Dietrich Novak

Morphodit


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kann ich ja mit Stella essen gehen.«

      »Tu dir keinen Zwang an.«

      »Soll ich mir von Delia Krüger nicht eines der letzten Fotos geben lassen?«, fragte Heiko, dem das Gespräch zwischen Valerie und Hinnerk etwas peinlich war. »Ich würde es dir dann gleich schicken, Hinnerk. Das macht sich vielleicht besser als das Foto einer Toten.«

      »Gern, gute Idee, um es mit den Worten meiner Frau zu sagen.«

      Heiko hatte mit der Mommsenstraße begonnen. Doch Pensionswirtin Ursula Wendler erkannte Uwe Vogler erwartungsgemäß auf dem Handyfoto nicht wieder. Nein, ihr Gast habe ganz anders ausgesehen, meinte sie. Außerdem sei er, wie gesagt, blond.

      Als Nächstes fuhr Heiko nochmals in die Ebersstraße. Delia Krüger lächelte, als sie ihm öffnete. »Herr Kommissar, so schnell habe ich nicht mit Ihnen gerechnet. Gibt es etwa schon Ergebnisse?«

      »Leider nicht. Die erste vielversprechende Spur verlief im Sande. Zur Sicherheit möchte ich Ihnen trotzdem ein Foto zeigen. Ist das der Bekannte von Jana?«

      »Nein, mit Sicherheit nicht. Selbst wenn man ihn sich blond vorstellt.«

      Heiko nickte und betrachtete fasziniert eines der Fotos an der Wand.

      »So manche Frau wird Sie um Ihr Aussehen beneidet haben«, sagte er.

      »Wie charmant von Ihnen! Ich habe auch Stunden gebraucht, um mich so herzurichten. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass es sich um Bühnen Make Up handelt. Keine Frau würde sich so übertrieben schminken, ganz zu schweigen von der extravaganten Frisur. Kommen Sie doch mit durch! Ich koche uns einen Kaffee. Oder mögen Sie lieber Tee?«

      »Nein, Kaffee ist gut, danke.«

      Während Delia sich in der Küche zuschaffen machte, sah sich Heiko erneut die gerahmten Plakate im Wohnzimmer an.

      »Wo war das?«, fragte er interessiert, als Delia mit dem Kaffee und Keksen kam.

      »In Paris. Ich war dort Stargast in einem kleinen Club.«

      »Dann sind Sie wohl viel herumgekommen?«

      »Oh ja, in meiner Glanzzeit schon.«

      »Wussten Sie schon immer, dass Sie transsexuell sind? Darf ich fragen, wie das bei Ihnen angefangen hat?«

      »Gern, so oft werde ich nicht mehr nach meiner Karriere gefragt. Ich habe mich als Kind schon als Mädchen gefühlt und heimlich die Sachen meiner Mutter angezogen. Als ich von zu Hause auszog, kleidete ich mich schon ausschließlich weiblich. Da ich eine gute Gesangsstimme hatte, imitierte ich die damaligen Schlagerstars und Chansonsängerinnen. Das brachte mir Auftritte auf Feiern und in kleinen Bars ein. Also, den Begriff Transsexuelle hat man damals noch gar nicht benutzt. Alles, was Frauenkleider trug, aber eigentlich ein Mann war, nannte man Transvestit oder auch Fummeltanten. Bei Insidern war die Abgrenzung schon deutlicher. Der Travestiekünstler legte spätestens in der Garderobe seine Verkleidung ab, während der Transvestit auch im Alltagsleben, oder nur aus sexuellen Gründen, in die Kleider des anderen Geschlechts schlüpfte. Während meiner beruflichen Laufbahn habe ich alle Schattierungen kennengelernt. Da gab es bisexuelle und sogar verheiratete Männer, die nur in der Show als Frau auftraten. Früher lebten wohl die meisten auch im Alltag als Frau. Heute ist es eher umgekehrt, seit es die Drag Queens gibt.«

      »Haben Sie auch im Chez Nous gearbeitet, das es ja leider nicht mehr gibt?«

      »Natürlich, sogar die meiste Zeit. Als ich nach Berlin kam, habe ich dort vorgesungen und wurde engagiert. Ich habe sie alle kennengelernt. Ob sie nun Marcel André, der übrigens wie ich Detlev hieß, Cheri Hell, Rita Jané, Cristina, Gloria Fox, Dany Lamée, Orél oder Everest hießen.«

      »Und waren die alle wie Sie? Ich meine, mit echtem Dekolleté?«

      »Sie wollen es aber ganz genau wissen, junger Mann, oder? Ja, viele. Wie es unten herum aussah, wage ich nicht zu beurteilen, aber ich glaube, dass wir uns auch in diesem Punkt glichen. Doch es gab auch wenige, die die Operation schon hinter sich hatten, wie seinerzeit Coccinelle, die wohl als erste Transsexuelle Berühmtheit erlangte und sogar dreimal geheiratet hat. Der Name kommt übrigens aus dem Französischen und bedeutet Marienkäfer und nicht etwa Beuteltasche, wie man ihn heute verwendet. Wie im Falle der Madame Pompadour. Und dann gab es auch welche, die erst darauf hinarbeiteten, wie die Popsängerin, die zuvor auch im Chez Nous auftrat. Ich meine die Muse des spanischen Malers.«

