Norbert Kuntz

Daniel & Andiswa


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Vierzig, hat eine schlanke sportliche Statur, trägt Kurzhaarfrisur und ist nicht geschminkt. Sie ist außerdem sehr lässig gekleidet, so als käme sie gerade vom Jogging. Karen, meine amerikanische WG-Mitbewohnerin in Hamburg würde sagen: Eine typische deutsche graue Karrieremaus! Karen echauffiert sich nämlich gerne darüber, wie wenig Wert gebildete deutsche Frauen auf ihre äußere Erscheinung legen, weil wir in Deutschland offenbar davon ausgingen, dass hübsche Frauen zumeist dumm seien und kluge, erfolgreiche Frauen daher nicht hübsch sein sollten. In den USA sei das nicht so – zumindest laut Karen.

      Ich bin überrascht, dass Gina mich hier treffen wollte. Sie erkennt gleich mein Unbehagen in dieser Umgebung und klärt mich diesbezüglich auf.

      „Weißt du, wenn du ein paar Jahre im Ausland lebst, dann genießt du von Zeit zu Zeit einfach einen Leberkäse, eine Rostbratwurst oder ein Wiener Schnitzel als Erinnerung an die Heimat. Deshalb habe ich mich mit Peter immer hier im Club getroffen. Außerdem ist es ganz gut, im Netzwerk der Deutschen hier in Kapstadt eingebunden zu sein.“

      Sie erstaunt mich mit der Aussage, dass im Raum Kapstadt mehr Deutsche leben als auf Mallorca. Und diese haben einen gehörigen Einfluss in der Stadt, denn sie besitzen Firmen, leiten Hotels und Restaurants und sind auch politisch aktiv. Die deutsche internationale Schule ist eine der renommiertesten Schulen der Stadt und ein deutscher Rotary Club organisiert gemeinsam mit der Deutschen Botschaft das alljährliche Fest der deutschsprachigen Gemeinschaft. Nicht zuletzt hat die Premierministerin des Westkaps, Hellen Zille, deutsche Wurzeln und versteht auch unsere Sprache sehr gut.

      „Da findest du bestimmt jede Menge interessante Storys über deutsche Auswanderer, die hier in Kapstadt ihre Erfolgsgeschichte geschrieben haben. Einige dieser Geschichten wurden sogar schon im deutschen Fernsehen erzählt!“

      Ich weiß, dass diese Erzählungen auch ein Steckenpferd von Peter waren, der interessant von dem badischen Winzer zu berichten wusste, der in Stellenbosch auf einem einst heruntergekommenem Weingut heute erstklassige Weine anbaut. Ebenso hatte er natürlich dem bayerischen Sternekoch, der eines der besten Restaurants in Kapstadt führt, über die Schulter in die Töpfe geschaut und war dem Stararchitekten aus Berlin auf die Baustellen der edelsten Villen in den Nobelvororten Constantia und Camps Bay gefolgt. Aber ist das auch meine Welt? Ich denke an die Worte von Vincent, dem Taxifahrer von heute Nachmittag – ich solle meine Geschichten lieber in den Townships suchen und nicht in der High Society – auch nicht in der Deutschen.

      Ich will es mir an meinem Ankunftstag aber nicht gleich mit Gina verscherzen, also stimme ich ihrem Vorschlag zu, in der kommenden Woche mal mit ihr bei den verschiedenen Treffpunkten der Deutschen vorbei zu schauen und mit dem Netzwerken zu beginnen. Schaden wird es schon nicht – immerhin hat das Pils aus Namibia, nach deutschem Reinheitsgebot gebraut, und der Leberkäse mit Kartoffelpüree trotz des eigenartigen Ambientes im Deutschen Club ja auch gut geschmeckt.

      Deutsch sein?

      Überall in Kapstadt begegne ich ihnen und an jeder Ecke höre ich meine Muttersprache – unvorstellbar – meine Landsleute scheinen sich diese wunderbare Stadt regelrecht einverleibt zu haben. Und sie sind nicht allein gekommen, auch hier am südlichen Ende Afrikas machen die Gummibärchen aus Bonn nicht nur die Kinder, sondern ebenso die Erwachsenen froh und die Schokolade ist quadratisch, praktisch, gut. Und sogar der in anderen afrikanischen Ländern geerntete Kaffee wurde in Deutschland geröstet und krönt nun nach langem Rücktransport die hiesigen Frühstückstische!

      „Alles, was ihr herstellt, ist halt erstklassig!“

      Das erklärt mir jedenfalls die Frau im Supermarkt, als ich mir eine Flasche bayerisches Weizenbier kaufe. Und ich dachte, das gelte nur für Autos – aber Made in Germany sogar als Qualitätsmerkmal für Toilettenpapier, das wäre mir nie eingefallen!

