Kim Mevo

Zerbrochene Seelen


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selbst vier Wochen wie eine ewig lange Zeit.

      Zuvor war Jona zu ihrem Zimmer gekommen. Als sie auf sein Klopfen nicht geantwortet hatte, stellte er ihr stumm einen Teller mit zwei Broten ins Zimmer und ging wieder. Doch er hatte sie nicht mal eines weiteren Blickes gewürdigt. Sie hatte gesagt, sie würde nichts essen, und dann tat sie es auch nicht. Sie brauchte ihr Beileid nicht. Sie brauchte niemanden von ihnen. Bahira und Landon hatten Carly nur zu deutlich gezeigt, dass sie hier fehl am Platz war. Dass sie hier war, war Zeitverschwendung.

      Stumme Tränen rannen über ihr Gesicht. Wieder wünschte sie sich, die Nacht rückgängig machen zu können, in der ihre Mutter gestorben war. Carly wünschte, sie hätte ihre Mutter niemals angerufen. Wäre selbst gefahren. Und wenn sie selbst gestorben wäre, alles, nur ihre Mom sollte wieder da sein und leben. Ob sie Tod wäre, oder mit ihrer Mutter an ihrer Seite, dann müsste sie sich dem hier zumindest nicht aussetzen. Carly wusste das ihr eine harte Zeit bevor stehen würde. Und sie würde nicht zum ersten und zum letzten Mal darüber nachdenken, ihre Sachen zu packen und den nächsten Flughafen auszusuchen.

      Sie hatte sich sogar schon Pläne gemacht, wie es weiter gehen sollte. Zu ihrem Vater würde sie nicht mehr gehen. Nie wieder. Er würde sie bloß zurück bringen wollen. Sie wäre seinem, noch schlimmer enttäuschtem Blick, ausgeliefert. Schlimmer als der, der ihr signalisierte, dass sie an allem Schuld war. Daran das ihre Mom Tod war. Nein, es würde schlimmer werden und sich mit der Anklage vermischen, dass sie seinen Ruf ruiniert hatte. Der, der ihm so unglaublich wichtig war. Wichtiger als seine eigene Tochter.

      Als Carly etwas an ihrem Fenster klicken hörte, erschreckte sie sich und horchte auf. Dann klickte es erneut. Langsam legte sie den Block und den Stift beiseite und stand auf. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Fenster und schob den Vorhang zur Seite. Unten im Schatten der Bäume stand eine schwarze Gestalt. Sie winkte Carly zu. Vorsichtig öffnete sie das Fenster.

      „Carly!“ Rief der Schatten Carly flüsternd zu.

      Nun erkannte sie die dunkle Gestalt und runzelte verwirrt die Stirn. „Was machst du hier?“

      „Dich besuchen.“ Tate kicherte. „Komm runter.“

      Carly sah sich etwas bang um. „Dürfen wir das denn?“

      Tate lachte. „Seit wann hältst du dich denn an Regeln?“

      Carly schürzte die Lippen. Wo er recht hatte.

      Sie nickte. „Warte da!“

      Schnell machte sie das Fenster wieder zu und schlüpfte in ihre Schuhe. Nach dem ersten Schritt dachte sie darüber nach und zog sie wieder aus. Auf Schuhen würde sie sicher mehr Lärm machen und alle wecken. Also schlich sie auf Socken die Treppe herunter und blieb nach jedem zweiten oder dritten Schritt stehen und lauschte. Sie war erleichtert dass die Stufen nicht aus Holz waren. Das hatte es ihr in ihrem Haus damals schon schwer gemacht, sich raus zu schleichen. Besonders, wenn ihr Vater im Haus war. Er hatte Ohren wie ein Luchs. Hoffentlich war das bei den anderen Bewohnern des Hauses anders.

      Als sie endlich die Haustür erreicht hatte, legte sie langsam die Hand auf die Türklinke. Innerlich betete sie, dass sie niemand bemerkte und dass auch Tate zuvor niemand außer ihr gehört, oder gesehen hatte. Ganz vorsichtig öffnete sie die Tür und trat hinaus. Sie lehnte die Tür nur an, damit sie später wieder rein kam. Dann sah sie sich um. Vielleicht etwas spät, dachte sie. Also ein Geheimagent könnte sie wohl so nie werden.

      Schnell huschte sie zur Hausecke. Kräftige Hände packten sie und rissen sie in den Schatten. Gerade als sie erschrocken auf keuchen wollte, presste Tate seine Hand auf ihren Mund. Mit der anderen signalisierte er ihr, keinen Mucks zu machen und sah vorsichtig über die Straße. Dann atmete er auf und nahm Carly in den Arm.

