K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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Spur auf der beschlagenen Scheibe hinterlassend.

      Amadou wendet sich fröstelnd von diesem farb- und kraftlos wirkenden Panorama ab. Er stellt den Becher ab und macht sich an die Arbeit. Vielleicht wird ihm dabei etwas warm.

      Als die kleine Küche nur so vor Sauberkeit blitzt, wendet er sich der nächsten Herausforderung zu, dem Frühstück. Mit ausgebreiteten Armen, die Hände an den geöffneten Schranktüren, steht er ratlos vor Päckchen und Tüten, Dosen und Gläsern. Gerade will er sich dem Kühlschrank zuwenden, als Malik in Jeans und Pullover, aber noch etwas verschlafen im Türrahmen auftaucht.

      „Was machst du denn schon so früh auf? Es ist noch nicht einmal neun Uhr.“ Dann fällt sein Blick anerkennend auf die picobello aufgeräumte und geputzte Küche. „Hey Mann, so sauber war es hier schon lange nicht mehr.“

      „Hab ich gern’ gemacht“, freut sich Amadou, „ich wollte eigentlich Frühstück für alle machen, habe aber kein Brot gefunden.“

      „Ich gehe schnell welches holen; du kannst inzwischen Wasser heiß machen und den Tisch im Wohnzimmer decken.“ Malik schlüpft mit nackten Füßen in seine ausgetretenen College-Slippers und hangelt sich dabei gleichzeitig in die Ärmel einer dicken Jacke von der Garderobe. Die Wohnungstür schnappt sanft hinter ihm ins Schloss. Amadou setzt Wasser auf und geht ins Wohnzimmer.

      Ibrahim ist jetzt auch schon wach und schaut seinen Freund forschend an. „Alles klar bei dir?“

      „Ja, alles super und bei euch?“

      Sekou kommt halbhoch und stützt sich auf dem Ellenbogen ab. „Ich habe geschlafen wie ein Stein. Erst als Ibrahim mir aus Versehen sein Knie in den Rücken gestoßen hat, wurde ich wach und wusste überhaupt nicht, wo ich war.“

      „Ging mir ähnlich“, sagt Amadou, schiebt die Vorhänge zurück, öffnet mühsam das Fenster und zieht dann den Freunden auch noch lachend die Decken weg. „Nun macht schon, räumt die Bettsachen zusammen, damit wir hier frühstücken können. Malik kommt jeden Moment vom Bäcker zurück.“

      „In Ordnung.“ Sekou und Ibrahim falten das Bettzeug akribisch zusammen und stapeln es auf einem Stuhl. Sie klappen gemeinsam die Couch wieder in ihre Ausgangsposition und rücken Tisch und Stühle zurecht. Dann organisieren sie die Badbenutzung. Als auch Amadou sich frisch gemacht hat, dreht sich der Schlüssel in der Wohnungstür und Malik tritt gut gelaunt ein, an einem Arm eine schwere Tüte, mit dem anderen eine große Brötchentüte schwenkend.

      „Mhm, das duftet ja durch die Tüte“, schwärmt Sekou, „das erinnert mich an zu Hause.“

      „Und was ist in der großen Tüte?“, fragt Amadou neugierig.

      „Nun warte es doch ab“, ist die geduldige Antwort Maliks. Er stellt seine Einkäufe auf dem kleinen Tisch ab und schließt eilig das Fenster. „Wenn ihr lüftet, müsst ihr erst das Ventil am Heizkörper schließen, so …“ Er zeigt ihnen, wo das gemacht wird, „denn sonst verschwenden wir unnötig Energie.“ Die Drei schauen Malik etwas unsicher an; na ja, man muss ja nicht alles auf einmal verstehen, oder?

      Etwas später sitzen sie zu viert beim Frühstück. „Wo ist eigentlich Toucou?“, will Sekou wissen.

      „Der ist schon längst weg; er hat diese Woche Frühschicht.“

      „Und du?“

      „Ich habe mir für heute freigenommen, um euch alles im Haus und die Geschäfte in der Umgebung zu zeigen“, mümmelt Malik zwischen zwei Bissen Baguette mit Putenaufschnitt hervor. Der Tisch quillt über vor lauter leckeren Sachen: Es gibt Baguettebrötchen, verschiedene Käsesorten, Quark mit Kräutern, Geflügelwurst und Fruchtjoghurt. Als Getränke stehen Früchtetee, Milch und Orangensaft auf dem Tisch. Darüber hinaus hat Malik als alteingesessener Afrikaner in Deutschland auch an die Vitamine gedacht, die im Allgemeinen von seinen Landsleuten schmählich vernachlässigt werden; somit häufen sich auf einem großen Pizzateller blaue und grüne Weintrauben, Äpfel und Birnen. Diese löbliche Angewohnheit ist dem Einfluss seiner früheren Frau zu verdanken, die auf dem Ökotrip ist und sich hauptsächlich von Müsli und ‚Grünzeug’ ernährt.

