Katrin Pieper

Wie Opa und ich die Deutsche Einheit feierten


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Regierung, sehr beliebt und werden in Rüsselsheim gefertigt, das sollte einer wie Sie, mein Herr, schon mal wissen, und die kommen schließlich auch nicht von allein über die Grenze herübergerollt. Und Kuckucksuhren kommen aus dem Schwarzwald, dort sind sie mal erfunden worden.

      "Und so mein Herr", endete Tante Sofie, "haben wir es hier mit einem Wirtschaftsvorgang zu tun, insofern, als die guten Dinge aus dem Westen schließlich dem Wohl der DDR dienen und es sich in diesem speziellen Fall um eine Art natürlicher Rückführung handelt, wobei die DDR ein gutes Geschäft gemacht hat, denn ich habe sie auch bezahlt, und zwar in der hier landesüblichen Währung."

      Papa meint, der Grenzchef soll ein Weilchen darüber nachgedacht haben und auch sein Begleiter soll ziemlich angestrengt ausgesehen haben. Schließlich aber habe er entschieden und erklärt: "In Gottes Namen, dann nimmt Ihr Bruder die Vogelhausuhren an sich. Beim nächsten Besuch können Sie sich die aufziehen und jede Stunde anhören. Wir werden es aber vermerken."

      Ich hab Papa gefragt, ob der liebe Gott an den Ausfuhrbestimmungen für Kuckucksuhren in der DDR mitgearbeitet hätte. Papa hat gefeixt und gemeint, dann wären sie ja jetzt dort oben und nicht bei ihm im Keller.

      Ich fand, dass es ein schönes Bild ist: zwei geflügelte Kuckucksuhren vor den Himmelstoren und Petrus fragt den lieben Gott: "wohin mit der neuen Ware?" Und der liebe Gott sagt: "Kammer Zwei, links oben, unter die Pornos."

      Seit unser Nachbar von der Beerdigung seiner alten Mutter in Hamburg mit einem Koffer voller Pornohefte geschnappt wurde, die unter seiner getragenen Wäsche versteckt lagen, wissen wir aus der 5b sehr viel mehr über Pornos, die Liebe und alles, was damit zusammenhängt. Ein Heft hat er nämlich retten können, das brachte Carmen mit in die Schule. Es war Langem die beste große Pause, oder wie Suse es nannte: s e n s a t i o n e l l.

      Selbst sie hat offenbar noch was lernen können. Boxer, der schönste Junge aus unserer Schule, hat ein paar Seiten vorgelesen und am Ende waren auch seine Ohren dunkelrot. Es war wirklich eine schöne große Pause.

      Wir konnten aber das Heft nicht zu Ende lesen, Carmen hat es gleich nach der Schule wieder dort hingetan, wo ihr Vater es versteckt hatte, in einem Buch von Karl Marx. "Das Kapital" hieß es und war ein Brigadegeschenk zu seinem fünfzigsten Geburtstag.

      2

      Früher sollen Oma und Opa ein ruhiges, angenehmes Ehepaar gewesen sein.

      Sie hatten zwei Kinder: Papa, der mit richtigem Namen Alfred heißt und immer Freddy gerufen wird, was manchmal wie Teddy klingt, und Tante Sofie, dann noch einen Hund, der Bobby hieß und eine richtige bissige Töle gewesen sein muss, denn Opa zeigt heute noch gern und leidvoll sein zernarbtes Ohr, in das Bobby gebissen hatte, als Opa ihn streicheln wollte. Da hatte der Hund aber gerade über seinem Fressnapf gehangen und mochte keine Störungen.

      Oma soll gelacht haben, als das Blut spritzte.

      Das soll Opa damals sehr gekränkt haben und es war von Lieblosigkeit die Rede. Inzwischen haben sich die Dinge gewaltig verschärft.

      Opa zog nämlich eines Tages seinen Rentnerreisepass hervor und fuhr zu Tante Sofie in das schöne Rüsselsheim - ohne Oma. Davor hätte schon ein Blinder merken müssen, dass sie sich nicht mehr so richtig leiden konnten. Wir jedenfalls in der Mehrgenerationenwohnung haben es schnell mitgekriegt und das konnte einem die Abende und Sonntage ganz schön versauen, denn da hockten wir alle im Wohnzimmer und stritten demokratisch um den Fernseher. Wie das ausging, kann sich jeder leicht denken, jedenfalls nicht zugunsten kleinerer und vor allem jüngerer Minderheiten.

      Ich hab mal mit Suse, meiner älteren Schwester, die ja mehr Lebenserfahrung hat als ich, über Oma und Opa gesprochen. Die meinte, dass es eigentlich gar nicht möglich ist, ein ganzes Leben mit ein und demselben Mann oder derselben Frau zu verbringen.

