Norbert Kuntz

Daniel & Andiswa


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hieven. Er stammt aus Malawi, wie er mir sogleich erzählt und eigentlich fährt er lieber nachts. Er klärt mich auch gleich über den Grund auf.

      „Da verdient man besser, weil die Kunden großzügiger mit dem Trinkgeld sind, weißt du.“

      Ein cleverer, geschäftstüchtiger Hinweis. Er kam 2010 zur Fußball-WM nach Kapstadt und hat gleich diesen Taxi-Job gefunden.

      „Malawi ist ein armes Land. Es gibt dort kaum Jobs, daher hab ich mit meiner Familie die Heimat verlassen und bin hierher gekommen.“

      Er erklärt mir weiter, dass er eine gute Ausbildung hat, sogar studiert habe, was ihm ohne Job aber nichts nütze. Das sei hier in Südafrika genau umgekehrt, das Bildungsniveau sei allgemein niedrig, aber es gäbe viele Jobs. Das sei gut für Ausländer wie ihn, führe aber auch zu Ausländerfeindlichkeit.

      „Von den Auswüchsen der Xenophobie hast du doch bestimmt schon gehört, oder?“

      Die Gewaltexzesse schwarzer Südafrikaner im vorigen Jahr gegenüber Migranten aus allen Teilen Afrikas waren natürlich auch in der deutschen Presse ein großes Thema gewesen. Leider hatte mein Vorgänger nur sehr unzureichend darüber berichtet.

      Aus der Menge an Gepäck, die ich habe, schließt Vincent, dass ich sicher kein normaler Tourist sei. Wie lange ich denn bleiben würde?

      „Ein ganzes Jahr“.

      Ich erzähle ihm, dass ich Journalist sei, für ein großes deutsches Magazin arbeite und an Geschichten von besonderen und erfolgreichen Menschen interessiert sei.

      „Die suchst du hoffentlich nicht nur in der High Society! Du solltest dich auf jeden Fall auch in den Townships umschauen, da findest du das wahre Südafrika!“

      Während er mir diesen Ratschlag mit auf den Weg gibt, sind wir auch schon an dem Hotel in der Innenstadt angekommen, wo ich die ersten Tage meines Auslandsjobs verbringen werde. Vincent lädt noch meine Koffer aus und gibt mir im Austausch für sein verdientes Trinkgeld seine Telefonnummer.

      „Wann immer du Hilfe brauchst, ruf mich an.“

      Ich denke gerade noch darüber nach, ob das wohl ernst gemeint ist, da spricht mich von hinten jemand anderes an.

      „Hi, du musst Daniel sein, ich bin Bradley, dein Leihwagen steht hier drüben auf dem Hotelparkplatz.“

      Bradley ist ein Coloured, also ein Nachfahre der Sklaven aus Asien und anderen afrikanischen Ländern, die sich mit den Weißen vermischt haben. Bei meinem ersten, kurzen journalistischen Einsatz in Südafrika während der Fußball WM 2010 habe ich gelernt, dass die Gesellschaft hier in diesem Land die Menschen auch viele Jahre nach Ende der Apartheid nach Rassen, die sich an der Hautfarbe orientieren, unterscheidet! Es wird unterteilt in Schwarze, Coloureds, Inder und Weiße. Für uns Europäer ist dabei besonders die Unterscheidung von schwarz und coloured nicht einfach, da sich die Menschen in der Hautfarbe häufig gar nicht unterscheiden. Es ist die Geschichte, die sie zu verschiedenen Völkern macht: Die Schwarzen gehören einem Volk mit eigener Sprache an, der seit Jahrhunderten im südlichen Afrika beheimatet ist, wohingegen die Coloureds von den Weißen als Sklaven hierher verschleppt wurden und keine eigene Sprache und keine gemeinsame Kultur zu haben scheinen.

      Bradley ist ein hagerer Mann, Mitte Vierzig, in Mechanikerkluft mit leicht ölverschmierten Fingern, dem der Papierkram, den wir nun zu erledigen haben, eher lästig zu sein scheint. Ich brauche aber auch nur zwei Unterschriften zu leisten, meine Kreditkarte einmal durch seine Maschine zu ziehen und schon gehört der weiße Kleinwagen südkoreanischer Bauart mir. Bradley versichert mir, dass der Wagen in technisch einwandfreiem Zustand sei, auch wenn es sich schon um ein etwas älteres Modell handele. Ich vertraue seinen Mechanikerfähigkeiten – vermutlich wegen seiner Arbeitskleidung – und auch er gibt mir eine Visitenkarte mit Telefonnummer.

      „Wann immer du Hilfe mit dem Auto brauchst, ruf mich an.“

      Da bin ich also gerade zwei Stunden im Land, schon habe ich zwei Helfer in der Not!

