sie die Burg stetig wachsen und an Form und Symmetrie gewinnen ließen, schwand unser Gefühl von Ehrfurcht nach und nach, und wir fühlten uns wieder wohl und geborgen. Wir fragten, ob wir auch ein paar solcher Menschen machen dürften, und er sagte Ja und bat Seppi, ein paar Kanonen für die Mauern herzustellen, und Nikolaus bat er, ein paar Hellebardisten zu erschaffen, mit Harnischen und Beinschienen und Helmen, und ich war für die Kavallerie verantwortlich, mit vielen Pferden, und während er uns seine Aufträge erteilte, rief er uns ständig bei unseren Namen, verriet aber nicht, woher er sie wusste. Dann fragte Seppi ihn nach seinem eigenen Namen, und er antwortete gelassen „Satan“, wobei er mit einem Baustein eine kleine Frau auffing, die von einem Gerüst stürzte, sie wieder an ihren Platz setzte und sagte: „Wie kann man so dämlich sein, rückwärts zu laufen, ohne zu wissen, worauf man sich da einlässt?“
Es überkam uns ganz plötzlich, es lag an seinem Namen, und unsere Arbeit fiel uns aus den Händen und brach entzwei – eine Kanone, ein Hellebardist, ein Pferd. Satan lachte und fragte, was denn mit uns los sei. Ich sagte: „Nichts, aber ... es ist ein ziemlich ungewöhnlicher Name für einen Engel, oder?“
„Warum?“ fragte er.
„Na ja, weil es ... weil es ... hm, sein Name ist, du weißt schon …“
„Ja – er ist mein Onkel.“
Er sprach es ganz ruhig aus, aber es nahm uns für einen Moment den Atem und ließ unsere Herzen schneller schlagen. Er schien es nicht zu bemerken, doch er reparierte unsere Hellebardisten und so weiter mit einer einzigen Berührung, gab sie uns unversehrt zurück und sagte: „Wisst ihr nicht – dass auch er einmal ein Engel war?“
„Ja, stimmt“, sagte Seppi. „Daran habe ich nicht gedacht.“
„Vor seinem Fall war er ohne Schuld.“
„Stimmt“, sagte Nikolaus. „Er war frei von Sünde.“
„Es ist eine gute Familie, unsere Familie“, sagte Satan. „Es gibt keine bessere. Er ist der einzige von uns, der jemals gesündigt hat.“
Ich kann gar niemandem so richtig erklären, wie aufregend das alles war. Kennt ihr dieses Zittern, dieses Schaudern, das euch überkommt, wenn ihr etwas seht, das so seltsam, so bezaubernd, so wundervoll ist, dass es einfach nur eine bange Freude ist, zu leben und es sich anzusehen? Ihr wisst, wie ihr dann blickt und wie euch die Lippen austrocknen und euch der Atem stockt, aber ihr wollt nirgendwo anders sein als dort, nicht um alles in der Welt. Ich brannte darauf, ihm eine Frage zu stellen, sie lag mir bereits auf der Zunge, und ich konnte sie kaum in mir zurückhalten. Trotzdem schämte ich mich, sie zu stellen, da sie ihn hätte verletzen können. Satan setzte einen Ochsen ins Gras, den er soeben erschaffen hatte, lächelte mir zu und sagte:
„Du würdest mich mit deiner Frage nicht verletzen, und falls doch, würde ich dir vergeben. Ob ich ihn gesehen habe? Ach, unzählige Male. Schon, als ich noch ein kleines Kind war, nur ein paar tausend Jahre alt, war ich ihm unter den Wiegenengeln unseres Geschlechts und unserer Herkunft der zweitgrößte Liebling – um einen Begriff aus der Menschenwelt zu verwenden. Ja, von dieser Zeit an bis zum großen Fall, achttausend Jahre lang, nach eurer Zeitrechnung.“
„Achttausend?“
„Ja.“ Er wandte sich an Seppi und es war, als würde er auf eine Frage antworten, die Seppi gerade durch den Kopf ging: „Na klar, natürlich sehe ich aus wie ein ganz normaler Junge, schließlich bin ich ja einer. Bei uns ist das, was ihr Zeit nennt, sehr großzügig angelegt. Es dauert schon eine Weile, bis man da zu einem erwachsenen Engel heranreift.“ Auch mir fiel wieder eine Frage ein, und er wandte sich an mich und beantwortete sie: „Ich bin sechzehntausend Jahre alt – das heißt, ich wäre es, wenn ich so zählen würde, wie ihr zählt.“ Dann wandte er sich an Nikolaus und sagte: „Nein, der Fall hatte weder Folgen für mich noch für den Rest meiner Verwandtschaft. Nur, dass ich nach dem benannt wurde, der die Frucht vom Baum aß und dann den Mann verlockte, und die Frau dazu. Wir anderen wissen noch immer nicht, was Sünde ist; wir sind nicht in der Lage zu sündigen; wir sind ohne Fehl und werden in diesem Zustand immer verharren. Wir ...“ Zwei der kleinen Arbeiter stritten sich, und mit ihrem hummelartigen Gesumme beleidigten und beschimpften sie einander; dann folgten Schläge, und es floss Blut; dann begannen sie zu ringen, und es schien ein Kampf auf Leben und Tod zu sein. Satan streckte die Hand aus und quetschte mit den Fingern das Leben aus ihren Körpern, warf sie weg, wischte sich die blutroten Finger an seinem Taschentuch ab, und nahm seinen Faden wieder auf: „Wir können kein Unrecht tun; wir haben gar nicht die Voraussetzungen dafür, da wir nicht wissen, was Unrecht ist.“
