Michael Stuhr

PORTALFEUER


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– Gerald Cook und Stephen Baines”, gab der Arzt Auskunft, nachdem er auf ein vor ihm liegendes Blatt Papier geschaut hatte. “Zwei Namen, die Sie sich merken sollten, denn das sind die Männer, die Ihrem Vater das Leben gerettet haben, indem sie ihn kurzerhand im Dienstwagen hierher brachten, statt auf einen Rettungswagen zu warten. Die beiden haben Ihrem Vater die entscheidenden Minuten verschafft, denn bei dem schweren Blutverlust...” Er streckte seine rechte Hand flach aus und ließ sie um ihre Längsachse wackeln, was bedeuten sollte, dass es auf der Kippe gestanden hatte.

      “Cook und Baines”, wiederholte Jeff die Namen halblaut, um sie sich einzuprägen.

      “Ansonsten bin ich leider nicht ganz so zufrieden mit den Beiden”, fuhr der Arzt fort, “denn die Geschichte, die sie uns hier aufgetischt haben, kann so nicht stimmen. Sie behaupten nämlich, dass sie ihn gefunden haben, als er schon eine Zeit lang verletzt neben seinem Wagen gelegen habe, aber bei dem schweren Blutverlust kann das so nicht stimmen. Meiner Überzeugung nach sind die beiden bei dem Unfall dabei gewesen und haben Ihren Vater sofort versorgt und hierher gebracht – sonst hätte er die Verletzungen nicht überlebt!”

      “Warum sollten sie das abstreiten?”, fragte Jeff.

      “Warum haben Sie die Beiden nicht danach gefragt?”, wollte Shereen wissen.

      “Oh, ich habe sie gar nicht gesehen”, erklärte der Arzt. “Sie sind sofort wieder verschwunden, nachdem sie ihren Vater in die Notaufnahme gebracht hatten. – Aber ich habe hier das Aufnahmeprotokoll, und da steht unter Unfallursache: ‚Unbekannt‘ und unter Unfallzeitpunkt: ‚vermutlich zwischen 12.00 und 13.00 Uhr.‘ Eingeliefert wurde ihr Vater aber erst um 14.37 Uhr, und das hätte er nie überleben können!”

      “Warum sollten Cook und Baines denn lügen?”, fragte Jeff den Arzt nochmals.

      “Oh, da gibt es viele Gründe! Meistens wird der Zeitpunkt des Unfalls verfälscht, um einen Betriebsunfall in eine Privatsache umzumünzen, damit die Firma nicht verklagt werden kann. – Wann hat Ihr Vater denn heute seine Schicht begonnen?”

      “Um acht Uhr”, sagte Shereen und Jeff gleichzeitig.

      “Dann kann das wohl nicht der Grund sein! – Eine andere Möglichkeit ist, dass der tatsächliche Unfallort verschleiert werden soll...”

      “Was steht denn da?” Jeff zeigte auf das Protokoll.

      “Ein Feldweg in Sheffields Corner” las der Arzt bereitwillig vor.

      “Das ist nicht auf dem Gelände der M.O.C.!”, stellte Shereen sofort fest. Das ist ein völlig abgelegenes Stück Weideland knapp außerhalb der Grenze.”

      “Woher weißt du das denn?” Jeff sah seine Schwester erstaunt an.

      “Weil das Land den Lambs gehört! Justin Lamb gibt immer damit an, dass die Ranch seiner Eltern von Sheffields Corner bis runter an die Interstate und rauf bis zur Stadtgrenze von Moulder reicht. Es vergeht keine Woche, in der er mich nicht einlädt, mir das alles mal anzusehen.”

      “Tja”, der Arzt räusperte sich und riss seinen Blick einen Moment lang von Shereens Bauchnabel los. “Vermutlich will die Firma sich auf diese Tour vor Schadenersatzforderungen drücken. Wenn der Unfall Ihres Vaters auf fremdem Privatgrund stattfand, dann ist sie natürlich auch nicht dafür verantwortlich.”

      “Ja, aber wie kann man denn nur so dumm lügen?”, regte Shereen sich auf. “Mein Vater weiß doch, wo er den Unfall hatte. Die Sache musste doch früher oder später auffliegen!”

      “Sie unterschätzen die Schwere der Verletzungen Ihres Vaters!”, sagte der Arzt mit ernstem Gesicht. “Als er hier bei uns eingeliefert wurde, da sah es nämlich absolut nicht so aus, als wenn er die Sache überleben würde!”

      “Oh!”, sagte Shereen nur und wurde blass, und auch Jeff wurde es ganz flau.

      “Ich, ich glaube, wir haben Ihnen viel zu verdanken!”, sagte Shereen, was der Arzt mit einem bescheidenen Lächeln quittierte.

      “Ich habe nur meinen Job gemacht”, wehrte er ab.

