Walter Kowarik

Mein Freund hat ein Boot in Venedig


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verschlagen hat, ist mir bis heute unbegreiflich. Laut Lexikon ernähren sie sich von Eichensaft, der hier allerdings weit und breit nicht zur Verfügung steht.

      Leider ist es mir bisher nur an jeweils einem Tag in zwei aufeinanderfolgenden Jahren geglückt, dieses Schauspiel zu beobachten – seither aber nicht mehr wieder. Es mag am Wetter gelegen sein oder daran, dass ich natürlich nicht täglich daheim sein kann, um Tiere zu beobachten. Vielleicht ist es der Hochzeitsflug der Käfer, vielleicht fliegen sie tatsächlich nur einmal pro Jahr, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es ein beeindruckendes Erlebnis war, und dass ich hoffe, irgendwann wieder einmal meine Frau rufen zu können: „Komm schnell – die Hirschkäfer fliegen wieder!“

      Orientierung

      Wir begeben uns auf unsere ersten Erkundigungen und suchen uns Markierungspunkte, um in der Stadt zu navigieren.

      Venedig, das sind über 100 Inseln im Meer, und wenn auch der Hauptkern von Venedig nicht groß ist, so ist er doch zu Beginn durchaus schwierig zu überblicken. Die vielen kleinsten Gässchen, die Menge an Kanälen, wo teilweise Gehsteige an den Häuserfronten entlang führen, teilweise aber die Fassaden direkt ans Wasser grenzen, und die über 300 Brücken verwirren Nicht-Einheimische oft beträchtlich.

      Trotzdem kann man sich in weiten Bereichen einfach orientieren und zurecht finden, denn einige wichtige Punkte geben die notwendigen Orientierungshilfen.

      Ein solcher Orientierungspunkt ist der Piazzale Roma (P.le Roma oder P. Roma), der Busbahnhof. Er liegt wie der Bahnhof (Ferrovia) am Ende des Dammes, der die Inselstadt mit dem Festland, mit der Stadt Mestre, verbindet. Hier kommt man an, wenn man zur Anreise den Zug wählt, aber auch, wenn man mit dem Auto kommt oder mit dem Bus vom Flughafen.

      Der Canal Grande, der sich S-förmig durch die Stadt schlängelt, verbindet P. Roma mit San Marco.

      Weitere Fixpunkte sind die Brücken über den Canal Grande: Die Brücke Ponte degli Scalzi beim Hauptbahnhof S. Lucia, Rialto mitten im Zentrum der Stadt und Academia, kurz vor dem südlichen Ende des Canal Grande.

      Man wird im Zentrum, wenn man auf den Touristen-Wegen unterwegs ist, an Häuserecken immer wieder Pfeile mit der Aufschrift „Rialto“ bzw. „San Marco“ finden – dann weiß man, dass die Richtung stimmt.

      Die Hausnummerierung wird einem wie erwähnt Rätsel aufgeben, da sie keineswegs, wie man es von den meisten anderen Städten gewohnt ist, systematisch erscheint. Ein Suchen nach einer Adresse bleibt so eine meist unlösbare Aufgabe.

      Aber die Wohnung unserer Freunde hatten wir ja durch ihre genaue Wegbeschreibung bereits gefunden – und damit gebe ich Ihnen auch gleich eine Empfehlung: Lassen Sie sich genau beschreiben, bei welcher Haltestelle Sie aussteigen und welche Wege Sie nehmen müssen. Sonst irren Sie womöglich zwischen Rialto und San Marco hin und her, bis ich Sie zufällig bei einem meiner nächsten Venedig-Aufenthalte dort treffe.

      Die Hühnerleberwurst

      Bei der Rückkehr sitzt vor dem Haus eine rote Katze, die sich einen kleinen Fisch aus dem Kanal geangelt hat und diesen nun genüsslich verzehrt.

      Als wir nach kurzer Zeit nochmals vorbei kommen, sind nur noch ein paar Gräten und ein kleiner feuchter Fleck übrig – den Fisch hat sie ratzeputz aufgefressen.

      Diese Katze war bereits die dritte, die ich seit unserer Ankunft gesehen habe. Sie hat es eigentlich fein, auch wenn es sicher nicht ganz einfach für sie ist, bei dieser Menge an Katzen in Venedig genügend Futter zu finden oder zu erbetteln. Doch der Fisch war wenigstens „echt“.