Unter diesen Umständen erschien sein Rede seltsam, aber es fiel uns kaum auf, so schockiert und betrübt waren wir angesichts des mutwilligen Mordes, den er begangen hatte – denn es war Mord gewesen, es gab kein anderes Wort dafür, und da gab es auch nichts zu beschönigen oder zu entschuldigen, da die Männer ihm schließlich nichts getan hatten. Wir fühlten uns elend, da wir ihn so mochten und geglaubt hatten, er wäre so edel und schön und anmutig, und wirklich geglaubt hatten, er wäre ein Engel; aber zu sehen, wie er solch grausame Dinge tat, das setzte ihn in unseren Augen herab, dabei waren wir doch so stolz auf ihn gewesen. Er sprach einfach weiter, so als wäre nichts geschehen, erzählte uns von seinen Irrungen und Wirrungen, und von den interessanten Dingen, die er in den großen Welten unserer Sonnensysteme zu sehen bekommen hatte, und von den Gebräuchen der Unsterblichen, die dort wohnen, was uns irgendwie faszinierte, entzückte, ja verzauberte, trotz der jämmerlichen Szene, die sich gerade vor unseren Augen abspielte: Die Frauen der toten kleinen Männer hatten ihre zerquetschten und entstellten Körper gefunden und beweinten sie, schluchzten und klagten, und ein Priester kniete dort nieder, die gekreuzten Hände vor der Brust, und betete; und immer mehr trauernde Freunde versammelten sich um sie, mit ehrfurchtsvoll entblößten und gesenkten Häuptern, und ihre Tränen flossen, was jedoch Satans Aufmerksamkeit nicht erregen konnte, bis der kleine Lärm, den das Weinen und Beten verursachte, ihm auf die Nerven zu gehen begann. Er griff nach dem hölzernen Sitzbrett unserer Schaukel, holte aus und schlug auf die kleinen Leute ein, bis sie eins mit dem Erdreich wurden wie Fliegen, dann sprach er wieder ungerührt weiter.
Ein Engel, der einen Priester tötete! Ein Engel, der nicht wusste, wie man Böses tut, und dennoch kaltblütig Hunderte von hilflosen armen Männern und Frauen vernichtete, die ihm nie etwas zuleide getan hatten. Es machte uns krank, eine solch schreckliche Tat mit ansehen zu müssen – vor allem, wenn wir daran dachten, dass außer dem Priester keine dieser armen Kreaturen darauf gefasst gewesen war, da keine von ihnen je eine Messe gehört oder eine Kirche gesehen hatte. Und wir waren die Zeugen; wir hatten gesehen, wie jene Morde begangen wurden, und es war unsere Pflicht, es weiterzugeben und das Gesetz sprechen zu lassen.
Er aber hörte nicht auf zu reden und bezauberte uns aufs Neue mit der verhängnisvollen Musik seiner Stimme. Er brachte uns dazu, alles zu vergessen; wir konnten ihm einfach nur zuhören und ihn lieben und seine Sklaven sein, und er konnte mit uns machen, was er wollte. Die Freude, mit ihm zusammen sein zu dürfen, machte uns trunken, und er ließ uns in den Himmel seiner Augen blicken und die Ekstase spüren, die unsere Venen durchzuckte, wenn er uns mit seiner Hand berührte.
Kapitel III
Der Fremde hatte schon alles gesehen, war überall gewesen, wusste alles und vergaß nichts. Was andere mühsam studieren mussten, lernte er in einem einzigen Moment; und so etwas wie Schwierigkeiten gab es für ihn nicht. Und alles, wovon er uns erzählte, erweckte er vor unseren Augen zum Leben. Er hatte zugesehen, als die Welt erschaffen wurde; er war bei der Schöpfung Adams dabei gewesen; er sah, wie Samson sich gegen die Säulen stemmte und der Tempel über ihm zusammenstürzte; er war Zeuge von Caesars Tod; er berichtete vom Alltagsleben im Himmel; er hatte mit angesehen, wie die Verdammten sich in den roten Wogen der Hölle krümmten; und all das ließ er uns wie mit eigenen Augen sehen, als hätten wir uns selbst am Ort des Geschehens befunden. Trotzdem hatten wir das Gefühl, für ihn sei das alles nur ein Zeitvertreib. Diese Visionen von der Hölle, diese armen Säuglinge und Frauen und Mädchen und Burschen und Männer, die kreischten und angesichts ihrer Qualen um Gnade bettelten – nun, wir konnten es kaum ertragen, aber er war so abgestumpft dagegen, als wäre es nur um