      “Aber den wohl verdammt gut”, sagte Jeff. “Danke dafür!”

      “Jetzt ist´s aber gut!” Die Dankbarkeit schien dem Mann wirklich peinlich zu sein, denn bärbeißig fügte er hinzu: “Und ‚verdammt‘ gesagt wird hier nicht, junger Mann. Wir sind hier in einem Baptistenhospital!”

      Das kam so komisch raus, dass Shereen kurz auflachte.

      “Tschuldigung!”, grinste Jeff. – Der alte Knabe war schon Klasse! Eben noch hatten sie blass und ängstlich auf dem Flur gesessen und jetzt hatte er sie schon so weit, dass sie auf seinen Spaß eingegangen waren.

      Irgendwie war dem Arzt das Lob wohl wirklich schlecht bekommen, denn plötzlich begann er, sich viel umständlicher auszudrücken, und Jeff hatte ein wenig den Eindruck dass er sich vor Shereen aufspielen wollte:

      “Also, die gesamten Unfallumstände sind in meinen Augen mehr als dubios!”, begann er seinen Vortrag. “Abgesehen von den sonstigen Unstimmigkeiten passen auch die Bissverletzungen zu keinem Tier, das im Grasland von Texas umherstreift. Wir behandeln hier alle möglichen Arten von Bissen", erklärte er weiter. "Hunde, Katzen, Papageien ..."

      "Papageien?", fragte Jeff ungläubig und fing sich dafür einen unwilligen Blick von Shereen ein. Bei aller Sorge um seinen Vater war er jedoch nicht bereit, sich von diesem Arzt einen Bären aufbinden zu lassen.

      "Die haben unglaublich starke Schnäbel! Wenn die richtig zubeißen, dann fehlt schon mal ein gehöriges Stück Fleisch! - Ansonsten haben wir hier noch Bisse von Coyoten, Schlangen und Wildkatzen - und dann kommen auch noch viele von den Irren zu uns, die sich unbedingt exotische Haustiere halten müssen: Warane, alle Sorten Affen und letztens hatten wir sogar einen Patienten, den sein Leopard ziemlich übel zugerichtet hat. Aber solche Verletzungen wie Ihr Vater sie hat, habe ich hier in der Gegend noch nicht gesehen."

      "Sonst aber schon!" vermutete Jeff.

      "Allerdings!", bestätigte der Arzt, sprach aber nicht weiter. So langsam ging diese sämig-zähflüssige Art zu reden Jeff ein wenig auf den Geist.

      "Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz." Shereen sah den Arzt fragend an.

      "Können Sie auch nicht!" sagte der Arzt und nickte wissend mit dem Kopf, was ihn wohl klug aussehen lassen sollte. "Aber sehen Sie, ich habe mein Praktikum in den späten Siebzigern an einer Klinik in Florida gemacht. - In Key West, um genau zu sein. Dort hatte ich Gelegenheit, zwei Patienten zu versorgen, die ganz ähnliche Bissverletzungen davongetragen hatten."

      "Und?", drängte Shereen. Jeff merkte, dass auch sie langsam genug von dem Drumherumgerede hatte.

      "Tja!" Der Arzt ließ sich von den Anzeichen der Ungeduld, die sein junges Publikum zeigte, nicht aus der Fassung bringen. "Das ist nun schon einige Jahre her, aber wer einmal die Verletzungen gesehen hat, die solch eine Attacke hervorruft, der wird sich immer daran erinnern!"

      Shereen warf einen kurzen Blick auf das Namensschild, das der Arzt am Kittel trug. "Was für eine Attacke bitte, Doktor Doukakis?" Ihre Stimme hatte plötzlich einen gefährlichen Unterton, und – Lebensretter oder nicht - wenn der Typ jetzt nicht umgehend zur Sache kam, würde sie explodieren, das war sicher.

      Der Arzt mochte in seine eigene Stimme und in seltsame Rätselspiele verliebt sein, aber er hatte in seinem Leben wohl schon genug mit Iren zu tun gehabt, und er war nicht dumm genug, sich mit einer O´Bannion anzulegen, die sich Sorgen um ihren Vater macht. Also entschloss er sich, endlich sein Wissen preiszugeben - aber nicht, ohne sich doch noch schnell einen kleinen Umweg zu genehmigen:

      "Ich werde in dieser Sache auch das Büro des Sheriffs einschalten", stellte er fest und sah Shereen und Jeff ernst an "Ich lasse mich nämlich nicht gerne belügen", fuhr er fort. "Und ich würde doch zu gerne wissen, was Ihrem Vater wirklich zugestoßen ist! Wenn die Kleidung Ihres Vaters nass oder wenigstens feucht gewesen wäre, dann würde ich sagen, er sei in ein Haifischbecken gefallen. Aber so, wie die Dinge liegen, ist mir die Sache ein