lebewohl", entgegnete Justin. Ich werde dich wiedersehen, Joe; ganz gewiss. Du wirst noch gesund und glücklich werden."

      "Das hoffe ich auch, wenn ich einmal tot bin, früher nicht. Ich fühle, dass der Doktor recht hat, denn ich träume soviel vom Himmel und von Engeln und freundlichen Gesichtern, die ich nie sehe, wenn ich wach bin. Küsse mich", sagte. der Kleine, indem er an dem niedrigen Tore emporkletterte und seine Ärmchen um Justins Nacken schlang. "Lebewohl, lieber Justin! Gott segne dich!"

      Es war der Segenswunsch eines kleinen Kindes, aber es war der erste, den Justin je über sein Haupt herabrufen hörte. Er vergaß ihn nie in allen Kämpfen, Mühen und Leiden seines späteren Lebens.

      Justin geht nach London

      Bis Mittag wanderte Justin, ohne zu rasten, die Landstraße entlang. Der Meilenstein, an dem er jetzt wagte auszuruhen, sagte ihm, - dass er noch hundert Kilometer von London entfernt