Walter Kowarik

Mein Freund hat ein Boot in Venedig


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wir sind ja in Venedig, da gibt es keine Straßenbahn und keine U-Bahn. Statt dessen fahren Vaporetti und viele andere Boote, und auch unser Freund Hans hat glücklicherweise selbst ein eigenes Motorboot.

      3 Das Boot

      Es ist keine Yacht, kein großes Boot, eigentlich ein Sportboot mit Motor, 5 m lang, für maximal vier Personen zugelassen, und so mit uns fünf, die wir nun hier sind, mit Hans, Sabine, Miriam, meiner Frau Hannah und mit mir, reichlich beladen. Der Außenbordmotor ist drehbar gelagert, mittels Seilzügen mit dem Steuerrad verbunden (wodurch er auch zum Lenken des Bootes dient) und so schwach, dass man das Boot ohne Führerschein fahren darf.

      Wir starten einen ersten Ausflug. Hans fährt uns auf seinem Boot durch die Kanäle, wir bestaunen die Paläste, genießen die romantische Stimmung in dieser herrlichen Kulisse von grandiosen Bauwerken und träumen vor uns hin. Es stellt sich ein tranceartiger Zustand ein, zusammengesetzt aus dem Versinken in den Bildern einer tollen Ausstellung, dem Schweben in der Musik eines Konzerts und dem Dösen am Strand in der Sonne.

      Aber das ist natürlich nur der verkürzte Mittelteil unserer Ausfahrt. Davor geht es ans Boot holen. Das liegt nicht im Kanal vor der Wohnung, da die Liegeplätze dort alle verkauft sind. Es ist zwar nichts beschildert, und niemand, den man fragt, weiß, welcher Platz wem gehört, aber jeder erklärt einem, dass nichts frei ist. So liegt das Boot in einer Bootsgarage und Hans läuft erst einmal 20 Minuten dorthin. Dann wird das Boot mit einem Kran ins Wasser gelassen, und Hans fährt es zu seiner Wohnung. Insgesamt 45 Minuten dauert es somit, bis er an einer nahen Stiege kurz anlegen kann, damit wir zusteigen können.

      Die Kanäle sind teilweise sehr eng, oft muss bei Gegenverkehr ein Boot in einer Lücke zwischen anderen Booten einparken oder gar zurücksetzen. Obwohl die meisten Bootsführer von Kind an mit Booten umzugehen verstehen und meist wirklich gut und gefühlvoll steuern, sind die Fender – Puffer in Form von luftgefüllten Plastikpölstern, die außen an den Booten hängen – keinesfalls überflüssig. Und da bei den häufigen Rempeleien auch die gar nicht billigen Fender arg in Mitleidenschaft gezogen werden, werden an ihrer Stelle oft auch einfache Plastikflaschen verwendet.

      So tuckern wir durch die kleinen Kanäle und bewundern die Stadt. Anlegen ist allerdings nicht möglich, darum fahren wir zum Lido hinüber, tanken dort bei einer der Tankstellen, wobei Hans murrt, dass der Motor offensichtlich sehr durstig ist, und am Lido finden wir auch ein nettes Plätzchen, wo hoffentlich niemand böse ist, wenn wir unser Boot dort anbinden. Dann machen wir uns einen schönen Tag am Strand.

      Sonnenschirme und Liegen kosten Unsummen, aber der Strand ist sehr schön und gepflegt, wir genießen so richtig Sonne und Schatten, Sand und Meer.

      Am Abend geht es dann wieder zurück, und nach einigen Umwegen zu interessanten Kanälen, Gärten und Hausansichten lässt uns Hans bei unserer Wohnung aussteigen und bringt das Boot wieder in die Garage zurück. Er ist ein guter Chauffeur und ein Kenner der Umgebung, und so haben wir bereits in kurzer Zeit eine ganze Menge in Venedig gesehen. Das bisschen Ungemach, das mit einem Boot hier verbunden ist, trifft eigentlich nur Hans, wir aber genießen die Erlebnisse und neu gewonnenen Eindrücke.

      Die Brille

      An einem der nächsten Tage ist wieder Lido mit Baden angesagt. Wir packen unsere Badesachen und lassen uns von Hans zum Lido überstellen.

      Am Abend dann, als wir zum Boot zurückkommen, gibt es eine Überraschung: Es ist nicht mehr da. Wir sind aber ganz sicher, wir hatten es hier angebunden. Der Knoten, den Hans benutzt hatte, war zwar kein seemännischer gewesen, aber es war doch auch kein „Simmeringer Zeitstek“ gewesen, der sich nach fünf Minuten von selbst öffnet, sondern eher ein Knoten von der Art, die nur mit Mühe wieder zu lösen ist.

