Gwain Beisemann

Drakoria - Vom Blut des Sternenwolfes


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zurück in das gläserne Tintenfass, mehr brauchte sie nicht zu schreiben, jedenfalls jetzt nicht. Die Nachwelt brauchte nicht alles über die vergangenen Tage zu wissen, besonders nichts über Ardiks baldige Abreise, welche, wenn alles nach Plan lief, in wenigen Tagen anbrechen würde. Ein Gedanke kam ihr, schnell und zielsicher wie der Blitz eines abendlichen Sommergewitters und sie zog die kleinen purpurnen Stein wieder aus ihrer Tasche, er fühlte sich schwerer an als das letzte Mal, ihn hatte sie nach dem Kampf gegen einige maladrische Soldaten erbeutet und wusste bis jetzt nichts rechtes damit anzufangen. Was sie aber nun spürte war, das er schwerer geworden zu sein schien, und auch die magische Kraft in ihm selbst hatte wohl zugenommen. Abschätzend wog sie ihn in der Hand, tatsächlich, die magische Energie war um ein vielfaches stärker als noch vor einigen Wochen. Einige Theorien kamen Daria dabei in den Sinn, aber nur eine von ihnen schien plausibel zu sein. Der Stein hatte anscheinend die Energie der um sie herum sterbenden in sich aufgenommen, eine andere Erklärung gab es nicht. Wenn dies jedoch so war, dann war dies, was sie gerade in den Händen hielt eine mächtige und angsteinflößende Waffe, der Stein durfte auf gar keinen Fall in die falschen Hände geraten, doch wenn es mehr davon gab? Daria wollte diesen Gedanken gar nicht erst in ihren Kopf vordringen lassen, aber sie konnte es nicht verhindern. Wollte Arkanol etwa damit die Kräfte seiner Magier sichern, mit einigen Dutzend dieser Steine, so schien es jedenfalls, konnte man vielleicht eine ganze Armee von feindlichen Magiern eine lange Zeit über mit Energie versorgen. Vielleicht waren sie derselben Natur wie der Rubin am Knauf von Ardiks Schwert Lurnar „Möglicherweise könnten wir die in diesem Stein enthaltene Energie für uns selbst nutzen, oder Ardik könnte sie nutzen, wenn seine eigene Kraft irgendwann einmal nicht mehr ausreichen sollte“ Aber nein, das Risiko war zu groß, dachte sie und verstaute den purpurnen Kristall wieder in der rechten Seitentasche ihrer schwarzen Lederrüstung. Mehr einem Reflex als einem Gedanken folgend zog sie nun das alte, verstaubte Buch heraus, es war wichtig, dass Ardik es noch vor seinem Aufbruch erhielt „Bi Drekna“ die aufgeschweißt, eiserne Schrift schien selbst in den nächtlichen Stunden ohne Licht und Sonne zu glänzen. Makellos waren die Runen im Inneren, auf den sich rau und kratzig anfühlenden Pergamentseiten. Daria fuhr sich mit der Hand an die Stirn, dieses Werk war älter als das Königreich, älter als die Zwerge, vielleicht älter als Tarna selbst. Tausende von Jahren war von einer Hand in die nächste gegeben worden, von Detnarok, welcher das Land Tarna erstmals besiedelte, über Tartunax bis hin zu Rodr, und nun hielt sie es in den Händen, eine Asteri und Kämpferin des Silbernen Raben.

