Jo Thun

Club Infantil


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nicht schwanger war, hielt sich meine Verblüffung in Grenzen. Dafür machte ich einen Plan für unser nächstes Treffen. Ich wollte mich nicht wieder einem solchen Druck ausgesetzt sehen. Also beschloss ich, heimlich schon mal vorzuarbeiten. Ein paar Stunden würden sich meine Spermien doch wohl halten. Aber um kein Risiko einzugehen, stellte ich das Glas erst einmal in den Kühlschrank. Dass das keine gute Idee war, fiel mir leider erst auf, als Rana während des Films aufstand, um sich ein Glas Saft zu holen. Als sie wiederkam, sagte sie: „Du musst öfter mal deinen Kühlschrank durchgucken. Dein Feigensenf war schon total schimmelig.“

      Später, als beide in ihrem Zimmer waren, holte ich das Glas, das Rana entsorgt hatte, aus dem Müll und füllte meine Spermien schnell in ein frisch ausgewaschenes Marmeladenglas um. Trotzdem verstrich auch dieser Monat ohne Schwangerschaft.

      Als auch im dritten Monat der Teststreifen sich einfach nicht rosa färben wollte, trafen wir uns zum Abendessen im Grosz am Kudamm, um zu besprechen, wie es weitergehen sollte. Vielleicht stimmte was nicht mit mir. Oder mit Rana. Alba fand allerdings, es sei noch zu früh, und es sei doch etwas viel verlangt, dass es gleich am Anfang klappen sollte.

      Was ich Alba schon lange fragen wollte: „Wie läuft es eigentlich bei dir und Ranas Bruder? Ist es da auch so schwierig?“

      Beide Frauen schwiegen betreten.

      „Alba? Rana? Hallo?“

      „Elyas hat sich dagegen entschieden.“

      „Ach. Und was heißt das?“

      „Das heißt, dass er nicht will, dass Alba sein Kind bekommt.“

      „Ja gut, aber was heißt das? Ihr wolltet doch beide ein Kind. Bekommt Alba jetzt keins?“

      „Doch, wenn ich eins bekomme, ist es auch Albas. Ist doch egal, welche von uns das Kind bekommt, oder?“

      Ich schwieg und schaute zur 8 Meter hohen Decke herauf. Hier würden sich Riesen wohlfühlen und mal nicht an die Decke stoßen.

      „Ich weiß, wie man das Problem lösen könnte!“

      „Einen anderen Samenspender finden?“

      „Hä? Ich meinte das Problem der Überbevölkerung. Weil, wenn erst mal zehn Milliarden Menschen auf der Erde wohnen, dann gehen wir alle unter. Aber was, wenn wir es schaffen, die Menschen kleiner zu machen? Die Wölfe haben wir ja auch auf Meerschweinchengröße hingekriegt.“

      „Mattes, wovon in aller Welt redest du?“

      „Na ja, stellt euch doch mal vor, die Menschen würden sich runterzüchten auf sagen wir 1,50. Das ist doch auch eine schöne Größe. Dann könnten die Autos und Flugzeuge kleiner werden, die Häuser niedriger, es würden nur halb so viele Nahrungsmittel benötigt, und die Ressourcen würden auch gespart. Wollt ihr lieber aussterben oder kleiner werden?“

      Alba guckte mich an, als habe ich den Verstand verloren. Vielleicht war sie auch nur sauer, weil sie als einzige von uns drein über 1,75 groß war. Rana dagegen, ganz die Journalistin, erwog jede noch so absurde Idee. „Das Problem ist nur, dass Menschen nicht gezüchtet werden. Und dass, selbst wenn, so ein Programm mehrere Generationen dauern würde, und bis dahin gibt es wahrscheinlich schon zwanzig Milliarden Menschen auf der Welt, oder aber eben gar keine mehr.“

      Paff. Das Ende meiner schönen Idee.

      Alba wurde langsam ungeduldig. „Also, was ist jetzt? Elyas hat einen Rückzieher gemacht. Wie ist es mit dir?“

      Ich schwieg. Warum hatte Elyas sich dagegen entschieden? Wusste er etwas, das ich nicht wusste? Hatte ich einen Fehler gemacht?

      Rana beobachtete mich aufmerksam und schien mal wieder genau zu wissen, was in mir vorging.

