Walter Kowarik

Mein Freund hat ein Boot in Venedig


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zum Lido erreichen, und die fährt nur alle zwei Stunden.

      Manchmal ist aber die Zeit noch knapper als gewöhnlich, und Sabine hat oft auch gar keine. Dann fliegt Hans bisweilen auch allein nur fürs Wochenende rasch hierher.

      Jedes Mal aber genießen sie die Stadt und dass sie nicht aus dem Koffer leben müssen, sondern quasi „nach Hause“ kommen, auch wenn sie sich manchmal über die erheblichen Kosten beklagen, die solch eine Wohnung in Venedig mit sich bringt. Und ab und zu laden sie sich Freunde wie uns für einige Tage ein.

      Die Wohnung ist hell und trocken, wir besichtigen sie und ziehen ein.

      2 „Unsere“ Wohnung

      Rasch gewöhnen wir uns an die hier gebotenen Annehmlichkeiten. Es gibt Steinfußböden, die, wie wir merken, selbst im heißen Sommer kühl sind, Markisen vor den Fenstern, die auf venezianische Art konstruiert sind, also über das ganze Fenster reichen und am unteren Ende durch Stangen weg gespreizt werden. Das ganze Fenster liegt somit im Schatten und die Sonnenstrahlung bleibt draußen, wobei die Luft aber dennoch zirkulieren kann.

      Die Wohnung besitzt Dusche und Bad, Fernsehen mit Satellitenempfang, Telefon und Internetanschluss und ist groß genug, dass in einem der Räume ein Gästebett aufgestellt werden kann. Das tun wir denn auch gemeinsam mit unseren Freunden, richten uns soweit häuslich ein und bereiten uns auf den ersten Bummel vor.

      Dabei entdecken wir gleich weitere Vorzüge: Es gibt gleich ums Eck ein Geschäft mit Gebäck und Käse, ferner auch eine Trafik. Wir schlendern über den wunderschönen Platz, den wir auch schon von den Wohnzimmerfenstern aus sehen konnten, und genießen das Flair dieser faszinierenden Stadt.

      Allerdings gibt es, wie wir im Lauf der Tage merken, an diesem Ort auch Dinge, die man gemeinsam mit den Annehmlichkeiten eben auch in Kauf nehmen muss: Eine Kirche auf dem wunderschönen Platz vor dem Haus mit dem dazu gehörenden Läuten der Glocken zu den unmöglichsten Zeiten, zwei sich kreuzende Kanäle mit Stoßzeit für die Motorboote ab fünf Uhr früh direkt vor den offenen Fenstern, das Wasser, das nur sehr langsam aus den Armaturen fließt, und die Markisen, die spätestens jeden zweiten Tag kaputt gehen. Die Konstruktion ist zwar genial, aber auf venezianische Art zart und filigran ausgeführt, dadurch verbiegen sich die Schrauben oder brechen ab, und die Stangen fallen bisweilen aus dem Fenster und damit ins Wasser.

      Jedenfalls machen die Markisen laufende Reparaturarbeiten erforderlich, die uns eigentlich fast täglich beschäftigen. Denn erstens ist es schon keine Kleinigkeit, in Venedig die richtigen Schrauben aufzutreiben. Und zweitens ist das vorhandene Werkzeug nicht unbedingt passend. Und drittens sorgt der Versuch, mit aus dem Fenster gelehntem Oberkörper kleine verbogene Schrauben aus den Löchern in den Verstrebungsstangen zu ziehen, immer wieder für lustige Einlagen. Das trübe Wasser des Kanals übt eine starke Anziehungskraft auf das ohnedies rare Werkzeug aus, und die verbogenen Schrauben haben die Tendenz, erst gar nicht, dann aber heimtückisch mit einem Ruck aus den Löchern zu springen und einen selbst dem Absturz nahe zu bringen. So haben wir täglich zusätzliche kleine Abenteuer und müssen uns auch immer wieder mit dem Auftreiben von Ersatzteilen und Ersatzwerkzeug beschäftigen.

      In der Früh werden wir heftig geweckt – es klingt, wie wenn ein Motorboot quer durchs Zimmer fährt. Bei offenen Fenstern an einer Kreuzung von Kanälen zu wohnen, wo ab fünf Uhr früh der Verkehr so richtig loslegt (ich erwähnte es bereits), ist eine Herausforderung für alle, die nicht bereits um 21 Uhr im Bett liegen. Der Verkehr ist in den meisten Kanälen durchaus belebt, da ja alles übers Wasser transportiert werden muss, und die Geräusche werden in den engen Kanälen durch Reflexion an den Gebäuden so verstärkt, dass man nicht lärmempfindlich sondern besser schwerhörig sein sollte. Oder man stopft sich Gehörschutzstöpsel in die Ohren.

