Norbert Kuntz

Daniel & Andiswa


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hier hängt auch das noch mit unserer Apartheidsgeschichte zusammen. Viele sprechen auch heute noch von den ,Black Taxis’, weil das ursprünglich das Nahverkehrssystem für uns Schwarze in den Townships war. Du wirst auch heute immer noch nur ganz wenige Weiße finden, die damit fahren. Die Metro und die Golden-Arrow-Busse waren für die langen Strecken von den Townships zu den Arbeitsstätten gedacht und der MyCitiBus wurde ja erst zur Fußball-WM erfunden und verkehrt überwiegend in den reicheren weißen Gegenden.“

      „Ja, ich hab schon gesehen, wie kompliziert das Nahverkehrssystem ist, wenn man es überhaupt System nennen kann. Nach Kirstenbosch kommt man zum Beispiel gar nicht hin, wenn man kein eigenes Auto hat!“

      „Das war und ist vermutlich auch immer noch so gewollt. Der Botanische Garten dient ausschließlich dem Freizeitvergnügen derer, die sich ein Auto leisten können. Ich war einmal bei einem Schulausflug dort und dann im Studium für ein Fotoshooting, wohin mich jemand mitgenommen hat. Heute fahre ich zum ersten Mal zu meinem Privatvergnügen dorthin!“

      „Aber die Menschen, die da arbeiten, müssen doch auch hin kommen?“

      „Es gibt, soweit ich weiß, ganz früh morgens ein paar Golden Arrow Busse von der Stadt aus nach Kirstenbosch und abends zurück. Aber da wirst du keine Informationen zu finden.“

      Passend zu unserer Unterhaltung stehen wir mittlerweile auch schon eine ganze Zeit auf der Autobahn im Stau Richtung Kirstenbosch. Auto an Auto reiht sich in die Schlange ein, es gibt offenbar keine andere Möglichkeit zum Parlotones-Konzert zu kommen. Mit 5000 verkauften Tickets ist das Konzert außerdem ausverkauft, wie man mir sagte, als ich vor zwei Wochen zu den letzten Glücklichen gehörte, die noch Tickets erhaschen konnten.

      Am Botanischen Garten ist man aber ganz gut auf den motorisierten Ansturm vorbereitet, denn es gibt reichlich Parkplätze auf verschiedenen Wiesen, die ansonsten sicher anders genutzt werden. Und auf die Idee, daraus ein gutes Geschäft zu machen, ist noch niemand gekommen. Das Parken ist tatsächlich kostenlos!

      Das Konzert beginnt zwar erst um halb sechs, aber die meisten Besucher kommen, wie wir, schon recht zeitig, denn zum einen ist ab vier Uhr Einlass auf die Konzertwiese und zum anderen ist mit der Konzertkarte auch freier Eintritt in den Botanischen Garten verbunden. So können auch wir uns noch ein wenig im Park umsehen. Die Jahreszeit ist jetzt, am Ende des Sommers, allerdings etwas ungünstig. Nach der monatelangen Trockenheit und Sommerhitze finden sich kaum blühende Pflanzen im Garten. Aber die verschiedenen Vegetationsbereiche aus der ganzen Welt können mich dennoch begeistern. Andiswa hingegen marschiert relativ lustlos durch Fynbos, Silberbaumwald, Farnwald, Heide und die Palmfarne, die immerhin schon Millionen Jahre die Erde begrünen. Während ich die eindrucksvolle Landschaft fotografiere, versucht sie möglichst, nicht mit ins Bild zu kommen.

      Höhepunkt unseres kurzen Rundgangs ist die Boomslang, ein aufgeständerter 130 Meter langer Holzsteg, der sich in zwölf Metern Höhe zwischen den Baumwipfeln hindurch schlängelt. Hier hellt sich Andiswas Miene auf. Es macht ihr sichtlich Spaß, den wackeligen Weg noch mehr in Schwingung zu versetzen, als sie merkt, dass ich nicht so wirklich höhenfest bin und mein Gesicht noch bleicher wird, als es im Vergleich zu ihrem eh schon ist.

      „Hei, das ist lustig und schau – dieser fantastische Blick auf den Tafelberg! Komm, gib mir deine Kamera, ich mache ein Erinnerungsfoto für den deutschen Journalisten-Touristen!“

      Ich halte mich gut am Geländer fest und versuche, beim Lächeln möglichst nicht gequält auszusehen. Sie schießt eine ganze Fotoserie von mir auf der Baumschlange – bis sie endlich mit dem Ergebnis zufrieden ist und mir die Kamera hinhält, damit auch ich die Fotos begutachten kann.

      „Prima – und jetzt du!“

      Ich nehme die Kamera hoch, aber sofort dreht sie mir den Rücken zu.