      „Elyas hat Schwierigkeiten damit, dass ich lesbisch bin. Ich habe ihn mal dabei erwischt, wie er vor seinen Kumpels gesagt hat, ich sei geschieden. Aber ehrlich, das ist sein Problem, nicht meins. Ich finde es völlig okay, dass er nein gesagt hat. Es geht schließlich nicht um einen kleinen Gefallen. Das ist eine richtig weitreichende, grundsätzliche und existentielle Entscheidung. Du kannst auch jederzeit nein sagen, und wir wären dir überhaupt nicht böse.“

      Ich nickte bedächtig. Dass sie mir überhaupt nicht böse wären, konnte ich nicht ganz glauben. Aber egal, jetzt fiel es mir wieder ein. Ich hatte mich entschieden, ihnen zu helfen, weil ICH dieses Kind wollte.

      Schließlich verabredeten wir, dass die nächste Insemination besser eine Ärztin vornehmen sollte. Rana hatte bereits eine ausfindig gemacht, die zugesichert hatte, dass sie meine kleinen Spermien sehr viel sicherer ans Ziel bringen würde, als Alba das mit ihren Plastikpipetten vermochte. Und sie hatte nicht zu viel versprochen. Einen Monat später war Rana schwanger.

      Und so kam es, dass ich Elternteil Nr. 3 wurde. Vielleicht sollte ich auch erwähnen, dass wir im Vorfeld ganz genau vereinbart hatten, welche Rechte und Pflichten ich haben würde. Nämlich das Recht, bei allen wichtigen Entscheidungen gefragt zu werden, bei der Namensgebung mitzubestimmen, und natürlich das Privileg, das Kind bei jeder Gelegenheit reichlich zu beschenken. Und später, wenn der Säugling nicht mehr gestillt werden musste, sollte ich das Kind auch mal übers Wochenende nehmen dürfen.

      Bei der Geburt war ich nicht dabei. Zum einen hatten mich Rana und Alba nicht gefragt, zum anderen hatte ich auch gar keine Lust darauf, zuzusehen, wie Rana Alba vor Schmerz in den Arm biss und wie dann ein blutiger und schleimiger Babykopf von der Größe einer Mango aus einer Öffnung von der Größe eines Serviettenrings herausgequetscht wurde. Als ich das Baby wenige Stunden nach der Geburt zum ersten Mal sah, sah es noch immer ziemlich verkrumpelt und hässlich aus. Und so winzig. Rana lag erschöpft in den Kissen und Alba hielt das Bündel mit dem lächerlichen Käppchen stolz im Arm.

      „Das also ist Ben!“

      „Wie? Was? Wo?“

      „Willst du ihn mal nehmen?“

      „Ben? Er heißt Ben? Ich dachte, wir wollten den Namen zusammen aussuchen?“

      Albas Lächeln gefror. „Wirklich? Rana, hatten wir das ausgemacht? Aber findest du denn den Namen nicht toll? Er sieht doch aus, wie ein Ben, findest du nicht? Und es ist ein Name, der in fast allen Sprachen existiert, und für alle einfach auszusprechen ist.“

      „Ja, das mag ja alles sein. Aber ich wollte doch mitentscheiden.“

      Alba rollte die Augen. „Jetzt nimm ihn erst mal und halt ihn eine Weile, guck ihn dir genau an, und wenn dir dann ein besserer Name einfällt, dann sag es uns.“

      Zögernd streckte ich meine Hand aus. Mein Sohn! Sein Kopf füllte meine Hand nur zur Hälfte aus, und der Rest des Körpers war leicht wie eine Feder. So hielt ich ihn eine Weile, wie ein Kaffeetablett, auf dem jeden Moment die Tassen überzuschwappen drohen. Der Kleine schlief und machte dabei blubbernde Geräusche.

      „Und, ist er nicht unglaublich schön?“

      „Hm.“

      „Und, wie findest du nun seinen Namen?“

      „Was haltet ihr denn von Markus?“

      „Dein Ernst? Kommt nicht in Frage!“

      „Jonas?“

      „Ach nee.“

      „Leo, Leon, Lukas?“

      Schweigen.

      „Malte, Sören, Sven, Ben?“

      „Ben, ja, das ist super. Den nehmen wir!“

      Hatte ich wirklich Ben gesagt? Wie doof. Aber je länger ich den Kleinen betrachtete, umso mehr sah er aus wie ein Ben.

      Kapitel 3

      In den ersten Wochen nach Bens Geburt sah ich ihn nicht so oft. Dafür las ich ungefähr 23 Bücher über Kindererziehung und wusste am Ende weniger als vorher. Von „man kann im Grunde nichts falsch machen, solange man seine Kinder liebt“