      Ebenso freundlich werde ich im Hotel eingecheckt, und schon stehe ich am Fenster meines Zimmers in der 14. Etage und genieße den Ausblick auf den Tafelberg. Über 1000 Meter erhebt dieser sich vom Meeresspiegel und bildet die natürliche Grenze der Innenstadt auf der dem Meer abgewandten Seite. Er wirkt von hier unten tatsächlich flach wie ein Tisch (=Tafel auf Holländisch) und hat heute auch seine berühmte Tischdecke auf. Das ist eine Wolkenformation, die sich auf der anderen Seite des Berges bildet und dann über die flache Gipfelregion herüber strömt, um sich in Richtung Stadt hinunter zu ergießen. Auf dreiviertel der Höhe lösen sich die Wolken dann wie von Geisterhand auf. Ein einmaliges Schauspiel!

      Zwickt mich mal bitte jemand? Da bin ich, Daniel Springer – nicht verwandt und nicht verschwägert mit der berühmten Verlegerfamilie, aber durch den Namen prädestiniert für das Journalismusstudium, wie alle Kommilitonen immer zu sagen pflegten – in der schönsten Stadt der Welt und darf hier ein Jahr arbeiten! Meine Kolleginnen und Kollegen hatten alle ganz neidisch zu mir herübergeschaut als der Chefredakteur auf der kleinen Bürofeier zu meinem 30. Geburtstag seine Entscheidung wie ein Geschenk an mich verkündete.

      „Lieber Daniel, wir wollen dich nach Kapstadt schicken. Ich hoffe, du wirst uns und unseren Lesern viele spannende Geschichten aus Südafrika erzählen. Das ist deine große Chance – mach was draus!“

      Das war doch sehr überraschend gekommen, nachdem Peter Wächter, unser langjähriger Korrespondent für das südliche Afrika, bei einem Autounfall tragisch ums Leben gekommen war und es zuerst hieß, dass sich die Redaktion eine Stelle dort unten wohl nicht mehr leisten werde.

      Es sei ein Versuch, wurde mir gesagt, daher sei mein Engagement erst einmal auf ein Jahr befristet. Und mich hatte man ausgewählt, da ich zur Fußball-WM als Volontär bereits vier Wochen in Südafrika gewesen war und unseren Korrespondenten damals wohl recht gut unterstützt hatte. Peter hatte mir jedenfalls eine äußerst positive Beurteilung geschrieben, die dem Chef anscheinend im Gedächtnis geblieben war.

      Damals war alles ganz anders gewesen, das Land war im Ausnahmezustand und das ganze Volk ergriffen von einer unglaublichen Euphorie. Ich bin gespannt, wie sich das für mich nun, fünf Jahre später, darstellt. Peter hatte immer von einer großen Ernüchterung geschrieben und einer zunehmenden Frustration, dass sich im Land doch nicht viel verändert, beziehungsweise verbessert hätte. Ich werde mir nun mein eigenes Bild machen.

      Lange kann ich mich leider nicht an der Aussicht ergötzen und meinen Gedanken hingeben, denn bereits am ersten Abend habe ich eine wichtige Verabredung. Ich werde Regina Beck aus Frankfurt treffen, Gast-Professorin am Zentrum für Film and Medien der Universität von Kapstadt und dort zuständig für die Ausbildung der Studenten im Bereich Printmedien. Sie war mit Peter gut befreundet und soll mir den Einstieg in meine journalistischen Recherchen erleichtern. Wir sind im Deutschen Club zum Abendessen verabredet.

      Der Deutsche Club wirkt auf mich wie ein Relikt aus den Sechzigern oder Siebzigern. So müssen zu jener Zeit in der alten Bundesrepublik alt eingesessene Gaststätten ausgesehen haben: Möbel aus deutscher Eiche, die Theke mit Resopal-Kunststoff-Oberfläche, röhrende Hirsche und Jägermeister-Reklamespiegel an den Wänden und Rentner bei einem frisch gezapften Pils und einem Korn an der Theke sitzend. Nicht zu vergessen, die beiden Fernseher, die an der Decke befestigt sind und auf denen gerade die Tagesschau läuft. Ein Plakat weist auf die Kegelbahn hin, die man für private Feiern oder einfach zum geselligen Spiel mieten kann. Bin ich hier wirklich in Südafrika?

      Ich bestelle mir ein Pils aus Namibia – nach deutschem Reinheitsgebot gebraut, werde ich aufgeklärt – und werde von den Herren an der Theke neugierig beäugt. Als ich schon befürchte, nun in ein Gespräch hineingezogen zu werden, geht glücklicherweise die Tür auf und Frau Professor Beck tritt ein. Sie ist mit Ausnahme der Kellnerin die einzige Frau in diesem antiquierten Schankraum und steuert gleich auf mich zu, den einzigen unter Sechzigjährigen im Raum.

      „Hi,