Stefan Bergheim

Zukünfte – Offen für Vielfalt


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Labs“ in Dubai und Dublin durchgeführt, das „Global Futures Literacy Design Forum“ in Paris mit kuratiert und 2020 den „High-Level Futures Literacy Summit“ vorbereitet. Die Einblicke und Erfahrungen aus dieser Zusammenarbeit finden sich im Buch in hoffentlich leicht verständlichem Deutsch wieder.

      Basis – Werkzeuge – Anwendungen

      Das Buch bietet in seinen drei Abschnitten zunächst grundsätzliche Überlegungen, dann konkrete Werkzeuge und Methoden und zum Schluss meine eigenen Erfahrungen aus größeren Zukunftsprozessen. Wer besonders an diesen praktischen Erfahrungen und Ergebnissen interessiert ist, springe zu den Kapiteln 16 bis 19 und kann sich später den etwas theoretischeren Kapiteln 1 bis 5 zuwenden.

      Wer nützliche Werkzeuge für den Umgang mit eigenen Zukunftsthemen sucht, beginne im mittleren Teil ab Kapitel 6 und schaue dann rechts oder links davon. Und natürlich kann man das Buch auch in der hier aufgeschriebenen Abfolge lesen: Theorie, Werkzeuge, Anwendung. Jedes Kapitel ist in sich abgeschlossen und erfordert keine Kenntnisse der früheren Kapitel. Es endet mit konkreten Ideen für nächste Schritte der Leser, damit sie ihre eigene Zukünftebildung aktiv stärken können.

      Mein großer Dank gilt allen Menschen, die meinen Zukünfteweg in den letzten 15 Jahren geprägt und begleitet haben, die die Prozesse und Studien durch ihr Engagement ermöglicht haben, die mich in ihre Prozesse und Veranstaltungen eingeladen haben, mit denen ich diskutieren durfte, von denen ich lernen durfte, die mit ihren Empfehlungen meine Bibliothek anwachsen ließen, die kritisch hinterfragten. Einige dieser Menschen werden in diesem Buch erwähnt. Ich entschuldige mich bei allen, die nicht namentlich genannt werden.

Zukünfte - Offen für Vielfal

      1 Miteinander reden – der Dialog

Zukünfte - Offen für Vielfal

      Ein graues Telefon mit Drehscheibe, dick umwickelt mit einer Mullbinde. Ein Kassettenspieler, ebenfalls umwickelt, sodass die Töne nur noch schwer zu hören sind. So stellt die Künstlerin Barbara Meisner die Schwierigkeiten der Kommunikation in ihrer Kindheit dar. Über viele wichtige Themen wurde in ihrer Familie und ganz allgemein in Deutschland kaum gesprochen. Dazu gehören die traumatischen Erfahrungen der geburtenstarken Jahrgänge um 1940. Sie erlebten als kleine Kinder Krieg, Hunger, Tod, Flucht und Vertreibung in zerbombten Städten, auf dem Land oder auf endlosen Wanderungen in Richtung Westen. Nach dem Krieg prägten die Kriegskinder mit diesen schrecklichen Erfahrungen Deutschland. Sie bauten Institutionen der Sicherheit und Stabilität auf, für die wir alle dankbar sein können. Manchen jüngeren Menschen mit anderen Prägungen erscheinen sie heute als zu wenig flexibel.

      Wie wenig über diese Traumata gesprochen wurde, das zeigte uns Barbara Meisner mit ihrer künstlerischen Darstellung auf einem Treffen der Kriegsenkel, also der Kinder der Kriegskinder. Da wurde mir klar, warum mir miteinander zu reden so wichtig ist und warum es manchmal schwer ist, dafür die passenden Foren und Mitstreiter zu finden.

      Intensive, vertrauensvolle Gespräche

      Das Schweigen über diese traumatische Zeit, auch über Schuld und Verantwortung der Großeltern, hat dazu beigetragen, dass wir in Deutschland und vermutlich anderswo den Dialog nicht praktiziert und erlebt haben. Mit Dialog meine ich aufbauend auf Sokrates, David Bohm, Martin Buber und William Isaacs ein intensives, vertrauensvolles Gespräch zwischen Menschen, das zu einem tieferen Verständnis füreinander führt und neue Möglichkeiten eröffnet. Dieser Dialog hat sich in meinen Projekten der letzten Jahre als Basis herauskristallisiert.