      Unser Blick, der die Gegend absucht, erhascht das Boot alsbald – immerhin, es ist nicht gestohlen, sondern nur abgehängt und verlagert worden. Nun ist es 30 Meter weiter an einem anderen Platz angelegt, möglicherweise ist unser Liegeplatz von seinem Eigentümer beansprucht worden, und er hat unser Boot entfernt.

      Das Boot ist also da, jedoch ist es nicht ganz so leicht zu besteigen. Das hängt damit zusammen, dass die Pfähle, an denen es befestigt ist, zum Ufer gut einen Meter Abstand haben, und es keinen Landungssteg gibt, der den Spalt überbrückt. Nach kurzer Überlegung wagt Hans den „Sprung“ – mit einem Riesenschritt steigt er auf den Rand des Bootes und umarmt dabei einen der Pfähle. Er schwankt ein wenig, dann hört man einen nur halb unterdrückten Fluch, für den der Grund allerdings vom Ufer aus nicht zu erkennen ist.

      Kurz darauf startet Hans sein Boot und holt uns bei einer nahen Stiege ab. Er hat eine kleine Beule an der Stirn, aber den wahren Grund für seinen Aufschrei erfahren wir erst abends im Restaurant, als er uns beim Versuch, die Speisekarte zu lesen, seine zerstörte Lesebrille zeigt. Er hatte sie in seiner Brusttasche aufbewahrt, als er mit Schwung den Pfahl umarmte. Die Brille war futuristisch in Teile zerfallen – sozusagen von einem Designerstück zu einem echten Kunstwerk mutiert.

      So kann – gerade in Venedig – ein einziger Schritt leicht tausend Euro kosten. Ganz zu schweigen von einem Fehltritt.

      Das Brett

      Immer wieder findet man Pfähle, die wegen des nicht senkrechten Ufers etwas vom Ufer abgesetzt eingeschlagen sind – damit gibt es Wasser zwischen dem Ufer und dem Boot, und dieses überbrückt man elegant mit einer Gangway.

      Eine Gangway – so sie denn vorhanden ist – hat aber bisweilen auch etwas Tückisches. Gangway – welch hochtrabendes Wort. Was hat man auf einem Fünfmeterboot schon für eine Gangway? Es ist einfach ein Brett.

      Hans hatte für Verhältnisse, wie oben beschrieben, auf seinem Boot solch ein Brett mit.

      Eines Tages, als Hans zum Boot zurück kam, hatte jemand sein Brett dringend benötigt und mitgenommen. Nett aber, wie man in Venedig ist, hatte man für einen gewissen Ersatz gesorgt: Ein anderes Brett lag nun an Stelle des vorigen – allerdings war es 30 cm kürzer. Es reichte an dieser Stelle auch durchaus, da der Abstand zum Ufer hier gering war. Aber in Venedig gibt es genügend Stellen, wo ein längeres Brett empfehlenswert ist.

      Einige Tage später legt Hans wieder an und das Brett reicht gerade eben ans Ufer. Als er das Boot verlässt, fürs Restaurant elegant gekleidet, weißes Hemd, Maßschuhe, Handy in der Hand, da rutscht das Brett vom glitschigen Ufer ab – und Hans geht baden. Er verflucht Italien, Venedig, Italiener, Bretter und Boote, setzt sich dann noch triefend nass und mit Schlamm überzogen in das seine und fährt heim. An diesem Abend ist mit ihm nicht mehr zu sprechen.

      Jedenfalls hat er seither gar keine Gangway mehr, sondern borgt sich bei Bedarf eine von einem Nachbarboot.

      Wasser im Boot

      Wir kommen zum Boot zurück und trauen unseren Augen nicht. Ja, es hat zwischendurch ein Gewitter gegeben, es hat geregnet und wir hatten keine Persenning, diese Hülle über dem Boot, befestigt. Aber so viel Wasser? Das Boot ist voll, voll mit Wasser.

      Nun ist Schöpfen angesagt. Haben Sie schon einmal ein Boot ausgeschöpft? So viel Wasser passt nicht einmal in ein Schwimmbecken, denkt man.

      Zudem ist man natürlich nass, schon bevor man so richtig beginnt, aber irgendwie wird man immer nässer – auch wenn das sprachlich falsch ist und technisch unmöglich