      Unausgeschlafen und mürrisch vom unsanften Wecken erweisen sich Dusche und Bad ebenfalls nicht als ganz so komfortabel wie gedacht – ich werde noch darauf zurück kommen.

      Trotzdem, die Wohnung ist super, gut gelegen, recht nahe an San Marco und an Arsenale, nicht direkt im touristischen Zentrum und doch in bester Ausgangsposition für die Stadt.

      Als weiteren Komfort bietet ein Digitalklaviers die Möglichkeit künstlerischer Betätigung, und der Hausherr, der Johann Sebastian Bach zu seinem Lieblingskomponisten erwählt hat, spielt vortrefflich eine Fuge nach der anderen. Mein Können als Amateur, der sich gerne in der Art der Bar-Pianospieler an vielerlei Melodien erfreut, ist zwar bescheidener, dennoch gefällt mir mein Spiel und es macht mir Spaß. Auf Wunsch würde ich durchaus auch – für andere unhörbar – mit Kopfhörern spielen, diese Bitte wird jedoch nicht geäußert. Vielleicht fürchten meine Zuhörer, dass es noch nerviger sei, statt der Melodien nur mehr das Klappern meiner Fingernägel auf den Tasten zu hören.

      Außerdem gibt es noch eine Yogamatte, die als Unterlage zur Übung von Körper und Geist dient. Hier betreibt Miriam ihr Yoga, sie macht am Morgen ihre Asanas und erzählt jedem, wie angenehm und gesund das sei.

      Dass auch ich einiges an Yoga beherrschen würde, ruft vorerst nur ungläubige Bemerkungen von Miriam hervor. Erst als ich mich im Lotossitz niederlasse und anschließend einen perfekten Kopfstand ausführe, glaubt man mir meine Befähigung zu Meditation und Asanas. Es ist hier wirklich auch höchst angebracht, die Meditationskünste zu pflegen, um die innere Ruhe zu stärken. Denn so kann man vielleicht lernen, die vielen Stechmücken zu vergessen, die nach unserem Blut lechzten.

      Wir haben zwar Gelsenstecker, die ihre Angriffslust etwas reduzieren, aber bei offenen Fenstern – und wenn man die Fenster geschlossen hält, kommt man wirklich um – gibt es immer wieder liebe Tiere, die es trotzdem bis zur nackten Haut schaffen. Man gewöhnt sich nicht daran, und selbst die Begeisterung über die außergewöhnlichen Leistungen der Insekten – wie sie ihre Beute riechen und ansteuern, wie sie fliegen und wie rasch sie ausweichen können, wenn man sie zu ermorden versucht – macht das Jucken nicht erträglicher.

      Die vielen Insekten erinnern mich an ein unvergessliches Erlebnis zu Hause:

      Hirschkäfer

      In unserem Garten gibt es natürlich auch Stechmücken, Bienen, Wespen, ja sogar wunderschöne Libellen, die unsere Katze bisweilen zu jagen versucht. Weiters brummen Rosenkäfer immer wieder durch die Luft, und an Hummeln ist ebenso kein Mangel. Aber etwas ganz Besonderes konnte ich an einem lauen Sommerabend beobachten: Hirschkäfer.

      Diese Tiere, mehrere kleinere Weibchen von vielleicht 5 cm Größe und größere Männchen von 6-10 cm Größe, mit beachtlichen Zangen versehen, krabbelten in einem Winkel des Gartens nahe unserer Terrasse unter einem Rosenbusch umher, kletterten teilweise auch langsam an diesem Strauch empor – und flogen. Das hatte ich noch nie gesehen! Die Dämmerung brach herein, da erhoben sich diese Riesenkäfer, denen man kaum zutrauen würde, sich anders als sehr behäbig kriechend fortzubewegen, in die Luft. Mit leisem Gesumm – kaum lauter, als ein Rosenkäfer – zogen sie hoch hinauf und weit dahin, nicht plump, sondern elegant und scheinbar mühelos. Die großen Käfer stehen dabei fast senkrecht in der Luft, der schwere Hinterleib hängt sozusagen herab, während ihre Flügel schlagen und die Tiere dabei auf schöne Geschwindigkeiten beschleunigen. Auch haben sie offenbar keinesfalls die Not, bald wieder Boden unter die Füße zu bekommen, sie fliegen souverän und anhaltend – unglaublich.

      Dass Nachbarn, auf die Käfer aufmerksam gemacht, nur Abscheu zeigten, hat mich sehr verblüfft. Ich als Techniker kann diese Tiere nur bewundern und bin fasziniert von der Fähigkeit scheinbar so plumper Tiere, sich in die Luft erheben zu können und einen Rundflug zu absolvieren –