      Kapitel 3 – Vor dem Aufbruch

      Ardiks Gliedmaßen brannten wie Feuer und stachen wie kleine Silbernadeln, als er sich langsam im kargen Bett zu drehen versuchte. Der Morgen war noch nicht hereingebrochen, dennoch färbten sich die ersten Streifen am weit entfernten Horizont violett und teilweise rötlich. Blinzelnd setzte er sich auf die Bettkante und rieb sich die Augen. Die Schlacht hatte ihre Spuren auf seinem Körper hinterlassen, viele kleine Kratzer und Flecken bedeckten seinen Körper von den Oberarmen an, keiner von ihnen blutete, dennoch schmerzten sie alle jeder auf seine eigene und individuelle Weise schrecklich. Bevor er sich seine, noch vom Blut der feindlichen Soldaten verkrustete Ausrüstung anlegte, betrachtete er noch einmal das Farbenspiel am Himmel. Dies schien ein recht grauer Tag zu werden, denn die Wolken standen hoch und schienen keinen Anstand zu machen sich verziehen zu wollen. In der Stadt herrschte reges Treiben, es waren noch nicht viele auf den mit Leichen übersäten Straßen, doch die, die es waren, bemühten sich mit aller Macht, die Trümmer und toten Körper vor ihren Häusern davon zu schaffen. Einige Soldaten, darunter viele Bogenschützen hatten sich bereits auf den noch halbwegs intakten Mauern platziert und hielten nach potentiellen Feinden in der Ferne Ausschau. Die Banner wehten größtenteils immer noch an den Zinnen und Türmen, doch waren einige von ihnen anscheinend durch einen starken Wind heruntergeweht worden, bei den Arkasniern bedeutete dies ein schlechtes Omen, alles in allem waren sie teilweise sehr abergläubisch, doch Ardik hatte miterleben müssen, dass sich einige dieser Aberglauben bestätigt hatten, daher war er nun vorsichtiger dabei, etwas als reines Hirngespinst abzutun. Ein starker Wind von Westen her brachte den Gestank verfaulender Leichen mit sich, es dauerte lange alle Toten, welche auf vor der Stadt lagen, zu begraben, und bis dahin mussten sie wohl mit diesem widerwärtigen Geruch leben. Lurnars Griff fühlte sich vertrauter denn je an, dieses Schwert war in letzter Zeit ein Teil von Ardik geworden, oft hatte er dieser Klinge sein Leben zu verdanken gehabt, er würde dieses Schwert, so schwor er sich, niemals aus den Händen geben. Mit der Zeit wurde der dünne Lichtschein am Himmel heller und heller, bis er schließlich die ersten frühmorgendlichen Strahlen abgab, die den Schnee der sie umgebenden Landschaft zum Glänzen brachte. Ardik warf sich seinen Umhang über und verließ den Schlafraum mit festem Schritt. Noch während des Entlanggehens durch den ersten Flur knöpfte er sich die vergoldeten Knöpfe des selbigen an Hals und Schultern zu. Ihm stapften zwei schwerbewaffnete Krieger entgegen, welche dicke Kettenhemden, so wie jeweils zwei große Äxte auf dem Rücken und Gürtel trugen. Ihre Arme waren blutbeschmiert, wahrscheinlich waren sie ebenfalls am Leichenwegräumen beteiligt gewesen. Sie machten vor Ardik halt, verneigten sich knapp und der größere der beiden sprach „Kommandantin Daria möchte euch sprechen“ Ardik nickte „Worum geht es“ „Es schien wichtig zu sein, daher hat sie uns nicht eingeweiht Großprinz. Ihr müsstet sie im Speisesaal antreffen können“ Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren drängte Ardik sich an ihnen vorbei und schritt und Richtung des Speisesaales, normalerweise war es nicht seine Art sich einfach ohne Verabschiedung zu entfernen, doch in diesem Fall war es wohl besser so. Viele der Soldaten die die Festung betraten und verließen sahen müde und entkräftet aus, man konnte ihren Zustand nur zu gut nachempfinden, eine Pause konnte man sich jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht gönnen, denn sie mussten jeden Moment mit einem Gegenangriff rechnen. Obwohl die maladrischen Truppen im Winter nur schlecht, oder meist gar nicht vorkamen, so konnte man sich doch sehr gut vorstellen, dass Arkanol eine Wut bei der Nachricht der Eroberung von Winterwacht gepackt hatte. Daria befand sich, an die Kante des Fensters gelehnt, in besagtem Saal und starrte ausdruckslos auf die unter ihr liegende Stadt herab „Hat er bereits mit dir gesprochen?“ Fragte sie in leisem Ton „Bereits gestern“ antwortete Ardik „Und ...“ Daria stockte für einen kurzen Moment „Wie ist deine Entscheidung ausgefallen?“ Ardik wusste nicht genau was er nun tun oder sagen sollte, denn eigentlich hatte er noch gar keine Entscheidung über seinen Verbleib beim Silbernen Raben oder den Abschluss seiner Ausbildung in Nortagard getroffen. Doch er hatte das beklemmende Gefühl, dass nun die Zeit gekommen sein musste „Eigentlich wäre es meine Pflicht...“ „Fang nicht damit an“ unterbrach sie ihn „Deine Ausbildung und all die anderen Sachen sind erst einmal wichtiger“ Ardik war über ihre schnelle Antwort überrascht „Bis du wieder da bist kommen wir auch ohne dich zurecht, zwar ist der Großteil der Offiziere tot, aber ich glaube es müsste auch so einige Monate funktionieren“ „Das meinst du doch nicht ernst, Nortagard ist weit entfernt, es kann sehr lange dauern bis ich zurückkehre, falls ich überhaupt zurückkehre. Und außerdem ist meine Ausbildung zum Asteri doch so gut wie abgeschlossen, oder irre ich mich da?“ „Du hast keine Ahnung?“ „Weißt du wie oft ich mir diesen Satz in letzter Zeit habe anhören müssen?“ fuhr er Daria an „Ich kann es mir denken, aber glaube wenn ich sage, ein Asteri zu sein bedeutete mehr als das Schwingen einer Klinge, es ist Macht, es ist Herrschaft, es ist Wissen, und dieses Wissen besitzt du noch nicht“ „Also zwingst du mich zu gehen?“ „Ich kann dich zu gar nichts zwingen, ich kann nur versuchen dir endlich Verstand in deinen Schädel zu reden“ Allmählich sah es Ardik selbst ein, er musste gehen, so viel gab es dort im Norden, und er war selbst sehr neugierig. Dennoch sträubte er sich „Was ist wenn ich nicht zurückkomme? Was dann?“ „Dann bist du nicht umsonst gestorben“ Mit so einer Antwort hatte er gerechnet „Das, welchem wir nun gegenüber stehen ist größer als dieser Bürgerkrieg, größer als alles was du je erlebt hast“ Fügte Daria hinzu, und sie war nicht im Begriff zu stoppen „Falls die Prophezeiung sich erfüllen sollte...“ „Welche Prophezeiung?“ „Hat Irvin dir nicht“ Sie stockte und legte sich eine Hand an die Stirn „Natürlich hat er nicht, ich hätte es mir denken können. Hier“ Daria zog ein mittelgroßes, alt aussehendes, und dennoch vollkommen unversehrtes, braunes Buch aus einer ihrer Taschen. Ardik fragte sich worum es sich dabei handelte, hatte aber gleichzeitig die Befürchtung, dass er es gleich erfahren würde „Nimm, es gehört