      »Picasso?«

      »Nein, der andere. Sie hat dann später abgestritten, einmal ein Mann gewesen zu sein. Wahrscheinlich, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Andere taten es umgekehrt wie Grace Jones, um ihrer Karriere den gewissen Kick zu geben. Einer Pop Diva der heutigen Zeit – Lady Gaga – wird es nur nachgesagt. Sie selbst bestreitet es vehement. Auswüchse des Showbusiness, kann ich nur sagen, die am wahren Problem vorbeigehen.«

      »Haben Sie noch andere Transsexuelle kennengelernt, die ihr Ziel bis ans Ende verfolgt haben?«

      »Sie meinen den sogenannten „goldenen Schnitt“? Ja, da gab es einige. Zu meinem Friseur kamen immer welche. Dem armen Kerl haben sie furchtbar Unrecht getan, indem sie ihn nicht an sich heranließen. Sie sahen in ihm den typischen Schwulen. Dabei spielte er selbst heimlich mit dem Gedanken, eine Geschlechtsumwandlung vornehmen zu lassen, wie mir seine Kollegin anvertraut hat. Wenn Mimi sich neue Brüste machen ließ, durfte nur die Kollegin sie im Hinterraum sehen. Mimi war ein ziemliches Mannweib, wo die zugeschlagen hat, wuchs kein Gras mehr. Jacinta hingegen sah man den ehemaligen Mann überhaupt nicht an. Auch Lola, der Dritten im Bunde, nicht. Nur wenn sie hustete, flogen die Köpfe der Kundinnen herum, weil es sich wie bei einem Bauarbeiter anhörte. Alle drei arbeiteten in Bars auf der Potsdamer Straße. Dann gab es noch ein blondes, engelgleiches Wesen, das alle nur Gracia nannten – in Anlehnung an Gracia Patricia. Sie hatte tatsächlich etwas Vornehmes, fast Adliges. Mimi hatte keine Hemmungen, eine von ihnen in die Pfanne zu hauen. So habe ich mal erlebt, wie sie eine junge Schwarzhaarige, die ein wenig an Schneewittchen erinnerte, an der Kasse laut mit „Herr Schröder“ ansprach, weil sie sich über sie geärgert hatte. Neid und Missgunst gibt es eben überall. Das war im Chez Nous nicht anders. Aber im Großen und Ganzen bin ich mit allen gut ausgekommen.«

      »Wie schaffen die Travestiekünstler es, dass es im Schritt so flach aussieht?«

      »Mit Trick 17 – Klebeband. Einige bringen es auch fertig, Penis und Hodensack in der Bauchhöhle verschwinden zu lassen. Nicht ganz ungefährlich, wenn Sie mich fragen.«

      »Wie konnte es Ihrer Meinung nach dazu kommen, dass es berühmte Clubs wie das Chez Nous heute nicht mehr gibt? Zumindest in der Hauptstadt nicht.«

      »Ich denke, das fing in den Achtzigern an, als alles in die Wühlmäuse zu Mary und Gordy rannte. Zeitgleich gab es eine Truppe aus Paris, die in den Stachelschweinen im Europacenter auftrat. Im Filmkunst 66 traten nachts die „Technicolor Dreams“ auf und die „Preddy Show Company“ war ein Geheimtipp. Auf einmal gab es überall Travestieshows. Selbst auf privaten Feiern war das der Hit. Die Show in der Wohnstube. Später gab es sogar eine Off-Theater-Gruppe, bei der alle Frauenrollen von Männern gespielt wurden, wie beim traditionellen japanischen Nō-Theater. „Die Spreedosen“, hießen die, glaube ich. Sie und andere sah man dann auch in den täglichen Talkshows. Danach kamen die O-Ton-Piraten, deren Theater es heute noch gibt. Ansonsten Playbackshows allerorten. Während wir immer live gesungen haben.«

      »Mary und Gordy auch. Verzeihung, wenn ich widerspreche.«

      »Ja, zum Teil. Gemeinsam hatten wir den Spaß an der Verwandlung. Apropos, in der Marburger Straße gab es ein paar Häuser weiter eine Zeitlang einen sogenannten Transformationsladen. Da konnten sich Männer unter der Anleitung von Fachpersonal in Frauen verwandeln. Die sündhaft teure Ausstattung konnte man dann gleich erwerben. Der Laden konnte sich aber nicht halten. Ich meine, Vorbilder hatten wir schon immer. Everest sang Lieder von Marlene und stylte sich auch so. Orél die Lieder von Zarah, bis Cristina kam, die der Leander auch äußerlich glich. In der Glanzzeit gaben sich Prominente die Klinke in die Hand. In der Lützower Lampe waren sogar Liza Minelli und David Bowie zu Gast. Ach, das ist alles schon so lange her.«