      Zusätzlich zur Kriegserfahrung gibt es weitere Erklärungen dafür, warum echter Dialog in Deutschland und anderswo nicht leicht ist. In den letzten Jahrzehnten hat eine wissenschaftliche Disziplin die Gesellschaft hierzulande und weltweit besonders stark geprägt: die Volkswirtschaftslehre, die Disziplin, in der ich ein Diplom und einen Doktorgrad erhalten habe. Dort gibt es keinen Bedarf für Dialog. Nötig ist lediglich, dass die Marktteilnehmer ihre Preise, verfügbaren Mengen und Qualitäten sichtbar machen. Dann stellt jeder den passenden Warenkorb zusammen, Geld und Ware wechseln den Besitzer. Fertig. Wer nichts oder zu wenig verkauft hat, der scheidet aus dem Markt aus. Wer viel verkauft hat, hebt die Preise im nächsten Durchgang wahrscheinlich an. Ein Dialog über individuelle oder gesellschaftliche Bedürfnisse ist nicht notwendig. Über wünschenswerte Zukünfte muss nicht gesprochen werden, da in dieser Theorie der freie Markt die Wünsche der Menschen sichtbar macht. Der beste Weg in die Zukunft ist in dieser Erzählung eine Ausweitung des Marktes auf immer mehr Bereiche: Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung.

      Das war das Mantra einer wachsenden Zahl von Volkswirten spätestens seit den 1980er Jahren. Als neoklassisch ausgebildeter Volkswirt war ich von 1997 bis 2008 bei der Investmentbank Merrill Lynch und in der Deutschen Bank mittendrin in dieser Erzählung. Und bin geflohen, da diese Grundideen in vielen wichtigen gesellschaftlichen Themen zu kurz greifen. Wir können unser Bildungssystem nicht allein vom Markt organisieren lassen, unsere Demokratie ebenso wenig und schon gar nicht unser so wichtiges Zusammenleben in Familie, Nachbarschaft und in den Städten. Gleiches gilt für Sicherheit, Umwelt, Kultur und Mobilität. Alles das sind die wichtigen Themen für die Lebensqualität der Menschen und die Zukunft unserer Gesellschaften. Ohne Dialog können wir diese Themen nicht zufriedenstellend angehen, können wir nicht herausfinden, was uns Menschen wirklich wichtig ist und wo Handlungsbedarf besteht.

      Dialog und Hierarchie

      Ein weiterer Punkt erschwert in Deutschland das offene, ehrliche Gespräch auf Augenhöhe: die Hierarchie. Manche Personen halten Dialog für nicht so wichtig, da sie an hervorgehobener Stelle sitzen und über die Zukunft entscheiden können. Hier wirken Prägungen aus dem Kaiserreich und den autoritären Regimen bis 1945 oder im östlichen Teil Deutschlands bis 1990 nach. Diese Prägungen setzen sich bewusst oder unbewusst bis in die Unternehmen und in die politischen Parteien hinein fort. Zugespitzt gefragt: Warum mit den einfachen Arbeitskräften reden, was wissen die schon? Warum im Gespräch mit der Wählerschaft bleiben, schließlich hat diese mich ja für fünf Jahre zu ihrem Repräsentanten gewählt?

      Ein anderes Vorgehen sind wir noch nicht gewohnt, haben wir nicht geübt. Hierarchische Strukturen sind dann stabil, wenn die Anweisungen von oben weiter unten umgesetzt werden. So wollen sich heute immer weniger Mitarbeiter und Menschen verhalten. Sie sehen selbst, was funktioniert und was nicht. Sie haben reichhaltige Erfahrungen, die für den Erfolg einer Organisation und einer ganzen Gesellschaft wichtig sind. Diese Menschen wollen sich einbringen. Das heißt nicht, dass jeder über alles mitreden sollte. Rechtschreibung lernen Kinder nicht im Dialog. Fakten zum Klimawandel stehen nicht zur Diskussion. Das Potential des Dialogs ist aber noch lange nicht ausgeschöpft.

      Die Kunst, gemeinsam zu denken

      Die Tür zum Dialog hat für mich Heiko Roehl aufgemacht, nachdem er 2009 zur Eröffnungsfeier des Zentrums für gesellschaftlichen Fortschritt gekommen war. Dort skizzierte ich unser Vorhaben, dem Thema Lebensqualität in Deutschland eine höhere Sichtbarkeit und mehr gesellschaftliche Relevanz zu verschaffen. Daraufhin sagte er mir: „Stefan, was Du hier vor hast, ist ein Veränderungsprozess auf der gesellschaftlichen Ebene. Schau Dir an, welche Methoden dazu auf der Ebene der Organisationen eingesetzt werden.“ Er verwies mich auf sein eigenes Buch zu „Mapping Dialogue“ und auf die bereits erwähnten Vordenker wie David Bohm und William Isaacs.

      Für William Isaacs ist der Dialog die Kunst, gemeinsam zu denken und eine Konversation mit einer Mitte statt mit Seiten zu führen. Deshalb wird er üblicherweise in Kreisen abgehalten, wo niemand eine hervorgehobene Position hat. Issacs unterscheidet den Dialog von anderen Formen der Konversation. Für den kompetenten Umgang mit der Zukunft ist es wichtig zu wissen, welche Form man vorfindet oder gestalten möchte. Will man eine Debatte (von französisch débattre „(nieder-) schlagen“) haben, in der die Redner den jeweils eigenen Standpunkt geschickt in Worte kleiden und verteidigen? Den meisten Applaus