Katrin Pieper

Wie Opa und ich die Deutsche Einheit feierten


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      Katrin Pieper

      Wie Opa und ich die Deutsche Einheit feierten

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       1

       2

       3

       4

       5

       6

       7

       8

       9

       10

       11

       12

       13

       14

       15

       16

       Bei uns als eBook erschienen

       Impressum neobooks

      1

       ICH HEISSE PINO PÄCHFOGEL

      Opa sagt, wir sind ein sehr altes Geschlecht und keineswegs verwandt mit irgendwelchen Unglücksraben, außerdem wüsste er auch niemanden, der diesen Namen mit "Ä" und "F" schreibt. Deshalb muss man diesen Namen mit Würde tragen. Opa tut das, außerdem ist er, wie man so sagt, etwas betagt, da traut sich keiner an den alten Pächfogel heran. An mich schon eher. Zum Beispiel fragte mich Frau Oberländer, die neue Deutschlehrerin, nach meinem Namen und ich murmelte erfahrungsreich leise: "Pächfogel".

      Da guckt sie mich scharf an und meint, dass wir es noch ganz schön miteinander zu tun kriegen würden.

      Nun kann sich jeder meine mühseligen Deutschstunden vorstellen, die ohnehin noch nie zu meinen wenigen schulischen Glanzleistungen gehören. Wenn Opa sich vorstellt, sagt er immer laut: "Gestatten - Pächfogel mit, ä f". Da findet keiner was dabei. Dabei könnte man doch denken, Opa sei zu alt, um noch die Rechtschreibung zu behalten, oder dass es sich hierbei schon um die neue Rechtschreibung handelt. Tante Sofie aus Rüsselsheim vermutete eher, dass es mit der Mangelwirtschaft in der DDR zu tun hätte. Weil das 'V' so häufig dort gebraucht wurde, da hätte die Regierung eine private Verwendung nicht zugelassen.

      Ich hab aber gesagt, F's und V's seien reichlich vorhanden, sonst hätte man das doch in der Schule zuallererst gemerkt. Da stünde an der Wandzeitung längst der Aufruf: "Wie können wir zur Schonung der Buchstaben F & V beitragen!"

      Ich lebe in einer Mehrgenerationenwohnung, was nicht immer ganz einfach ist. In vier Zimmern wohnen OPA UND OMA, MAMA UND PAPA, MEINE SCHWESTER SUSE UND ICH und das Wohnzimmer mit einem einzigen Fernseher (!) gehört allen. Dann gibt es noch einen PAPAGEI, PIZZI und den ZWERGHASEN: PAUL HASE. Er gehört eigentlich Suses Freund und "kommt schleunigst raus", hat Mama gesagt. Das war vor etwa sieben Monaten. Inzwischen gibt es den Freund längst nicht mehr aber dafür noch Paul Hase, und zwar auf Mamas Schoß, wenn sie Fernsehen sieht, weil er so lieb und so schön kuschelig ist. Suse schweigt und grinst. Darin ist sie echt stark. Suse kann unheimlich schweigen. Wenn es Krach gibt mit Papa, schreit der am Ende immer: mach endlich den Mund auf! Bei mir ist es umgekehrt. Ich muss immer den Mund halten. Einmal hat Papa sogar zu TANTE SOFIE, seiner einzigen Schwester, gesagt, sie solle einfach mal ihren Mund halten. Papa hat auch nicht Mund gesagt. Aber - egal. Das war, als sie zwei Kuckucksuhren gekauft hatte und die mit nach Rüsselsheim nehmen wollte. Damals hatten wir noch die Grenze und Rüsselsheim lag dahinter.

      Die Tante kam jedes Jahr für sechs Wochen zu uns; dass sie so lange blieb, hatte drei Gründe: neue Dauerwelle, neue Zähne, neue Brille. Das braucht seine Zeit. Dafür brachte sie uns auch immer etwas mit, was Westtanten eben für gut und richtig befanden, wenn's in den Osten ging. Papa kriegte regelmäßig einen neuen Werkzeugkoffer, was Mama 'wieder solchen Schrott' nannte. Und wenn sie das sagte, konnte es zwischen meinen lieben Eltern ganz schön giftig her gehen.

      Anders war es, wenn es Radzierblenden für unseren alten Wartburg gab, da wurde Mama regelrecht sanft, beinahe zuckersüß. Suse meinte, dass die alte Schüssel, also unser Auto, aussähe wie Tante Sofie mit ihren neuen Zähnen, die Opa immer volkseigene Modelle nannte. Tante Sofies Zähne und Opas sahen sich wirklich sehr ähnlich. Papa war ein guter Bruder, zahlte geduldig, was zu zahlen war, weil die Tante das gute Westgeld nicht unnötigerweise gegen die 'Ostlappen' tauschen wollte. Da waren wir mal alle einer Meinung, außer Papa, der meinte, ihm würden die Ostlappen auch nicht nachgeworfen werden und wir würden nun mal gar nicht schlecht davon leben. Was so falsch nun auch wieder nicht war. Papa beschwor die Tante, nur das zu kaufen, was Besucher aus dem goldenen Westen auf der Rückreise in denselben auch mitbringen durften. Die Tante kannte sich da nicht so genau aus und wir waren auch nicht mit jemandem vom Zoll verwandt. Tante Sofies Herz hing damals an Kuckucksuhren. Kuckucksuhren können nur selten fliegen, aber sie geben auf ihre Art Laut, meistens stündlich, je nachdem, wann man solchem Vogel erlaubt, aus dem Häuschen zu sein. Unser Nachbar, ein Kollege von Papa, der die Deutsch-Sowjetische Freundschaft im Betrieb beaufsichtigte, hatte sich eine solche Uhr mal aus Russland von einem Freundschaftstreffen mitgebracht und die sagte Kuckuck auf Russisch, Papa meinte, es würde sich eher wie Lenin anhören, was Mama für einen faulen Witz hielt, aber Papa meinte, nach Kuckuck würde es sich so gar nicht anhören. Wir wussten aber alle nicht, wie ein Kuckuck auf Russisch kuckuckt. Jedenfalls als die Tante mit den Vogeluhren im Koffer über die Grenze fliegen wollte und der Zöllner Tante Sofie fragte, was denn im Koffer so Schönes sei, meldeten sich die Tierchen, was ja richtig ist, denn sie waren schön im Koffer, vielleicht wollten sie auch lieber im Osten bleiben. Papa hatte jedenfalls gewaltigen Ärger mit der Behörde, sagte er. Die Tante fuhr zeternd und vogellos über die Grenze, Papa kam mit den Uhren nach Hause, obwohl er, wie er immer wieder betonte, sie gar nicht haben wollte.

      "Die behalten doch sonst alles", stellte Mama verwundert fest.

      "Vielleicht hatten sie dafür keine Verwendung", seufzte Papa erschöpft.

      Tante Sofie soll auch mit den Rüsselsheimer Stadtnachrichten gedroht haben und gesagt haben, dass die Regierungsautos der DDR ja schließlich auch nicht alte Zweitakter unter der Haube hätten. Der Grenzchef, wie Tante Sofie ihn nannte, soll gefragt haben, was denn das nun mit den Kuckucksuhren zu tun hätte. Sehr viel,