      Die Deutschen, die ich dank Gina im deutschen Restaurant, beim deutschen Bäcker, an der deutschen Schule und bei diversen Treffen hier und da kennenlerne, teile ich für mich in verschiedene Kategorien ein:

      Da wären zuerst die Alteingesessenen. Sie leben schon 30 Jahre und länger hier in Kapstadt und kennen sich mit allem besonders gut aus. Auch wenn ich sie als Profiteure des früheren Apartheidsystems bezeichnen möchte, sehen sie sich selbst natürlich nicht so. Im Prinzip waren sie ja schon immer gegen die Rassentrennung und sie haben ja auch nichts gegen die Schwarzen, aber ,ohne Uns’ würde es hier ja überhaupt nicht laufen, denn ,Die’ sind ja so unorganisiert, ineffektiv und faul. Und diese Deutschen wissen immer ein paar Beispiele zu berichten, die ihre Vorurteile bestätigen, dabei haben sie zumeist keine Ahnung vom Alltag der schwarzen und farbigen Bevölkerung.

      Ich erinnere mich an ein typisches Beispiel für solch einen Alteingesessenen: ein Frisör, der mir während meines ersten Aufenthalts zur Fußball-WM 2010 die Haare schnitt. Er beschäftigte damals in seinem Salon ausschließlich Mitarbeiterinnen aus Zimbabwe. Dafür hatte er seine Gründe:

      „Die Immigranten sind fleißiger und pflichtbewusster als die Einheimischen, die müssen in ihrem Heimatland ja auch noch eine Familie ernähren!“

      Zu seiner Überraschung begann ich ein Gespräch mit der jungen Frau, die mir die Haare wusch, und fragte sie, wo sie denn wohne.

      „Ich wohne in Victoria Mxenge, Site B in Khayelitsha.“

      „Kenne ich, da ist doch auch die Usasazo High School, da bin ich öfter, weil der DFB dort ein Jugend-Fußballprojekt initiiert hat.“

      Der Frisörmeister hatte einen Ausdruck von Entsetzen, ja fast Panik, im Gesicht. Zuerst blieb ihm der Mund offen stehen und er brachte keinen Ton heraus, doch dann entfuhr ihm doch noch kurzatmig ein Kommentar.

      „Oh mein Gott – Nein – da kann man doch nicht hin fahren, da wird man doch gleich umgebracht! Sind Sie denn lebensmüde?“

      Während ich versuchte die Reaktion der Haarwäscherin auf diese Äußerung aus ihrem Gesichtsausdruck abzulesen, erfuhr ich von dem Frisör –als er wieder zu seiner normalen Stimme gefunden hatte – dass er noch nie weiter als Woodstock vom Stadtzentrum entfernt war und da war ihm schon äußerst mulmig zu Mute gewesen, wie er betonte.

      Als die junge Frau aus Zimbabwe mich später fönt, knüpft sie an unser vorheriges Gespräch an.

      „Wir wissen genau wie die Weißen leben, aber die meisten Weißen wissen gar nichts über unsere Lebensumstände! Der Chef betreibt seinen Salon seit 33 Jahren und kennt doch nichts von diesem Land. Er lebt wie unter einer Glasglocke in seiner eigenen Welt.“

      Viele Deutsche, die ich nun fünf Jahre später hier in Kapstadt treffe, kamen aber erst nach dem Ende der Apartheid ins Land, wobei ich zwei ganz unterschiedliche Typen von Einwanderern kennen lerne. Die Einen sind gekommen, um zu helfen das Land nach der Befreiung mit aufzubauen, sie haben nicht nur Pioniergeist für ihre eigene Karriere, sondern engagieren sich auch sozial und gesellschaftlich, um die große Kluft zwischen Schwarz und Weiß überwinden zu helfen. Deutliches Zeichen versuchter gelebter Integration ist die große Anzahl an gemischten Paaren, sowohl deutsche Männer als auch deutsche Frauen haben offensichtlich häufig schwarze Partner. Als ich die Deutsche Schule besuche, fallen mir die erstaunlich vielen Brownies – so titulierte Kinder aus diesen Beziehungen – auf.

      Die Anderen, die Gina mir vorstellt, sind die typischen Karrieristen. Für sie ist es entscheidend, dass sie sich in Südafrika mit vergleichbar geringen finanziellen Mitteln einen wesentlich höheren Lebensstandard leisten können als in Deutschland. Und der wird auch gern zur Schau gestellt. Sie betonen, dass es anders als in Deutschland hier keine Neid-Gesellschaft gäbe. Sie profitieren vom hiesigen Kapitalismus nach amerikanischem Vorbild. Die Schwarzen sind wichtig als billige Arbeitskräfte, aber ansonsten ist jeder seines eigenen Glückes Schmied – wieso sollte man da vom eigenen Erwirtschafteten etwas abgeben?

      Und dann begegnet einem noch ein Heer deutscher Freiwilliger, junge Menschen zwischen 18 und Mitte 20, die entweder einen sozialen Dienst, ein Berufspraktikum