Elena Risso

In einer fernen Zeit


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und Fotos bestand. Die Eingangstür führte direkt ins Wohnzimmer. Das Besondere an dem Apartment war eine sehr große Dachterrasse, einem Gewächshaus gleichkam mit Kübeln voller Blumen. Sie machten es sich dort inmitten der Pflanzen auf einer Korbbank bequem.

      Sie sahen sich lange an. „Seit wann bist du in der Stadt, Rose?“ „Ich bin gerade erst angekommen.“ Sie wusste jetzt schon, dass die Korrespondenten-Arbeit sie nicht ausfüllen würde, dass sie sich unbedingt nach etwas anderem umschauen musste. Bloß was, da war sich Rose noch gar nicht sicher. Sie erzählte ihre Gedanken Malcom, der immer ein aufmerksamer Zuhörer war. „Im Hotel möchte ich nicht bleiben, es hat etwas Vorbeiziehendes, etwas Heimatloses. Den Menschen im Hotel ist etwas gemeinsam, sie scheinen alle auf etwas zu warten, auf eine Art Erlösung. Mein Wunsch ist so profan, Malcom, ich möchte einfach bei dir sein, aber ohne Erwartungen und mit einem großen Maß an Unabhängigkeit. Ich möchte in Bezug auf uns gar nichts entscheiden müssen, einfach nur, dass wir wieder zusammen sind, wie früher.“

      Rose überlegte noch, wenn sie dabei bliebe, ob dadurch ihr Selbstfindungsprozess gestört würde oder ihn gar unterstützen könnte. Was war mit dem Gedanken, dass Malcom der unabhängige, freie und selbstbewusste Teil von Rose war? Würde es so einfach sein, mit diesem Teil zu leben und ihn selbst zu verinnerlichen? Nur, so stark erschien Malcom auch nicht mehr. Was war mit dem Angst machenden Gedanken, dass sie Malcom gar nicht wollte, nicht mehr brauchte - nur weil er vielleicht schwächer geworden war? Dass Rose nur schwarz und weiß sah, dass sie sich damit was vergeben würde, sich an ihn hängen würde, sich festlegen würde? Eine Unabhängigkeit einfordern würde, die sie so ja auch nicht besaß, weil sie von Malcom, von dieser vermeintlich stärkeren Hälfte, emotional schon seit Kindertagen abhängig war? Jetzt musste sie erst einmal gar nichts wissen.

      Über Malcom wollte sich Rose jedenfalls nicht definieren, da musste sie aufpassen. Sie wollte nur spüren, warme Haut, warmer Atem, warme Düfte. Genuss der Sinne, aller Sinne von Rose, die sehr präsent waren, sehr stark und sehr intensiv. Rose saß neben Malcom und ließ die Gedanken auf sich wirken. Die Zeit würde es finden, wenn sie reif dafür sein würde.

       Kapitel 11: Wille zu Unabhängigkeit als Schlüssel

      Sie saßen noch lange auf der Bank in diesem wunderschönen Garten, in dem auch eine Voliere mit gelben und orangefarbenen Kanarienvögeln aufgestellt war. Malcom war sehr nachdenklich geworden. Er hatte seine kleine Freundin aus Kindertagen wieder getroffen, und sie machte ihm gerade mehr oder weniger eine Liebeserklärung. Er konnte damit gar nicht umgehen. Er kannte das nicht, er war immer der Tröster, der Helfer, ja der Phantast. Nun, nach Jahren, wollte jemand einfach seine Nähe, seine Zuneigung - keine Ideale, keine Äußerlichkeiten. Er mochte Rose. Er hatte seit Jahren keine Frau. Er war alleine. Aber war das alles nicht etwas viel?

      Über den Garten legte sich die Dämmerung. Die Vögel wurden ruhig und nur ab und an war ein Zirpen zu vernehmen. Keiner sagte mehr etwas. Dann nahm Malcom Rose einfach in die Arme. Die Zeit war noch nicht da. Malcom hatte ein paar Dinge zu klären. Er war neben der Taxifahrerei dabei, seine Fotoaufnahmen zu vermarkten. Während seiner Jahre in New York hatte er immer die Kamera dabei und lichtete Fahrgäste, Einheimische und Touristen ab. Da seine Sammlung mittlerweile schon recht umfangreich war, wollte er nun sein Hobby zum Beruf machen, endlich etwas Eigenes haben. Rose selbst sollte erst noch zu sich finden, bevor sie mit einem Mann zusammenziehen wollte. „Ich möchte gerne deine nackten Füße hören, wenn sie nachts über das Linoleum tappen. Und wie du etwas zu schnell deine Zähne putzt. Auch habe ich das Südzimmer noch immer frei, es wartet auf dich, bestimmt. Aber hörst du nicht auf deine innere Stimme? Du meinst, mich zu wollen? Du willst nur dich. Tu es. Tu die Dinge für dich. Sei unabhängig, auch von mir.“ Malcom tat Rose damit weh. Sie wollte das nicht hören, was sie alles tun sollte und was nicht. Malcom brachte die Worte nur sehr leise und stoßweise heraus. Immer wieder fuhr er sich mit den Händen durch seine roten Haare. Im Hintergrund spielte die Musik von Sting.