      "Pass auf", sagt Suse, die gerade dabei war, die Haarsträhnen lilagrün zu übersprayen. "Es ist ziemlich einfach. Erst ist man verliebt und denkt, das muss ein ganzes Leben lang halten. Ahnt ja keiner, wie lang so ein Leben sein kann. Dann kommen die Kinder, für gewöhnlich jedenfalls, da geht's auch noch ganz gut, die ersten Jahre jedenfalls, dann sind die Kinder groß und hatten Krach genug mit den Eltern, gehen also aus dem Haus und die Alten bleiben allein und sind erst mal froh, dass endlich wieder Ruhe ist, und dann, Pino, dann beginnt das große Elend und die geballte Langeweile. Das hält kein Schwein aus. Dann geht der Mann los und nimmt sich was Junges, Süßes, Blondes, damit er mal wieder angehimmelt wird und die Frau sucht sich einen gemeinnützigen Verein, weil sie mal unter die Leute muss. An dem Punkt sind die beiden alten Leutchen. Kannste glauben."

      Suse holte Luft, sprayte noch einen Hauch Gelb über die Haare, die jetzt aussahen wie das Gefieder von Pizzi. Suses Lebenserfahrung hat mich überzeugt und mir taten meine Eltern irgendwie jetzt schon leid, weil die vielleicht noch gar nicht wussten, was ihnen noch so bevorsteht. Denn noch war die Bude voll. Und ich glaube nicht, dass Mama mit was Jungem, Süßen, Blonden gleich einverstanden wäre. Da sitzt doch bestimmt noch eine Menge Krach hinterm Berg.

      "Kannst froh sein, dass es mich gibt. So klug." Suse betrachtete sich zufrieden im Spiegel, ich hatte fast den Verdacht, dass da ein neuer Lover im Anlauf ist. Gestern jedenfalls hatte sie einen an ihrer Seite, der verdammt punkig aussah.

      Aber ich weiß auch, woher Suse ihre Lebenserfahrung hat, nämlich aus dem Internet. Sie war gestern wieder an Papas Laptop, was der nicht ausstehen kann, und hat gesurft. Ich muss sie mal fragen, wie sie das Codewort für Papas Programm herausbekommen hat. Aber hin wie her, Suse ist klug und weiß Bescheid und ich dann jetzt auch. Ich frag mich, wie wohl Papas Freundin später mal aussehen mag? Vielleicht wie Mama, bloß eben dreißig Jahre jünger oder so, vielleicht eben doch süß-blond und schöne Beine. Papa mag blond und schöne Beine. Mamas Haare sind schwarz und mehr so kurz und die Beine eher kräftig, wie Papa es nennt.

      Opa sagte eines Morgens beim Sonntagsfrühstück, er wolle Tante Sofie besuchen. "Ich hör wohl nicht richtig", schrie Oma, "ausgerechnet du? Der letzte Besuch deiner Tochter hat dir wohl nicht gelangt. Wenn ich bloß an dein Geschrei über das bunte Hawaiihemd denke, das Sofie dir mitgebracht hat."

      Opa schwieg ein Weilchen, gab aber dann unangenehm ruhig zurück:

      "Erstens hab ich nicht geschrien und zweitens war das sehr aufmerksam von Sofie, denn sie weiß, ich bin ein Fan von Jürgen von der Lippe." Opa sah uns triumphierend an, denn das war ja nun wirklich eine ganz und gar einleuchtende Erklärung. Wir alle wussten, wie Opa an Lippes Lippen hing, wenn der seine Witze machte oder Peter Maffay nachahmte oder so ins Publikum schaute, als säße da gerade sein bester Freund und das wäre unser Opa. Aber dass er nun auch solch ein Hawaiihemd haben wollte, war uns allen sehr neu. Meine Eltern verhielten sich sonderbar friedlich und ich hatte fast den Eindruck, sie wünschten sich sehr, wenigstens einen der beiden Zankteufel aus dem Haus zu haben.

      OPA PACKTE ALSO EINE ALTE BRAUNE REISETASCHE, in die so viel hineinging wie in zwei mittelgroße Koffer. Oma stand eisern daneben, schob ab und zu ihre Brille hoch und fragte, ob er denn bis Weihnachten wegbliebe. Opa knurrte etwas wie: Man weiß ja nie, besser reichlich als zu knapp und was vom rauen Wetter in Rüsselsheim, und dass er mal so richtig ausspannen und endlich seine Ruhe haben wolle.

      Da verließ Oma Tür knallend das Zimmer und vom Flur her war irgendwas von einem alten Zausel, dem nicht zu helfen war, zu hören.

      Opa guckte hoch.

      "Siehste, das meine ich", sagte er leidvoll. "Kein vernünftiges Wort ist mehr möglich. Gleich ist sie eingeschnappt oder brüllt los."

      Ich halte mich aus so was raus, weil ich da meine Erfahrungen habe. Wem immer man auch beisteht, man kriegt es mit dem anderen zu tun und schließlich hacken beide auf einem herum. Opa zog ächzend den Reißverschluss zu. Ich weiß nicht, wer mehr stöhnte, der alte Reißer oder Opa.

      "Du hättest auch meinen neuen Koffer