      „Nein! Ich bin die Frau hinter der Kamera, kein Model, das vor der Kamera steht. Von mir macht niemand Fotos – außer vielleicht ein anderer Profi oder ich selbst mit Selbstauslöser. Ich wäre mit Fotos, die du von mir machst, nie zufrieden. Also bitte versuch es gar nicht erst!“

      Sie sagt das mit einer derartigen Bestimmtheit, dass ich meine Kamera sogleich wieder herunter nehme und in meiner Tasche verstaue. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie ihre Kamera gar nicht dabei zu haben scheint. Ob das wohl daran liegt, dass sie einen klaren Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit macht? Das heißt, sie trifft sich mit mir ohne Kamera und in diesem schicken Kleid – wie bei einem Date! Meine innerliche Freude lässt mich schmunzeln, was sie hoffentlich nicht fehl interpretiert.

      „Hab verstanden. Du hast deine Kamera heute ja gar nicht mitgebracht. Möchtest du keine Bilder beim Konzert machen?“

      „Die kann ich auch mit dem Handy machen. Es erschien mir zu gefährlich, die Kamera am Sonntag mit ins Taxi zu nehmen. Normalerweise verstecke ich die Kamera immer in meinem alten Rucksack. Aber der hätte nicht zu meinem Outfit gepasst.“

      Wie zum Beweis tanzt sie auf der Baumschlange vor mir herum und schwingt dabei ihr Kleid rhythmisch in einem imaginären Takt hin und her. Dabei schwingt natürlich auch der Holzsteg wieder fleißig mit und nicht nur der Anblick meiner Begleiterin raubt mir jetzt gerade den Atem.

      Glücklicherweise rückt der Konzertbeginn näher und wir müssen uns vom Steg in Richtung Eingang der Konzertwiese begeben. Hier zeigt sich, dass ein Tipp meiner Wohngemeinschaft mal wieder Gold wert ist: „Stell dich nicht um vier Uhr in die lange Warteschlange, sondern komme etwa 45 Minuten später, dann bist du direkt drin!“ Und die zweite Einschätzung stimmt auch: „Die Leute sitzen nicht gerne am Wiesenrand vor der Bühne, weil auf dem Weg direkt vor der Bühne immer getanzt wird und man dann nichts sieht. Aber echte Fans tanzen doch sowieso mit, oder?“ Zumindest Andiswa ist ja ein echter Fan und wir ergattern ein schönes Plätzchen auf der Wiese, keine zehn Meter von der Bühne entfernt, und machen es uns auf Clarence’ Picknickdecke gemütlich.

      Wir haben vor Konzertbeginn noch genügend Zeit, die Leckereien aus meiner Kühlbox zu genießen. Andiswa ist auch extrem hungrig. Mit dem Wein kann ich ihr allerdings keine Freude machen, also teilen wir uns den Appletiser.

      „Trinkst du gar keinen Alkohol?“

      „Nein. Ich habe gesehen, was Alkohol mit Menschen macht und dann für mich entschieden lieber gar nichts anzurühren. Das hat keine religiösen Gründe oder so.“

      „Dann brauche ich die Weinflasche ja gar nicht zu öffnen, denn wenn ich fahre, dann trinke ich normalerweise auch nichts. Ich hätte jetzt höchstens ein Gläschen zum Essen getrunken, da es noch ein paar Stunden dauert, ehe ich wieder hinterm Steuer sitze.“

      Das bleibt die einzige Konversation während unserer Wartezeit. Es spricht sich ja bekanntlich auch schlecht mit vollem Mund. Aber während des Picknicks kann ich meinen Blick doch hin und wieder von Andiswa losreißen und die anderen Konzertbesucher beobachten. Und da stelle ich als Erstes fest, dass Andiswa mit ihrer Einschätzung, Schwarze würden weiße Musik mögen und umgekehrt, in Bezug auf dieses Konzert wohl Unrecht hat. Die Konzertbesucher sind zu 90-95 % Weiße und die schwarzen und farbigen Menschen, die ich ausmachen kann, sind zumeist in weißer Begleitung – wie Andiswa. Ich glaube auch, bei ihr ein gewisses Unwohlsein inmitten dieser Fangemeinde hier in Kirstenbosch zu spüren, denn auch sie schaut sich natürlich beim Essen ein wenig um. Ihr Blick strahlt nicht gerade unbändige Freude auf das bevorstehende Konzert ihrer südafrikanischen Lieblingsband aus.

      Das Wetter passt sich unserer merkwürdigen Stimmung auch immer mehr an. Hatte bei unserem Rundgang durch den Park noch die Sonne geschienen, schieben sich nun dunkle Wolken mehr und mehr vor den Tafelberg und verhindern den eigentlich wundeschönen Ausblick auf die Naturszenerie hinter der Bühne.

      Dann gehen endlich die Scheinwerfer an und das Konzert beginnt. Mit dem grellen Licht hellt sich auch Andiswas Miene wieder auf, und als Khan das Mikrofon ergreift und fragt, ob wir alle gut drauf sind, hallt es aus 5000 Kehlen: „Ja!“

      Andiswa