Michael Schenk

Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen


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Menschenvölker erinnerte. Es hatte eine rechteckige

      Grundform und war niedriger als die übrigen Bauten, erstreckte sich aber

      stärker in die Breite. Das Dach erinnerte in seiner Form an ausgebreitete

      Flugschwingen und war sorgfältig mit Erde und Steinplatten gedeckt. Die

      Schwingenreiter nannten es das Arsenal, denn hier bewahrten sie ihre

      Ausrüstung, Werkzeuge und die Waffen auf. In einem abgeteilten Raum

      befand sich auch das bedenklich schrumpfende Lager mit Gelbstein.

      Außer Anschudar und dem Streifenreiter war keine andere Lederschwinge

      in der Luft, und sie beide setzten nahezu gleichzeitig auf dem Plateau auf.

      Nachdem der andere Reiter seiner Schwinge den Sattel abgenommen hatte,

      hastete diese mit wenigen Sätzen zu ihrem Unterschlupf hinüber. Showaa war

      unruhig und bewegte ihren langen Hals nervös hin und her, sodass Anschudar

      Mühe hatte, den Sattelgurt zu öffnen. Ihre noch weichen Krallen bohrten sich

      in den Boden, und die beiden Pupillen suchten instinktiv nach einer Zuflucht

      vor dem Unwetter. Ihr Reiter berührte eine der Lenkschwingen ihres Kopfes

      und deutete zu einem der künstlich geschaffenen Bauten. »Dort, Showaa.

      Dort ist es sicher.«

      Das Flugwesen stieß einen heiseren Schrei aus und trabte im wiegenden

      Schritt ihrer Art auf das riesige Ei zu. Anschudar hatte Mühe, ihr zu folgen.

      Normalerweise hätte er sich bei den anderen Schwingenreitern im Arsenal

      eingefunden, aber Showaa war gerade erst geschlüpft und daher unerfahren.

      Der Horst war ihr noch fremd, und so versuchte ihr Reiter, das nervöse Wesen

      zu beruhigen.

      Die Donnerschläge hallten übermächtig und schmerzten in den Ohren.

      Schatten der Wolken hatten den Horst der Lederschwingen erreicht und

      hüllten ihn in Dunkelheit. Eine Finsternis, die immer wieder vom grellen

      Aufflackern eines Blitzes erhellt wurde. Anschudar drängte Showaa in ihren

      Unterschlupf und strich ihr besänftigend über die Lenkschwingen. Die beiden

      Schlitzpupillen in ihrem Auge schienen aufeinander zuzulaufen und dann

      wieder auseinanderzustreben. Anschudar kannte dieses Anzeichen der Angst.

      Instinktiv versuchte das Flugwesen, die Gefahr zu fokussieren, um ihren

      Brennstrahl auszulösen, obwohl sie spürte, dass ihre Macht dem

      Gewittersturm nicht gewachsen war.

      »Ganz ruhig, Showaa, ganz ruhig«, schrie Anschudar gegen den Lärm des

      Sturms an. »Es wird bald vorüber sein. Dir wird nichts geschehen.«

      Der junge Schwingenreiter spähte durch die Öffnung des Unterschlupfes

      über das Plateau hinweg. Es war ein ungewöhnlich schwerer Sturm, und die

      Blitze zuckten waagrecht und senkrecht durch die Wolken, als wollten sie ein

      Netz aus gleißendem Licht in die Dunkelheit weben. Es war noch kälter

      geworden, doch es blieb trocken. Die Wolken regneten schon in den tieferen

      Gebirgsregionen ab. Anschudar konnte das Gewitter riechen und ebenso die

      Furcht der unerfahrenen Schwinge. Showaa legte ihren riesigen dreieckigen

      Kopf an seinen Leib und hätte ihn beinahe zu Fall gebracht. Unbewusst strich

      er mit der Handfläche über ihre Haut. Trotz der ledrigen Schuppen fühlte sie

      sich glatt und angenehm warm an.

      Anschudar zuckte zusammen, als ein Blitz in die Felsnadel fuhr.

      Blauweiße Flammen umhüllten den Stein und wanderten daran hinunter. Erst

      kurz über dem Dach des Arsenals verloren sie an Kraft. Der junge

      Schwingenreiter biss die Zähne aufeinander. Es war ein heftiger Einschlag

      gewesen, und es hätte nicht viel gefehlt, und der Blitz hätte sogar das Arsenal

      erreicht. Das war noch nie zuvor geschehen, und Anschudar fragte sich, was

      wohl passieren mochte, wenn das Gebäude getroffen würde.

      Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gesponnen, als es tatsächlich

      geschah.

      Es waren zwei Blitze, die aus verschiedenen Richtungen herabfuhren, sich

      über der Felsnadel vereinten und sich erneut trennten. Irrlichtern gleich

      umtanzten sie den Felsen. Rasend schnell glitten sie tiefer, und direkt über

      dem Arsenal vereinten sie sich zu einer krachenden Entladung. Das Bauwerk

      erstrahlte in bläulichem Licht, und Funken spritzten über den Boden des

      Plateaus.

      Von Entsetzen und Faszination gleichermaßen erfüllt, starrte Anschudar

      auf Lichterbahnen, die vom Arsenal auszugehen schienen und wie die

      Strahlen der Sonne auf die Bauten am Rand des Plateaus zuschossen. Der

      junge Schwingenreiter war wie gelähmt, er bemerkte kaum, wie Showaa sich

      an die Rückwand des Unterschlupfes presste. Doch er spürte die plötzliche

      Hitze um sich, als die Lederschwinge unbewusst ihren Flammenatem

      ausstieß. Zum Glück waren ihre Brennkammern noch nicht gefüllt, und sie

      trug auch keinen verstärkenden Gelbstein, sodass die flüchtig aufflackernde

      Flamme nur den Rücken seiner Jacke versengte. Dann erlosch sie, ebenso wie

      das Tanzen der Blitzfunken auf dem Plateau. Jetzt, nachdem der grelle

      Lichtschein erloschen war, wurde ein gelbes Glühen sichtbar, das von einer

      Seite des Arsenals auszugehen schien. Das Gelb wandelte sich zu einem

      giftigen Grün, während die Tür des Gebäudes aufflog. Eingehüllt von dichten

      Rauchschwaden, quollen mehrere Männer aus der Öffnung hervor.

      Schwingenreiter, die versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Erst jetzt

      erkannte Anschudar, dass der Doppelblitz die Vorräte an Gelbstein getroffen

      hatte.

      Die Schwingenreiter rannten in verzweifelter Hast, denn wenn die Hitze

      des Feuers zu groß wurde, würden die Gelbsteine explosionsartig zerbersten.

      Die Männer hatten kaum die halbe Strecke zu den Randbauten überwunden,

      als das Dach des Arsenals zersprang. Steinquader, Holz und undefinierbare

      Fragmente sprühten, einem Vulkanausbruch ähnlich, in den Himmel. Auch

      Anschudar spürte den warmen Hauch des Explosionswindes, aber die meiste

      Energie entlud sich nach oben. Als sei der Gewittersturm mit dem

      angerichteten Unheil zufrieden, rissen mit einem