K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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das große Los gezogen? Ihr habt es uns immer noch nicht verraten.“ Sekou und Ibrahim horchen interessiert auf.

      „Fragt Toucou, ich bin zu müde.“

      „Na gut; ich mach’s kurz. Seine Frau hat Geld. Sie wohnen in ihrem eigenen Haus, müssen sich also nicht mit rassistischen Vermietern herumschlagen; sie sind nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, weil sie zwei Autos haben; und da Apollinaire vielen nebenberuflichen Tätigkeiten nachgeht, hat sie auch keine Kontrolle über seine Freizeit. Er macht, was er will.“

      Malik nickt bestätigend, die Augen dabei auf den Bildschirm geheftet. Seinen Gästen hat es unisono die Sprache verschlagen.

      „Und was ist mit Kindern?“, rafft sich Amadou auf zu fragen.

      „Sie haben keine.“

      „Die Ärmste, das muss ja schrecklich für sie sein!“

      „Nein, ganz im Gegenteil; sie wollte nie Kinder und jetzt ist sie auch zu alt dafür. Aber dafür behandelt sie Apollinaire manchmal wie ein Kind.“ Toucous letzte Worte lösen einen Sturm der Entrüstung bei den Neuankömmlingen aus.

      „Das würde ich mir nie gefallen lassen.“

      „Wer soll dann der Herr im Haus sein?“

      „Ein Kind hat nichts zu sagen; willst du das damit sagen?“

      „Nein, nun beruhigt euch mal wieder. Es heißt lediglich, dass sie sich um alles kümmert“, sagt Toucou und schubst seinen Mitbewohner ironisch grinsend in die Seite, „nicht wahr Malik?“

      „Ja, aber …“, versucht Sekou zaghaft einzuwenden.

      „Nichts aber“, wettert Malik, „mit einigen Afrikanern kann man das vielleicht machen, aber mit mir nicht, punkt!“ Er klinkt sich endgültig aus dem Gespräch aus, indem er sich demonstrativ zu dem Fernseher vorbeugt.

      Ein neues Gespräch will nicht mehr aufkommen. Toucou und sein Mitbewohner sind einfach zu müde, um auf die bohrenden Fragen der ‚Frischlinge’ einzugehen, und diese fühlen sich durch Maliks schroffe Art nicht zu neuen Fragen ermuntert. Und nachdem sie lustlos immer wieder vor dem Fernseher einnicken, beschließen alle, einfach schlafen zu gehen.

      Aber der Schlaf will nicht kommen. Amadou wälzt sich unruhig von einer Seite auf die andere. „Sei endlich still“, mahnt Sekou seinen Freund, „Ibrahim muss morgen früh aufstehen, er braucht seinen Schlaf.“

      „Lass ihn, Sekou.“ Verständnisvoll kommt Ibrahims Stimme im Halbschlaf aus dem Dunkel, „er macht sich sicher Sorgen um seine Mutter.“ Amadou stellt sich schlafend.

      In dieser Nacht träumt Amadou, dass er in einem ausgetrockneten Flussbett steht und seine Freundin ihm vom Ufer zuwinkt. Voller Freude läuft er auf sie zu, aber je näher er dem Ufer kommt, desto mehr entfernt sie sich von ihm.

       Wichtige Begegnung

      Am nächsten Morgen wird Sekou vor Kälte wach. Er springt von der Schlafcouch hoch und reißt die Vorhänge zurück. „Die Sonne scheint!“, ruft er laut in Richtung Amadou, „aber wieso ist es dann so kalt?“

      Amadou reibt sich die Augen und kommt, sich schützend die Arme um den Oberkörper legend, ans Fenster. Der Himmel strahlt so blau wie es nur geht und das Laub, gestern noch nass und grau, leuchtet nun tatsächlich in allen Rot- Braun- und Goldtönen.

      „Du gehst zum Bäcker, ich räume auf und bereite das Frühstück vor“, bestimmt Sekou resolut; „danach könnten wir ein wenig im Park spazieren gehen. Was hältst du davon?“ Amadou nickt zustimmend und macht sich fertig.

      Auf der Straße atmet er tief ein. Die Luft ist zwar kalt, aber sie kommt ihm angenehm frisch vor. Die junge Verkäuferin beim Bäcker erkennt ihn wieder und bedient ihn sehr freundlich. Sie weiß schon, was Amadou kaufen möchte; sonst muss er halt auf die Ware zeigen. Wieder draußen, kommt es Amadou so vor, als ob die Leute auf der Straße etwas weniger griesgrämig aussehen. Er wird auf eine quirlige Gruppe von Kleinkindern aufmerksam, die einen Mordsspaß daran haben, mit ihren regenbogenfarbigen Gummistiefeln durch das trockene Laub zu rascheln und es mit den Händen hochzuwerfen. Amadou schaut ihnen einen Moment lang fasziniert zu und bekommt Lust, es den Kindern gleichzutun. Spontan verlässt er den Gehsteig und schubst die Blätter im Rinnstein wie sie mit den Füßen hoch. Die Kleinen freuen sich über den Mitstreiter. Sie umringen ihn ausgelassen, fassen ihn bei den Händen, kreischen und lachen und werfen sich gegenseitig ganze Fuder von Laub auf den Kopf.

