K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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dem Fernseher gemütlich und bleiben beim Herumzappen bei einer Kindersendung hängen. Dort wird so deutlich und langsam gesprochen, dass Amadou und Sekou versuchen, etwas zu verstehen und mit viel Gelächter auch ein paar Worte nachzusprechen. Es geht ihnen gut; die Außenwelt ist wieder ausgesperrt, die Heizkörper geben ihre wohlige Wärme ab und in der Küche wird auf ganz kleiner Flamme das restliche Essen von gestern aufgewärmt; denn jeden Moment können die Anderen eintreffen.

      Und da sind sie schon; Malik und Toucou mit einem total erschöpften Ibrahim im Schlepptau.

      „Er hat den Job“, sagt Malik gut gelaunt zu Sekou und Amadou, und mitfühlend zu Ibrahim gewandt: „war vielleicht etwas viel für den ersten Tag, aber nach ein paar Tagen hast du dich daran gewöhnt.“ Der nickt etwas gequält und fragt seine Freunde:

      „Und was habt ihr gemacht?“

      „Amadou hat eingekauft und später sind wir im Park spazieren gegangen. Das Wetter war so schön, und“, er gibt seiner Stimme einen total beiläufigen Ton, „das hätte ich fast vergessen, Amadou hat sich verknallt.“

      Die Wirkung auf seine Worte hätte nicht stärker sein können. Selbst Amadou schaut Sekou entgeistert an. „Spinnst du? Davon hab ich nichts gesagt.“ Alle Blicke sind auf ihn gerichtet.

      „Also, was hast du ihm dann gesagt?“, versucht Malik klarzustellen.

      „Nur, dass zwei Frauen mit mir geflirtet haben.“

      „Gleich zwei? Du gehst aber ran.“

      „Wie sehen sie aus? Kennen wir sie?“

      Amadou hält sich mit wehleidig verzogenem Gesicht beide Ohren zu.

      „Nun sag schon“, neckt Ibrahim, „wir wollen alles wissen. Wirst du eine von ihnen treffen?“

      „Vielleicht.“

      „Sag uns wenigstens, wie sie aussieht.“

      Amadou muss nachdenken. „Sie sieht eben wie eine Deutsche aus.“

      „Ach komm“, lacht Toucou, „etwas mehr musst du schon gesehen haben.“

      „Sie hat ganz blaue Augen“, antwortet Amadou mit abwesendem Blick.

      „Und was sonst? Ist sie alt oder jung?“

      „Keine Ahnung“, antwortet Amadou nun doch etwas verärgert.

      Malik hat genug von dem Theater. „Lasst ihn zufrieden. Er weiß es doch nicht besser. Als Toucou und ich das erste Mal nach Europa kamen, sahen für uns auch alle Frauen gleich aus. Außerdem will ich jetzt endlich essen.“

      Erleichtert geht Amadou in die Küche und zehn Minuten später sitzen sie einträchtig vor der dampfenden Schüssel und langen kräftig zu.

       Amadou ist motiviert

      „Hat einer von euch noch Material vom Deutschunterricht?“, fragt Amadou seine Gastgeber zwischen zwei Handvoll Reis mit Soße. Alle lachen.

      „Sicher, in dem unteren Regal dort drüben sind Toucous und meine alten Lehrbücher; eigentlich müssten irgendwo auch noch Kassetten herumfliegen.“ Er steht auf und fängt an, im Regal nach ihnen zu kramen, „wenn ich nur wüsste wo.“ Toucou zieht seinen Freund am Arm zurück.

      „Lass doch Sekou und Amadou morgen selber nach den Materialien suchen; sie haben doch genug Zeit dafür“, schlägt er vor.

      „Vielleicht nicht“, frotzelt Ibrahim, „vielleicht will er morgen schon ein paar Worte Deutsch sprechen können.“

      „Die können wir ihm auch ohne Buch beibringen.“ Nach dieser Aussage entsteht unter viel Gelächter ein reger Austausch von notwendigen oder nicht notwendigen Worten; und als später noch ein Kollege Maliks zu ihnen stößt, sind alle mit diesem geselligen Abend sehr zufrieden.

       Wiedersehen mit Emily

      Sekou ist wach, aber er will die Augen noch nicht öffnen. Er liebt es, das durch die geschlossenen Lider scheinende Licht zu analysieren. Ist es hell und rötlich, scheint die Sonne; ist es dagegen grau und dunkel, hat er vom Wetter nicht viel zu erwarten. Manchmal täuscht er sich auch; dann hat er das schöne Wetter nur geträumt. Schließlich hat er genug von diesem Spiel und öffnet die Augen. Vorsichtig lugt er durch den Spalt der Vorhänge. Von seiner Couch aus kann er etwas blauen Himmel sehen.

