Elena Risso

In einer fernen Zeit


Скачать книгу

wollende Schlange von Passagieren wollten auch in den Flieger nach New York. Vor ihr stand das Ziel ihrer Träume. Die liebende und trotzdem erdrückende Familie hinter sich lassen, die langen des Studiums und einer speziellen Ausbildung zur Korrespondentin waren abgeschlossen. Mit dem Job als Korrespondentin wollte sie nun in einem kleinen Buchverlag in New York beginnen. Sie war sehr aufgeregt, ihr Kopf schien fast zu platzen. Jede Menge Ängste und Risiken gingen ihr durch den Kopf: „Schaffe ich das, bin ich stark genug dafür, muss ich wieder zurückgehen?“. Sie wollte ihre Sorgen nicht mitteilen; sie war tapfer beim Verabschieden. Sie trug einen beigefarbenen, weich fallenden Hosenanzug und hatte durchgestufte, rote, kinnlange Haare.

      Aurora drückte sie fest. Sie war in London bei Paul Smith bereits eine sehr angesehene Direktrice und die Kleider, die sie trug, waren von ihr kreiert und geschneidert - eine dunkelrot leuchtende Kombination aus Hüfthose und Raffbluse mit hohen Stiefeln wurde von ihren langen, schwarzen Haaren eingerahmt. Aurora war wunderbar, sie hatte Kraft und Energie und zweifelte nie an sich. „Du schaffst das Rose, gib nicht auf, du hast alles, was du zum Leben brauchst, in dir drin.“ Die Schlange bewegte sich nur langsam, dann sah Rose Monica, und da kamen alte Erinnerungen des letzten Jahres wieder auf.

      Monica stand etwas abseits. Leider war das Verhältnis in der letzten Zeit nicht mehr so ungetrübt. Monica wurde verbissen. Sie hatte sich zu viel vorgenommen. Ihre Stimme war noch immer wunderschön, aber mit ihrer Gesangskarriere lief es nicht so, wie Monica es wollte. Sie sang in einem eher schrägen Club in Soho und vergab ihr Talent. Ihr Haar trug sie schulterlang mit Mittelscheitel und es fiel sehr glatt, war an den Seiten nach hinten hin abgeschrägt. Mit Jeans und T-Shirt war sie eher der sportliche Typ. Mit Neid blickte sie auf Rose. Sie konnte nicht weg aus London, vergammelte in diesem Club. Sie hatte dort auch Rock kennengelernt. Rock war ihr vermeintlicher Mentor und Lover seit einem Jahr. Sie lernte ihn in diesem Sohoer Club kennen in einer Seitenstraße im Kellergeschoss. Erst war alles so hoffnungsvoll. Sie kam zum Vorsingen. Rock warb um sie. Er war der Typ, dem keine Frau widerstehen konnte. Und Monica wollte singen. So war sie eines Abends in den Club gegangen. Es war ein Vorsingen ausgeschrieben. Neben Monica waren noch fünf andere Frauen gekommen. Monica war als letzte dran. Rock wollte schon die Sache beenden. „Wenn niemand mehr da ist, machen wir Schluss für heute, das war eh ein Reinfall.“ „Hey, ich war noch nicht dran“. Monica wurde ungeduldig. Dann sang sie sich die Seele aus dem Leib, mit aller Kraft sang sie ihren weißen Soul, dass alle Leute im Club mit Reden aufhörten und die Luft im Raum zu knistern begann. Anmut und Freiheit gleichermaßen durchdrangen ihre Stimme. Als der letzte Rhythmus verhallte, vibrierte alles noch in ihr. Danach Stille. Rock war der erste, der sich wieder fing. „Jeder Freitagabend ist dein Abend.“ Monica, die ihn zwar nicht kannte, noch nicht, fiel ihm um den Hals. Ein langes Gespräch begann zwischen den Beiden und endete die ganze Nacht nicht. Rock wusste genau, was er an ihr hatte, und schwärmte ihr von einer einzigartigen Karriere vor. Monica war noch zu labil, zu erfolgssüchtig, um zu merken, dass sie der Anziehungspunkt für den Club werden würde. Für diese Nacht war es ihr egal. Sie genoss die Bestätigung und sonnte sich in ihrer hellsten Nacht. Der Clubraum, in sanfte Blautöne gegossen schillerte in rosa Streifen, und Monica schmiegte sich mehr und mehr an Rock. Dass sie mit ihm in sein Apartment gehen würde, war keine Entscheidung mehr. Sie öffnete sich ihm mit allem, was sie hatte, und jede Berührung tat ihr gut. Sie wollte nichts mehr denken, sich nur noch fallen lassen. So verfiel Monica Rock immer mehr. Nach drei Monaten hing sie nur noch im Club herum und vernachlässigte auch ihre Beziehung zu Aurora und Rose. Rose, die in ihren Amerika-Vorbereitungen steckte, lud Monica zu sich ein. Rose kam gar nicht mehr an Monica heran. Verschlossen mit nur noch Augen-für-Rock saß sie da und wollte nichts hören. „Was soll das für eine Zukunft werden? Das ist doch nicht dein Wille? Du willst doch mehr vom Leben, du kannst auch mehr erwarten, wirf doch nicht dein Talent weg.“ Rose verstand sie nicht. Monica war für sie immer etwas ganz Besonderes mit ihrem Weitblick und ihrem starken Willen und ihrer Tatkraft. Aber wahrscheinlich wollte Monica auch einfach nur ankommen, nichts mehr erwarten und geliebt werden. Rock gab ihr das. So einfach war das. Monica zog sich von Rose zurück. Die beiden hatten zurzeit einfach nicht die gleiche Wellenlänge. Rose veränderte sich auch. Sie horchte mehr in sich hinein und versuchte zu erahnen, was gut für sie war. Und da wurden die anderen unwichtiger. Aber das war nun egal, Monica war gekommen, um sich von Rose zu verabschieden. Rose ging auf sie zu. „Komm her, mein Schatz, lass uns Freunde bleiben.“ Vier Augen blickten sich an und der Augenblick war sehr stark. Monica wich noch zurück; sie konnte sich jetzt einfach nicht eingestehen, dass Rose die Stärkere war. Rose wiederum konnte das noch nicht wahrhaben, dafür war sie einfach die letzten Jahre zu schwach gewesen. Monica musste gehen, sonst hätte sie noch geweint. Da ging sie hin, eine Jugendfreundin für eine lange Zeit, die ihren eigenen Weg finden musste.