      Um das Wohlgefühl seiner Gäste noch zu steigern, hat Malik, nachdem er das Fenster wieder geschlossen hat, den Heizkörper voll aufgedreht. Gut gelaunt und hungrig machen sie sich nun über die appetitlichen Brötchen her.

      „Das hier müsst ihr unbedingt probieren“, fordert Malik die Freunde auf, „das ist selbst gemachte Mirabellenmarmelade; meine Exfrau gibt mir manchmal ein Glas davon mit, wenn ich unseren Sohn besuche.“ Sekou fragt nicht, was Mirabellen sind, probiert aber zögernd.

      „Hm, ganz gut, aber ich steh nicht so sehr auf Süß.“

      „Da du gerade deine Exfrau erwähnst“, schaltet Ibrahim sich ein, „du hast also noch Kontakt zu ihr?“

      „Klar, schon wegen unseres Sohnes. Seit der Trennung verstehen wir uns bestens.“

      „Dann hättet ihr ja auch zusammenbleiben können“, mischt Amadou sich ein, „ich verstehe einfach nicht, warum die Menschen in Europa sich so schnell scheiden lassen. Warum seid ihr denn nicht zu einem Ratgeber gegangen? Man lässt sich doch nicht so einfach scheiden.“

      „Tja, bei uns in Afrika ist das so, aber hier“, er hält einen Moment inne, „hier ist der Partner nur noch ein ‚Lebensabschnittsgefährte’; das heißt: Die Ehe ist sowieso nicht für die Ewigkeit gedacht. Darum braucht man sich auch nicht viel Mühe zu geben. Wenn es in der Beziehung zu viele Probleme gibt, trennt man sich und sucht sich einen anderen Partner, der besser zu einem passt.“

      „Das glaube ich nicht.“ Sekou schüttelt den Kopf, „vielleicht war das bei euch beiden so, aber du kannst uns nicht erzählen, dass alle Deutschen sich gleich scheiden lassen, wenn sie keine Lust mehr auf die Ehe haben.“

      „Okay, ich habe vielleicht etwas übertrieben, aber dafür werden sie nach der Scheidung oft die besten Freunde, und, das müsst ihr zugeben, ist eher selten in Afrika.“

      „Allerdings. Und ja wohl auch zu Recht; denn eine Frau, mit der ich nur Probleme hatte, die will ich nach der Trennung überhaupt nicht mehr sehen! Die kenne ich nicht mehr!“ ereifert sich Amadou.

      Malik lacht. „Ich dachte am Anfang genauso wie ihr, aber glaubt mir, es hat auch seine Vorteile, mit der ‚Ex’ auf gutem Fuß zu stehen.“

      „Zum Beispiel?“

      „Na zum Beispiel haben wir diese selbst gemachte Konfitüre“, sagt er und schaut grinsend in die verdutzten Gesichter der ‚Neuen’.

      „Wieso, was ist so Besonderes an ‚selbst gemacht’? In Afrika machen nur die Armen alles selbst, weil sie kein Geld für den Supermarkt haben.“

      „Hier ist das genau umgekehrt“, belehrt Malik die Drei geduldig, „in der Zeit, wo meine Ehemalige vier Glas Marmelade vorbereitet und einkocht, produziert eine Maschine vielleicht Hunderte von Gläsern. Zeit ist in Deutschland kostbar. Selbst gemachte Konfitüre ist daher ein beliebtes Mitbringsel oder sogar Geschenk, wenn man Freunde besucht. Für die, die weder Lust noch Zeit haben, gibt es den Wochenmarkt in der City; dort werden regelmäßig selbst hergestellte Lebensmittel zu sehr hohen Preisen angeboten.“

      „Aber warum soll man noch etwas mit der Hand herstellen, wenn es doch viel schneller mit der Maschine geht?“, will Amadou wissen.

      „Weil die selbst gemachten Lebensmittel einfach viel besser schmecken; sie enthalten keine künstlichen Aromastoffe oder giftige Konservierungsmittel“; und mit einem nachdenklichen Lächeln fügt er hinzu: „Mein Sohn liebt die selbstgemachte Marmelade; und um noch mal auf das Thema Trennung zurückzukommen: Für unseren Sohn ist die Trennung nur deshalb erträglich, weil wir, seine Eltern, friedlich miteinander umgehen und beide für ihn da sind, nur mehr oder weniger räumlich getrennt.“

      Den drei Freunden leuchtet das ein. „Außerdem helfen wir einander auch weiterhin. Wenn sie mal einen starken Mann braucht, bin ich sofort zur Stelle.“

      Sekou kommt das alles komisch vor.