Michael Stuhr

PORTALFEUER


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der allerdings auch ein wenig zu teuer war, um ihn mit dem Geld eines einzigen Ferienjobs bezahlen zu können.

      Die Stimmen von Danny und Paddy drangen von unten herauf. Sie hatten jetzt wohl ausgeschlafen und wollten wieder versorgt werden. Jeff rubbelte unbewusst die Fingerspitzen der rechten Hand mit dem Daumen. Er hörte, wie die Mutter seinen Namen rief, legte die Prospekte zur Seite und ging hinunter.

      “Noch nicht einmal vier Stunden kann man euch mit den Kleinen allein lassen!”, behauptete Julie O´Bannion und tippte zur Bekräftigung ihrer Worte mit dem Zeigefinger auf ihre Armbanduhr. “Noch nicht einmal vier Stunden!”

      “Aber es ist doch gar nichts passiert”, versuchte Jeffs Vater einzuwenden. Damit kam er bei seiner Frau allerdings schlecht an.

      “Nichts passiert?”, fragte sie in einem Ton, der nichts Gutes bedeutete. “Ist das etwa nichts?” Sie zeigte auf das Ärmchen von Paddy, den sie vor sich auf dem Schoß sitzen hatte. Jeff sah, dass sich ein gelblicher Streifen über die Haut zog und der Kleine mit der anderen Hand darauf herumrubbelte, weil es wohl juckte.

      “Du, das war vorhin noch nicht da”, beteuerte der Vater. “Ich hab ihn ins Bett gelegt und er ist eingeschlafen. Alles ganz normal!”

      “Nicht mal vier Stunden!”, zischte Jeffs Mutter, um dann mit völlig veränderter Stimme “Armer Paddy! Armer, kleiner Paddy!” zu gurren.

      Jeff wusste, dass er im Moment keine Chance hatte, sie zu beruhigen. Von den ganzen O´Bannions hatte seine Mutter das meiste Temperament, und wenn sie sich aufregte, dann tat sie es gründlich. Vor allem, wenn jemandem aus der Familie etwas passierte, dann rastete sie förmlich aus. – Und Paddy war etwas passiert, das konnte jeder sehen.

      “Zeig mal, du Zwerg”, sagte Jeff, trat näher heran und griff nach Paddys Ärmchen, um es sich anzusehen.

      “Du hast ja auch sowas!”, Die Mutter zog Paddy von Jeff weg. “Hat er das von dir?”

      Jeff zuckte zurück und sah sich seine Hand an. Jetzt wurde es ihm zum ersten Mal bewusst, dass er die ganze Zeit an seinen Fingerspitzen herumgerubbelt hatte, weil sie ein wenig juckten. “Shit!”, fluchte er. “Was ist das? Das muss von dem verdammten Vieh kommen.” Die Fingerspitzen seiner rechten Hand waren genauso gelb wie der Streifen auf Paddys Arm.

      “Was für ein Vieh? Was ist hier eigentlich los?”, blitzte die Mutter und versäumte es vor lauter Ärger sogar, Jeff für das Schimpfwort zu rügen. “Hätte vielleicht mal jemand die Güte, mich aufzuklären?”

      “Ja, klar doch!” Jeff erzählte in kurzen Worten, wie er Paddy im Wagen vor dem Insekt gerettet hatte, und das schien irgendwie beruhigend auf seine Mutter zu wirken. Jedenfalls gab sie ihm den Auftrag, die Anti-Juck-Salbe aus der Hausapotheke im Bad zu holen. Liebevoll versorgte sie Paddys Arm, während Jeff sich ein wenig von dem Zeug auf die Fingerspitzen rieb. – Das Zeug war wirklich gut, jedenfalls hörte der Juckreiz schlagartig auf.

      Genauso schnell wie sie explodierte, konnte Jeffs Mutter sich auch wieder beruhigen, und als sie sah, dass es Paddy wieder gut ging, setzte sie ihn zu Danny in den Laufstall und fing an, das Abendessen zuzubereiten.

      “Ist Shereen noch nicht da?”, wollte Jeff von seinem Vater wissen.

      “Die hat vorhin angerufen, dass sie spät kommt.”

      “Hm.” Jeff war ein bisschen enttäuscht. Er war doch zu gespannt, wie sie auf sein Geschenk reagierte. Na ja, dann würde sie es eben etwas später finden.

      Weil Jeffs Mutter mit Edna Blenheim unterwegs gewesen war, gab es heute Abend nur Fertigkartoffelbrei mit Fertig-Hamburgern und Fertigsoße, angereichert mit Fertiggemüse. Jeff und sein Vater nahmen das als gerechte Strafe dafür hin, dass sie nicht besser auf die Zwillinge aufgepasst hatten und da es zudem schnell zubereitet war, blieb Jeff gleich unten.