      Wenn man hingegen bei gekauftem Fertig-Katzenfutter die Inhaltsstoffe betrachtet, dann wundert man sich, denn die Zusammensetzung sieht etwas seltsam aus. Lesen Sie doch selbst einmal nach! Ich habe hier eine durchaus nicht billige Tiernahrung vor mir, worauf z.B. steht: Menü mit Kalb: ...Kalb mindestens 4%... Auch bei Menü mit Huhn sieht es genauso aus – mindestens 4% Huhn. Und der Rest? ... Der ist Schweigen.

      Da denke ich an die Geschichte, die uns mein Großvater erzählte.

      Ein Mann kam zum Fleischhauer und sah in der Vitrine eine hübsch hergerichtete Wurst, das Schild daran wies sie als „Feinste Hühnerleberwurst“ aus.

      Er fragte den Fleischhauer, woraus denn die Wurst gemacht sei. Nun, aus Hühnerleber natürlich.

      „Nur aus Hühnerleber?“

      „Hm, das nicht gerade. Stellen Sie sich vor, wie viele Hühner ihr Leben lassen müssten, für so ein Stück Wurst.“

      „Was ist denn noch drin?“

      „Nun, es ist auch Hühnerfleisch verarbeitet.“

      „Und was noch?“

      „Tja, um ehrlich zu sein, es ist auch Pferdefleisch dabei.“

      „Pferdefleisch? Wie viel davon?“

      „Nun ja, so 1:1 gemischt.“

      „1 kg Huhn und 1 kg Pferd?“

      „Nein: 1 Huhn – 1 Pferd.“

      So ähnlich sehen wohl auch die Rezepturen der Tiernahrungserzeuger aus – siehe oben.

      Wir gehen weiter und sehen auf unseren Spaziergängen immer wieder Katzen. Man erzählt ja die Geschichte, dass Venedig die Befreiung von der Pest den Katzen verdankt, die erfolgreich die vielen Ratten bekämpften, als diese mit pestverseuchten Flöhen diese gefährliche Krankheit in die Stadt trugen.

      Die vielen Katzen in Venedig erinnern mich auch an...

      Die tote Katze

      Das ist eine an sich traurige Geschichte, die Bekannte uns erzählten. Ihre Katze verstarb, und sie trauerten sehr. Viele Jahre lang hatte das liebe Tier sie begleitet, hatte versucht, sie zurückzuhalten, wenn sie weggehen wollten, sie freudig begrüßt, wenn sie heim kamen. Große Dankbarkeit für ihre Fürsorge hatte es ihnen gegeben, viele schöne und auch spaßige Stunden beschert.

      Jetzt war die Katze nicht mehr, und unsere Freunde standen vor einem Problem: Wohin mit diesem lieben toten Tier mitten in einer Großstadt?

      Ein Anruf beim Bezirksamt ergab: Die einzigen Möglichkeiten waren Abgabe beim Tierarzt oder in der Tierkörperverwertung – scheußlich für sie, auch nur daran zu denken. So beschlossen sie, die Katze – gegen jede Vorschrift – im Wald am Stadtrand selbst zu begraben.

      Unsere Bekannten suchten eine geeignete Verpackung, fanden den Karton des kürzlich gekauften Video Recorders und legten die Katze behutsam hinein. Mit der Schachtel und einem Plastiksack, in dem sich eine kleine Schaufel befand, brachen sie auf und fuhren ein Stück mit der Straßenbahn. Nach dem Umsteigen in die U-Bahn fanden sie einen Sitzplatz nahe einem Einstieg und legten die Video Recorder-Schachtel auf ihre Knie.

      Der Zug stand in einer Station, der Fahrer hatte soeben über Lautsprecher aufgefordert, nicht mehr zuzusteigen, als plötzlich ein junger Mann, der schräg hinter ihnen gestanden war, die Schachtel packte, aus dem Zug sprang und davon lief. Die Türen schlossen sich. Der Zug fuhr an.

      Niemand im Wagen konnte begreifen, warum die so Beraubten plötzlich schallend lachen mussten.

      Obwohl es natürlich eine traurige Geschichte ist, dass sie das Grab ihrer Katze nun leider nicht kennen.