      „Ich glaube, es wird wieder schön heute“, ruft er gut gelaunt zur Küche hinüber.

      Dort hantiert Amadou schon geschäftig. Als er das Brot vom Vortag auf den Toaster legt, schaut Sekou um die Ecke. „Holen wir kein frisches?“, fragt er erstaunt.

      Amadou grinst verlegen und setzt zu einer Erklärung an. „Ich, äh … ich, … eigentlich möchte ich versuchen, die Frau von gestern im Park zu treffen. Wenn ich sie richtig verstanden habe, geht sie jeden Morgen gegen elf Uhr mit den Kindern zum Spielplatz. Jetzt ist es schon nach zehn.“ Er schaut ihn bittend an.

      „Okay geh nur, aber ich weiß nicht, wozu das gut sein soll. Wir wollten doch Deutsch üben, und einkaufen müssen wir auch noch.“

      „Ich versuche nur schnell ihre Telefonnummer und Adresse zu bekommen und komme dann sofort zurück.“ Er nimmt sich das geröstete Brot, schichtet zwei Scheiben Käse darauf, klappt es zusammen, klemmt es zwischen die Zähne und zieht sich mit den nun freien Händen an. Die Wohnungstür schnappt ins Schloss und weg ist er. Sekou steht mit zusammengezogenen Brauen nachdenklich in der Küche.

      Froh, der Enge der kleinen Zweizimmer-Wohnung entkommen zu sein, atmet Amadou tief ein. Die frische Herbstluft prickelt wie zerstoßene Eissplitter in seinen Atemwegen. ‚Hoffentlich ist sie da, hoffentlich.’ Im selben Moment kommt eines der Kinder aus der Gruppe von gestern um die Ecke geschossen; die anderen folgen und … da ist sie, Emily! Sein Herzschlag gerät für Sekunden ins Stolpern, aber er fängt sich schnell und geht mit langen Schritten auf sie zu.

      Die Kinder haben ihn wieder erkannt und zerren an seinen Händen, um mit ihm zu spielen. Halbherzig versucht er sie abzustreifen, wobei er nur Augen für sie hat. Emily lacht, zeigt in Richtung Spielplatz und macht eine einladende Handbewegung. Amadou folgt ihr dümmlich grinsend, an jeder Hand ein Kind mit sich ziehend.

      Auf dem Spielplatz sind die Kinder sofort bei den Turngeräten und überlassen die Erwachsenen sich selbst. Mit ständig kontrollierendem Blick auf ihre Schützlinge nimmt Emily auf einer Bank Platz und klopft mit der flachen Hand auf den noch freien Platz neben sich. Amadou setzt sich schüchtern neben sie. Beide schauen schweigend den spielenden Kindern zu.

      „Ach ja, das hatte ich ganz vergessen“, unterbricht Emily nach einer Weile das ungewollte Schweigen; sie nimmt ihren leuchtend roten Rucksack umständlich vom Rücken und holt einen alten Schulatlas daraus hervor. Sie schlägt die Karte von Afrika auf, fährt mit dem Zeigefinger hin und her und schaut Amadou fragend an. Der schaut etwas angestrengt die Karte an und weist dann, erleichtert darüber, dass er sie gefunden hat, auf seine Heimat in West-Afrika.

      „Ah, dann sprichst du doch sicher auch Französisch? Ich leider nicht.“ Amadou macht eine bejahende Kopfbewegung. Sie packt den Atlas wieder in den Rucksack und denkt: ‚Ist der süß. Aber er versteht kein Wort Deutsch.’

      Amadou versucht verzweifelt, sich an wenigstens eins der deutschen Worte zu erinnern, das er und seine Freunde gestern Abend geübt hatten. Plötzlich bricht es aus ihm heraus: „Du Mann?“

      Emily lacht schallend. „Nein, ich Jane, ich Frau.“ Das versteht Amadou natürlich nicht. Er schaut sie sehnsüchtig an und Emily erhört sein stummes Flehen. Sie zeigt auf sich und sagt, den Kopf dabei verneinend schüttelnd: „Kein Mann, kein Freund.“ Diese Aussage interpretiert Amadou goldrichtig. Gott sei Dank kommt sie gar nicht auf die Idee zu fragen, ob er eine Freundin hat. Als die Kinder sie in Anspruch nehmen, nutzt er die Gelegenheit, um sich zu verabschieden. Er hat Sekou versprochen, schnell zurückzukommen. Er zeigt auf sein Handgelenk und macht dieselbe