      Nach dem Essen ging Jeff auf sein Zimmer, schrieb ein paar E-Mails an alte Freude aus Fort Worth, ließ nebenbei MTV laufen und besuchte kurz zwei Chatforen. Da derzeit niemand online war, den er kannte, schaltete er den Computer aber schon bald aus und nahm sich einen Roman von Stephen King vor.

      Gegen elf Uhr zwang er sich dazu, das Buch zur Seite zu legen, wenn er auch gerne noch bis zum Morgengrauen weitergelesen hätte. Kurz vor dem Einschlafen hörte er Shereen die Treppe heraufkommen. Kurz bevor er endgültig wegdämmerte, bemerkte er noch, dass sein Daumen schon wieder an den Fingerspitzen herumrubbelte. So ganz war der Juckreiz doch noch nicht verschwunden.

      KAPITEL 3

       DONNERSTAG, 11:04 PM

       DIE MUTATION

      Gerade zog auf der Interstate wieder einer der schweren Tanklastzüge vorbei und Jeff drehte sich auf die andere Seite, als es heftig an der Tür klopfte.

      “Jeffrey O´Bannion, bist du da drin?”, rief Shereen unnötig laut durch das dünne Holz.

      Wer immer in dieser Familie ‚Jeffrey‘ zu Jeff sagte, der meinte es in dem Moment garantiert nicht gut mit ihm.

      “Ja, was ist denn?” Jeff richtete sich im Bett halb auf und sah auf die Leuchtziffern des Weckers. Er hatte bestenfalls fünf Minuten geschlafen.

      Die Tür öffnete sich, das Licht flammte auf und seine Schwester stand mit wutblitzenden Augen im Türrahmen. “Wenn das ein Scherz sein soll, dann verstehe ich ihn nicht!”, fauchte sie und hielt Jeff die offene Herzchenschachtel entgegen. “Ich bin ein Geschenk von Jeff!” las sie mit gerunzelter Stirn von dem post-it-Zettel ab. “Was bitte ist das hier? Was soll das?”

      “Wie? Was?” Jeff blinzelte schlaftrunken in die Helligkeit. “Steht doch da! Ist ´n Geschenk von mir an dich. Jetzt freu dich und lass mich in Ruhe!”

      “Freuen?” Shereen schüttelte verständnislos den Kopf. “Worüber bitte soll ich mich denn freuen?”

      “Na über das Flattervieh mit den vielen Beinen!”, stöhnte Jeff über so viel Begriffsstutzigkeit. “Auf sowas bist du doch sonst ganz verrückt.”

      “Auf sowas? Wohl kaum!” Shereen kam mit zwei raschen Schritten näher und hielt Jeff die Schachtel so hin, dass er hineinsehen konnte.

      “Was ist das denn?” Jeff war schlagartig hellwach und richtete sich vollends auf. Im Bett sitzend beugte er sich vor und sah völlig fassungslos in die Schachtel hinein. Nicht die Spur eines insektenartigen Wesens war darin zu erkennen. Nur ein graubrauner, wabbeliger Schleimklumpen zitterte im Takt von Shereens Herzschlag vor Jeffs Augen. Das Zeug sah aus, als habe man es aus der Stirnhöhle eines todkranken Brontosauriers abgezapft und Jeff musste krampfhaft schlucken, damit sein Abendessen nicht plötzlich den Rückwärtsgang einlegte.

      “Und? Erklärung!”, forderte Shereen und hatte die Güte, die Schachtel ein wenig zurückzuziehen.

      “Es, es hat sich zersetzt”, stammelte Jeff.

      “Was hat sich zersetzt?”

      “Na, dieses Insekt doch, oder was immer das war.” Jeff beschrieb Shereen das Tier und wie er dazu gekommen war, es mitzunehmen. Als Beweis für die Richtigkeit seiner Story hielt er ihr die gelblichen Fingerspitzen vor die Nase und erzählte von dem Juckreiz, den der Kontakt mit dem Tier bei ihm und Paddy ausgelöst hatte.

      “Na gut!” Shereen schien halbwegs besänftigt, als Jeff seinen Bericht beendet hatte. “War also kein blöder Scherz! Tja, dann danke für die gute Absicht, aber du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich dir das dalasse.” Sie klappte den Deckel der Schachtel zu und stellte sie auf Jeffs Schreibtisch. “Dann gute Nacht und träum was Schönes!” Sie löschte das Licht und Jeff ließ sich in sein Kissen zurücksinken. “Gute Nacht!”, sagte er, bevor sich die Tür hinter seiner Schwester schloss. “Gute Träume auch für dich.”

      Jetzt dauerte es ein Weilchen, bis Jeff wieder einschlafen konnte. – Irgendwie schien es, als würde dieses komische Tier ihm kein Glück bringen. Zuerst war der