      Es war jetzt stockdunkle Nacht. Die dunstige Luft war sehr schwer und etwas modrig. Sie gingen hinein. Innen war ein heilloses Durcheinander. Fotos lagen verstreut auf dem Boden. Rose lachten schwarz-weiße Gesichter an. Es kam ihr vor, als würden sie sie auslachen. Sie grinsten voller Freude in Malcoms Kamera, verschmitzt, neugierig, frei, glücklich. Rose wühlte sich durch die Fotos, sie suchte nach traurigen und ernsten Gesichtern. Auf der grünen Samtcouch aus den 80er Jahren saß Malcom, die Beine in Schlabberhosen, der Oberkörper frei. „Hey, was willst du? Lass das! Du hast nichts verloren. Ich stehe zu dir.“

      Rose kniete neben den Fotos, sah sich in der Bude um. Es war alles sehr kahl. Die Wände waren zitronengelb gekalkt, an manchen Stellen blätterte der Putz ab. Dazwischen standen hohe Bücherregale. Nur das große Fenster, das den Blick in den Garten freigab, wirkte wie eine Oase. Rose stand auf, ging nach nebenan in die Küche, von der aus man ebenfalls auf die Terrasse treten konnte. Sie holte Tomatensaft, verschüttete einen Teil, fluchte, ging ins Südzimmer, dessen Tür sie heftig zuschlug. Sie sah aus dem Fenster hinaus auf die Straße, war wütend über sich selbst, weil sie Dinge sagte, bei denen sie sich nicht mal sicher war, ob sie sie wollte. In dieser Bude wollte sie gar nicht sein. Es war hier düster und dunkel. Malcom hatte sich verändert. Nur der Garten war wie er, farbenfroh und phantasievoll. Aber in seinen Wänden würde sie sich nicht frei und unabhängig fühlen. Wieso hatte sie das nicht gleich erkannt? Die roten Flecken auf ihrem weißen T-Shirt ließen sie lächeln. „Okay, ich gehe zurück in mein Hotel; in meine kleine, eigene Welt. Erst mal richte ich mich dort ein.“ Sie gab Malcom noch ihre Adresse und beeilte sich dann. Malcom gab ihr einen Schlüssel zum Apartment. „Komme immer her, wenn dir danach ist, und lass uns weiter miteinander reden.“ Rose ging die steile Treppe nach unten. Es war ein neues Gefühl in ihr - ein Positiv-feel-Free-Feeling.

      Als sie auf ihr Hotelzimmer ging, war es irgendwie in ein helleres Rot getaucht. Es waren auch neue Muster zu erkennen, Muster an den Wänden, auf den Vorhängen, auf den vielen Kissen. Sie lag auf ihrem Bett und fing an zu träumen, von ihrer neuen Welt, von ihrem schönen Leben. Sie drehte den Schlüssel von Malcoms Apartment in ihren Händen. Sie wollte es mit ihrer eigenen Unabhängigkeit probieren. Wenn es nicht lief, konnte sie ja jederzeit zu Malcom gehen. Was war für Rose Unabhängigkeit? Unabhängig davon, wie sie sich entschied, wie sie sich festlegte, unabhängig von Meinungen anderer Menschen. Sich so frei zu machen, dass sie jederzeit den Weg wieder ändern konnte, sich nicht festlegen musste. Rose musste gar nichts definitiv und endgültig betrachten. Einfach den Dingen gelassen entgegen zu sehen, das war ihre Aufgabe.

       Kapitel 12: Der Weg zu innerer Gelassenheit und Stärke

      Die 29-jährige Rose hatte das Leben im Hotel satt. Nach fast drei Jahren wollte sie endlich ganz für sich selbst sorgen, sich Gutes tun, sich entspannen, sich zu nichts verpflichtet fühlen, sich nicht zu sorgen, kein schlechtes Gewissen zu haben, ihre Forderungen und Wünsche klar ausdrücken, sich verwöhnen lassen. Die neue Bleibe wollte Rose ohne inneren Zeitdruck finden. War auch kein Problem, aber erst einmal musste Rose herausfinden, was sie wollte. Das war schon schwieriger. Rose hatte schon lange nicht mehr ihr Herz sprechen lassen. Ja, sie liebte Romantik, sie liebte südländisches Flair, sie liebte Blumen, Düfte, warme Farbtöne, anheimelnde Dinge. Sie liebte die Nähe zum Leben, aber hektisch durfte es nicht sein. Vielleicht eine ruhige Seitenstraße in einem belebten Viertel. Rose saß auf dem Bett und dachte intensiv nach. Am liebsten wollte sie jetzt alles auf einmal ändern. Wollte sie überhaupt hier in New York bleiben? Vielleicht sollte sie doch endlich erst einen neuen Job suchen? Ach großer Bullshit, das war es ja, nein, auch wenn sie in der neuen Wohnung nicht lange sein sollte, sie konnte wieder umziehen, nichts ist für die Ewigkeit. Endlich wurde sie etwas gelassener.

      An diesem Abend traf sie sich seit langem wieder mit Ross. Rose freute sich. Sie war gerade dabei, sich einen grünen Tee zuzubereiten, da klopfte es. Ross nahm sie in die Arme und drückte sie sehr fest. „Du hast mir gefehlt.“ Rose war ein wenig berauscht. Manchmal sagte er Dinge, die Rose verblüfften. „Lass uns gehen, ich möchte mich heute Abend amüsieren.“ In der Subway war es sehr stickig. Außerdem mussten sie lange auf den nächsten Zug warten, der dann auch noch total überfüllt war; Haut an Haut drückten sich die Passagiere zusammen.