      Bei dem Tumult rutscht Amadou beinahe die Brötchentüte weg; aber eine junge Frau mit wild abstehenden, goldblonden Locken und einem ellenlangen, bunt geringelten Schal fängt sie im letzten Moment für ihn auf. Sie scheint die Aufsichtsperson der Kinder zu sein. Lächelnd reicht sie ihm seine Tüte und sagt ein paar freundliche klingende Worte, die er zu seinem Leidwesen nicht versteht. Ratlos blickt er in ihre großen, wunderschönen Augen, die sie unschuldig wie ein Kind fragend aufreißt; sie sind von einem intensiven Blau, das ihn an die indigogefärbten Gewänder der Wüstennomaden erinnert.

      Alle Geräusche um ihn herum scheinen zu verstummen; für den Bruchteil einer Sekunde gibt es nur die Stille im Auge eines Hurrikans zwischen der jungen Frau und ihm. Genauso plötzlich, wie er gekommen war, ist dieser Moment wieder vorbei und Amadou nimmt Zuflucht zu seiner stärksten Waffe; er entblößt seine ebenmäßigen weißen Zähne und strahlt sie an. Er zeigt auf sich und nennt seinen Namen. Sie reicht ihm eine kleine schmale Hand und antwortet: „Ich heiße Emily.“ Sie zeigt auf ihre Armbanduhr und fährt mit dem Zeigefinger einmal in die Runde; dann deutet sie auf die Stelle, wo sie gerade stehen. Amadou nickt freudig, er hat kapiert.

      An der Ecke trennen sie sich. Die Kinder winken Amadou hinterher aber der dreht sich nicht um; er geht mit weit ausholenden, selbstsicheren Schritten zu seinem vorläufigen Zuhause. Sekou wartet sicher schon auf ihn.

      Beim Frühstück ist Amadou richtig aufgedreht. „Gleich zwei Frauen haben mit mir geflirtet“, erzählt er Sekou aufgeregt.

      „Ja und? Wozu soll das gut sein? Und wie habt ihr euch überhaupt verständigt? Gib mir mal ein Brötchen herüber.“ Er schaut seinen aufgekratzten Freund von der Seite an und meint: „Ach so, alles klar; du hast sie mit deinen perlweißen Zähnen bezirzt, stimmt’s?“ Amadou grinst bestätigend.

      „Na, Hauptsache, du vergisst nicht, warum wir hier sind“, brummt er abschließend.

      Da Sekou alle Arbeiten in der Wohnung bereits vor Amadous Rückkehr erledigt hat, machen sie sich nach dem Frühstück gleich auf den Weg zum nahe gelegenen Park. Warm eingepackt setzen sie sich auf eine Bank, die windgeschützt in der Sonne steht, und beobachten die Menschen, die an ihnen vorübergehen.

      „In diesem Land scheint es viel Alte und Kinder zu geben“, sinniert Amadou.

      „Quatsch, die Jungen sitzen in ihren Büros und arbeiten. Sieh mal, jetzt haben sie wohl Mittagspause.“ Sekou deutet mit einer Kopfbewegung zum anderen Ende des Parks, wo jetzt einige jüngere Leute herumschlendern. Als ein gebrechliches Pärchen mit enttäuschtem Blick vor ihrer Bank anhält, steht Sekou sofort auf und zieht Amadou mit.

      „Die sehen so aus, als ob sie jeden Tag hierher kommen“, flüstert er Amadou zu und macht eine einladende Geste zu den alten Leutchen. Hoch erfreut nehmen sie umständlich Platz und bedanken sich überschwänglich.

      „Wir sitzen hier jeden Morgen, wenn das Wetter es zulässt“, sagt der alte Herr, „meine Frau kann nämlich nicht mehr so gut laufen.“

      Sekou und Amadou nicken freundlich zu Allem, was er sagt und gehen dann in Richtung Spielplatz weiter. Dort ist Hochbetrieb. Gestern noch war der Platz verwaist und farblos, heute ist er nicht wieder zu erkennen, so bunt und laut. Sie bleiben stehen, und schauen sich das lebhafte Treiben an. Sie sehen Mütter, die mit ihren Kindern herumzanken, andere passen übertrieben sorgfältig auf ihre Sprösslinge auf, wieder andere unterhalten sich mit einer Zigarette in der Hand miteinander und überlassen die Kleinen sich selbst.

      „Ich hab genug“, sagt Sekou