      Nach dem Einchecken kamen noch Roses Eltern und ihr Bruder. Es würde ein Kraftakt für Rose werden, sich zu distanzieren von einem vermeintlichen Heim, das sie jahrelang eingelullt hatte. Jetzt war die Zeit reif für einen neuen Anfang. Sie drückte ihre Familie noch einmal, Susan hatte Tränen in den Augen, Ben nahm sie fest in den Arm, er war stark geworden; um ihn brauchte sich Rose nicht zu sorgen. Peter dagegen wirkte sehr gelassen. Ja, seine Gelassenheit, die hatte Rose immer schon geärgert. Er zeigte nie seine Gefühle; er war immer erhaben. Seine einzige Rettung war das. Er wurde als Kind schon enttäuscht - seine Mutter hatte ihn einfach verlassen. Welches Kind würde das nicht bis ins Tiefste seiner Seele berühren? So hatte er sich einen dicken Panzer aufgebaut. Das war für ihn okay, was in ihm brodelte, sollte niemand wissen. Aber seine Umgebung, seine Lieben verstanden das nicht. Je knapper und erhabener er war, desto weicher und verletzlicher war sein Innerstes. Damit wollte Rose umgehen. Das wollte sie verstehen. Seine Liebe konnte nicht anders. So schnürte er alles sehr eng, damit einfach niemand mehr gehen konnte, den er liebte. Er musste sie alle abhängig von sich machen. Das war seine einzige Rettung. Rose war baff über diese Entdeckung. Das machte Sinn. Und nun ging sie weg. Musste sich befreien, um ihre eigene Geschichte zu finden. Das war die Aufgabe. Sie winkte allen noch einmal zu.

       Kapitel 7: Reise in eine neue Welt

      Aurora rannte noch mal zu ihr. „Vergiss mich nicht, hier, ich habe noch etwas für dich. Du darfst es erst im Flieger aufmachen.“ Rose blickte sie mit ihren großen, blauen und sprechenden Augen an. „Wie könnte ich dich je vergessen, du bist mein Spiegelbild für meine Zukunft, für mein schönes Leben. Du bist meine Sonne.“ „Rose du wirst selbst strahlen wie die Sonne, du wirst sehen, lass es einfach geschehen.“

      Der Flughafen war grau und kühl. Endlose Gänge, eine unangenehme Lautsprecherstimme und ein Durcheinander von Reisenden. Hier war es für Rose schwer, in sich zu ruhen. Doch sie war bei sich, suchte Urvertrauen in sich. Endlich im Flieger, konnte Rose etwas entspannen. Sie lehnte sich zurück und ließ ihre Gedanken los. Es war, wie wenn eine Welt abgeschlossen wäre. Sie konnte die Welt noch betrachten, aber jetzt war sie in eine große Blase eingeschlossen, die davon schwebte. Greifbar zwar, aber ihre eigene Metamorphose, die im Flieger begann, brachte sie von der alten Welt immer weiter weg. Vergangen waren passive Mühsal, auch wenn es jetzt sehr schwer würde zu handeln, zu agieren, zu leben auf erst noch wackligen Beinen, konnte jeder Schritt neuen Stand in ihrer neu geschaffenen Welt finden. Ihre Gedanken flogen noch einmal zu ihrer Familie, die sie zu sehr liebte, die sie nun aufrichtiger zu lieben begann. Die große Blase verfärbte sich in einen grau-grünen Ton, wobei die Masse in ihr zu wabern begann, wie diese Lampen aus den 70ern mit Luftblasen innen drin. Dieses verschwommene Sehen, verhalf ihr die Dinge abstrakt zu beurteilen - eine Distanz zu bekommen. Denn sie würden trotzdem immer eine Familie sein. Die Verbindung zur großen Blase, die sich in ein anderes Universum zu verschieben schien, war wie ein langer Faden, wie sie auch manche Tiefseetiere hatten. Rose konnte jederzeit diesen Faden heranziehen. Nur jetzt nicht, jetzt wollte sie keine Verbindung, ihre eigene Welt wartete doch auf sie. Das ging nur, wenn sie die Blase ziehen ließ - sich selbst entfernte, den Faden länger werden ließ und ihn gar ganz losließ. Jeder hatte eine andere Sicht der Dinge. Roses Sicht der Dinge begann sich zu ändern. Das Vergangene wollte sie nicht verleugnen, aber nun war es vorbei. Die Häutung begann.

      Sie merkte, dass sie immer noch das Geschenk von Aurora in ihren kleinen, zarten, aber kräftigen Händen hielt. Sie öffnete es; es war der rote Sari mit golddurchwirkten, großflächigen Mustern einer fernen Landschaft. Rose liebte