      Seine Hand strich beruhigend und tröstend über ihren Rücken und zum ersten Mal seit Wochen, fühlte sich Carly aufgefangen, geborgen. Tate nahm sie so in den Arm, wie er es früher immer getan hatte, wenn es Carly schlecht ging. Er hielt sie fest und gab ihr ein stummes Versprechen. Das bald alles wieder gut werden würde. Carly kämpfte mit den Tränen.

      Doch dann löste er sich und deutete über den Rasen. „Komm mit. Wir gehen wo anders hin.“

      Carly ließ sich von ihm über den Rasen führen und folgte ihm ein paar gewundene Straßen entlang, bis sie das Ufer eines Flusses erreichten. Dort gingen sie noch eine Weile, ehe sich Tate an einen Baum setzte. Er sah Carly erwartungsvoll an. Dann zog er rasch seine Jacke aus, breitete sie neben sich aus und klopfte darauf. „Komm, setzt dich.“ Er redete wieder in normaler Lautstärke. Weit und breit waren keine Wohnhäuser, oder Wohnungen zu sehen. Sie waren wohl in Sicherheit und Carly ließ sich entspannt neben ihn sinken.

      Erneut legte Tate den Arm um sie und zog sie an sich. „Ich war heute Mittag gar nicht dazu gekommen, dich richtig zu begrüßen. Major Sergeant... ähm, Dad, hätte das sicher nicht so gerne gesehen.“

      Carly sah Tate überrascht an. „Musst ihn hier so nennen? Ich meine, bei seinem Dienstgrad?“

      Tate nickte glucksend. „Ja, bescheuert, was?“

      „Ja, ziemlich. Dann muss ich das wohl demnächst auch tun.“

      Tate seufzte. „Ja, ja. All diese Regeln. Ist ziemlich viel, woran man sich gewöhnen muss, was? Sie haben die Pflicht, alle Ranghöheren Mitglieder des Militärs bei Rangnamen und mit entsprechender Geste zu begrüßen.“

      Das hatte er wohl aus dem dicken Packen des Regelwerks zitiert, doch Carly war sich nicht sicher. Schließlich hatte sie es nicht gelesen. Sie zuckte bloß mit den Schultern.

      „Ja, ziemlich viel.“

      Nun war es ihr vor Tate irgendwie unangenehm, es nicht gelesen zu haben. Sie fühlte sich dumm und kindisch. Zu stur. Tat streichelte mit der Hand über ihren Oberarm, so als habe er Sorge, sie könnte frieren.

      „Wie geht es dir?“

      Carly sah zu ihm auf und schürzte die Lippen. Sie konnte ihm keine ehrliche Antwort geben. Ihm nicht erklären, wie beschissen sie es hier fand, etwas das er so gerne mochte. Er war so stolz gewesen, damals, als sie sich auf dem Geburtstag wieder gesehen hatten. Er hatte von fast nichts anderem erzählt.

      Tate legte den Kopf zur Seite und sah zu Boden. „Das mit deiner Mom... es ist furchtbar. Sie war toll.“

      Carlys Brust zog sich zusammen. Wieder spürte sie diese innere Barriere in sich. Die, die sie daran hinderte darüber zu sprechen.

      „Ich weiß noch, wie sie uns immer Kekse gebacken hat, wenn ich bei euch zum Spielen war.“ Tate lächelte traurig.

      Carly antwortete nicht. Tate schien zu spüren, dass sie nicht bereit war, darüber zu sprechen. Also wechselte er das Thema.

      „Mit welchem Fachgebiet wirst du anfangen? Weißt du das schon?“

      Carly nickte. „US Army“

      „Cool.“ Er nickte. „Aber besser sind die Marines. Da hat man viel mehr Möglichkeiten.“ Da fiel Carl wieder etwas ein, das Laurena zuvor gesagt hatte.

      „Muss ich dazu etwas Bestimmtes absolvieren?“ Sie sah Tate neugierig an.

      Tate runzelte die Stirn. „Absolvieren?“ „Ja. Laurena sagte eben so was. Dazu bräuchte man etwas, bevor man das macht. Und Landon sagte, das würde ich dann dort machen.“ „Ach so.“ Tate seufzte. „Einen Waffenschein. Allerdings vorerst einen kleinen. Sie dürfen uns noch nicht alles zeigen. Schutzgesetz und so.“

      „Einen Waffenschein?“ Carly sah Tate ungläubig an. „Ich soll schießen?“

      Tate grunzte. „Keine Sorge. Nur auf Zielscheiben. Ist alles noch ziemlich harmlos. Und bei USM werden sie euch die Waffen bloß vorführen.“ „Wo ist der Unterschied?“ „Bei USM ist eine größere Waffenvielfalt gegeben. Sind zum Teil wesentlich kraftvoller.“

      Carly nickte. „Wofür hast du dich damals entschieden?“

      Tate zog die Lippen kraus. „DEA oder Marines.“

      Carly sah