Mark Twain

Der geheimnisvolle Fremde


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      Mark Twain

      Der geheimnisvolle Fremde

      Die Abenteuer des jungen Satan

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Vorwort des Übersetzers

       Kapitel I

       Kapitel II

       Kapitel III

       Kapitel IV

       Kapitel V

       Kapitel VI

       Kapitel VII

       Kapitel VIII

       Kapitel IX

       Kapitel X

       Kapitel XI

       Der Autor / Der Übersetzer

       Impressum neobooks

      Vorwort des Übersetzers

      Die meisten von uns denken, wenn sie den Namen Mark Twain hören, an die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn – Meisterwerke der amerikanischen Literatur, ohne jeden Zweifel, doch dass sie nur einen kleinen Teil des mehrere tausend Seiten umfassenden Gesamtwerks des Autors ausmachen, ist weithin unbekannt. So kennen in Deutschland nur die wenigsten Twains Short Storys, seine köstlichen satirischen Essays, seine ureigene Version der Paradiesgeschichte – und auch nicht dieses Buch.

      Der geheimnisvolle Fremde ist eins der Spätwerke des Schriftstellers, und es ist anders als alles, was Mark Twain im Laufe seines 74-jährigen Lebens geschrieben hat. Die Story, die der Autor in einem österreichischen Dorf ansiedelte, in den finsteren Zeiten des Mittelalters, spielt in der Erlebniswelt dreier Jungen, die eine seltsame Freundschaft mit einem etwa gleichaltrigen Jungen schließen, der nicht zur Dorfgemeinschaft gehört, und dessen Einfluss ihr Leben und ihre Welt nachhaltig und für alle Zeiten verändert.

      Ein Jugendbuch? Nun, Jugendlichen wird die spannende Handlung gefallen, Erwachsene jedoch werden überwältigt sein von einem Werk, das in seiner Lebensweisheit der Bibel oder Bhagavad Gita gleichkommt. Dieser fremde Junge namens Satan ist keineswegs ein böses Wesen; er ähnelt eher dem Lichtbringer Luzifer, der ja nichts anderes ist als eine Version von Prometheus, der den Göttern einst das Feuer stahl und es den Menschen brachte – eine Metapher für das Weitergeben von Weisheit.

      Ein satanistisches Buch also? Mitnichten. Aber auch kein Buch, das sich den Dogmen der großen westlichen Weltreligionen anschließt. Im Gegensatz zu Christentum, Judentum oder Islam vertritt es eine deterministische, ja oftmals fatalistische wie auch non-dualistische Weltsicht. Das Buch ist ein Denkspiel, ein Ausflug in eine Interpretationsweise der Weltgeschehnisse, die dem abendländisch geprägten Menschen weithin fremd ist – und gerade aus diesem Grund an vielen Stellen so überraschend, dass sie den Leser entweder kopfschüttelnd oder mit tausend Aha-Erlebnissen zurücklässt.

      An vielen Stellen mag man die Handlung als grausam empfinden – aber ist die Welt, in der wir leben, nicht oft genug grausam? Zwischen der Frage nach dem Warum und der meist vagen Antwort der etablierten Religionen findet Twain einen Mittelweg, der aufklärt, aber auch verschreckt, der enthüllt, aber auch desillusioniert. Wer das Buch einmal gelesen hat, wird es immer wieder zur Hand nehmen, um Vergleiche zu seinem eigenen Leben zu ziehen und den tieferen Sinn von Ereignissen zu enträtseln, die ohne diese Lebensexegese auf ewig ein Mysterium geblieben wären.

      Nach dem typisch schnoddrigen Schreibstil von Mark Twain wird der Leser hier übrigens vergeblich suchen. Auch wenn das Buch erst 1910 fertiggestellt und posthum 1916 veröffentlicht wurde, so spielt es dennoch im Jahre 1590 in einer Atmosphäre, die Twain auch in sprachlicher Hinsicht einzufangen versuchte. Übrigens existierten von dem Werk unterschiedliche Versionen – die hier vorliegende ist die verbreitetste, und wir haben sie in ungekürzter Form wiedergegeben und auf alle Schönungen und politisch korrekten Anpassungen, wie sie in den Neuauflagen älterer literarischer Werke leider immer mehr zur Unsitte werden, tunlichst verzichtet.

      Mark Twain war in seiner Jugend bekanntlich ein Heißsporn, ein übermutiger Schiffsjunge, der sich gern prügelte, viele Affären mit Frauen hatte und sogar einmal so bankrott war, dass er nicht mehr wusste, wovon er den nächsten Tag in seinem Leben bestreiten sollte. Doch ist er dadurch nicht der beste Beweis dafür, dass Weisheit nicht in Studierzimmern entsteht, sondern dort, wo die rauen Winde des Lebens wehen?

      Lassen Sie sich also von dem geheimnisvollen Fremden an die Hand nehmen und staunen Sie gemeinsam mit dem jungen Theodor über die Wunder des Universums.

      Münchberg, im Oktober 2012

      Oliver Fehn

      Kapitel I

      Es war 1590 – im Winter. Österreich, weit abgeschieden von der Welt, lag in tiefem Schlummer. Hier herrschte noch immer das Mittelalter, und es sah aus, als solle das für immer so bleiben. Manche wähnten das Land sogar noch um ein paar Jahrhunderte weiter zurück und sagten, die geistigen und geistlichen Uhren in Österreich würden noch immer das Zeitalter des Glaubens anzeigen. Aber sie meinten es als Kompliment, nicht als Verunglimpfung, und so wurde es auch aufgefasst, und alle waren wir stolz darauf. Ich erinnere mich gut daran, obwohl ich damals noch ein Junge war, und ich weiß auch noch, mit welcher Freude es mich erfüllte.

      Ja, Österreich lag weit entfernt, lag in tiefem Schlummer, und da unser Dorf mitten in Österreich lag, befand es sich ebenfalls inmitten dieses Schlummers. Es döste friedlich vor sich hin, unberührt in seiner Berg- und Waldeinsamkeit, in der nur selten Nachrichten aus der Welt da draußen seine Träume störten, und war unendlich zufrieden. Ganz vorne floss der endlose Strom, dessen Oberfläche bemalt war mit Wolkenformationen und den Spiegelbildern vorbeitreibender Archen und Steinboote; dahinter führten bewaldete Stufen hinauf zum Grund des erhabenen Felshangs. Vom Gipfel schielte ein gewaltiges Schloss herab, dessen lange Reihe aus Türmen und Bollwerken von wildem Wein umrankt war; und jenseits des Stroms, eine Wegstunde weiter links, erstreckten sich windschiefe Berge, eingehüllt von Wäldern und durchklüftet von verwinkelten Schluchten, zu denen die Sonne niemals vordrang. Auf der rechten Seite klaffte ein steiler Abhang über dem Fluss, und zwischen ihm und den Hügeln – um es mit den Worten eines Laien zu sagen – erstreckte sich eine weite Ebene mit kleinen, verstreuten Gehöften, zusammengeduckt zwischen Obstgärten und schützenden Bäumen.

      Die ganze Gegend, die sich über mehrere Wegstunden erstreckte, war der ererbte Besitz eines Prinzen, dessen Diener das Schloss stets gewissenhaft in Schuss hielten, so dass es jederzeit hätte bewohnt werden können, doch weder der Prinz noch seine Familie ließen sich dort öfter als einmal in fünf Jahren