Michael Stuhr

PORTALFEUER


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dem Highway dröhnte ein schwerer Diesel auf und ein schwacher, gelblicher Lichtfinger streifte kurz Jeffs Fenster. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er zu seinem Schreibtisch hinüber, aber die Schachtel war nicht zu erkennen. - Zu schade, dass es mit der Überraschung nicht geklappt hatte! Jeff gähnte, ruckelte sich bequem zurecht und schloss die Augen. Der Tanklaster erreichte die Interstate und nahm Geschwindigkeit auf. Jeff drehte sich auf die Seite und schlief ein.

      “Acht Beine und gleichzeitig Flügel?” Der Lehrer zog eine Augenbraue hoch. “Da kann ich dir ganz genau erklären, was passiert ist. – Du hast dich verzählt!”

      Jemand in der Klasse kicherte und andere fielen ein.

      Jeff saß an seinem Tisch und sah den Lehrer an, der jetzt auch noch einen Mundwinkel nach unten gezogen hatte, was ihn aussehen ließ, wie einen alten, ironisch – bösartigen Gnom.

      “Nein, Mister Hoodson”, sagte Jeff mit fester Stimme in das schiefe Grinsen hinein. “Vier Beinpaare und zwei Fühlerpaare. Ganz bestimmt!”

      “Na, das ist ja reichlich!”, stellte Hoodson fest und es war ihm deutlich anzumerken, dass er Jeff kein Wort glaubte. “Aber nur nochmals zur Auffrischung für alle, die es schon wieder vergessen haben: Insekten sind keine Spinnen und Spinnen sind keine Insekten! Kreuzungen zwischen den Spezies sind nicht möglich!” Er hatte zur ganzen Klasse gesprochen und wandte sich nun wieder Jeff zu. “Alles klar? Du hast dich eben geirrt. – Wie wäre es mit einem kleinen Auffrischungskurs in Mathe? Sechs sind so viel!” Er hielt die rechte Hand und einen Finger der linken hoch und grinste Jeff höhnisch an.

      Wieder kam Gekicher in der Klasse auf.

      “Und acht sind so viel!” Jeff wurde langsam ärgerlich. Er klappte die Daumen ein und hielt beide Hände hoch. “Und genau so viele Beine hatte das Tier!”

      “Ach!” Hoodson machte eine unwillige Handbewegung. “Und wo ist sie, diese wunderliche Mutation?”

      “Verwest und leider nicht mehr zu erkennen!” Jeff wurde immer wütender, aber er hielt sich unter Kontrolle und gab sachlich und ruhig die gewünschten Auskünfte. Es war ein Fehler gewesen, Hoodson gegenüber das Thema überhaupt anzusprechen, das war ihm jetzt klar. Jeder in der Schule wusste, dass gerade dieser Lehrer dazu neigte, seine Schüler mit einer gewissen Herablassung zu behandeln. Trotzdem hatte Jeff gedacht, dass er auf eine vernünftige Frage eine sachliche Antwort bekommen würde.

      “Verweeest!”, zog Hoodson das Wort in die Länge und hob in gespielter Erkenntnis die Hand an die Stirn. “Natürlich! Dass ich darauf nicht gekommen bin. – Insekten verwesen ja immer so schnell!”

      Ein paar laute Lacher durchschnitten die Luft und Hoodson nickte beifällig dazu.

      “Eigentlich trocknen sie ja eher aus!”, korrigierte Jeff die ironische Bemerkung. “Das ist wohl auch so eine Besonderheit des Tieres, das ich gefunden habe.

      “Alles klar!” Hoodson schüttelte den Kopf. “Nur bedauerlich, dass wir jetzt alle unsere teuren Lehrbücher wegwerfen können. – Die Eckdaten der Biologie müssen jetzt nämlich in wesentlichen Teilen neu ermittelt werden!”

      Ein paar Witzbolde kramten sofort in ihren Taschen herum und holten ihre Biologiebücher heraus.

      “Wir warten aber noch damit, bis unser junger Darwin hier einen schlüssigen Beweis für die Existenz eines solchen Tieres geliefert hat!”

      Ein lang gezogenes “Oooch!” klang in der Klasse auf und die Bücher verschwanden wieder in den Taschen.

      “Also”, der Lehrer wandte sich jetzt wieder direkt an Jeff. “Können wir das Thema damit beenden?”

      “Ja, Sir!”, nickte Jeff. “Nach den Ferien bringe ich Ihnen so ein Tier mit!”

      In Mister Hoodsons Augen blitzte einen Augenblick lang die nackte Wut auf. Widerspruch mochte er überhaupt nicht, das war allgemein bekannt. Aber er beherrschte sich und warf Jeff nur noch einen seltsamen Blick zu, bevor er sich abwandte und mit dem normalen Unterricht begann.

      “Warum haste dich denn bloß mit dem alten Hoodson angelegt?”, wollte Billybob Mayers nach Schulschluss von Jeff wissen. “Is´ doch völlig Brause, was so´n Vieh für Beine hat! Warum guckste dir sowas überhaupt an?”

      “Weiß auch nicht, - Nur so!”, meinte Jeff und hob die Schultern ein wenig. Billybob war ein ziemlicher Idiot, aber gerissen genug, immer gerade noch ausreichende Noten zu bekommen. Obwohl er redete wie ein Depp, war er in der Klasse ziemlich beliebt und Jeff hatte keine Lust, es sich mit ihm zu verderben. Es reichte schon, dass er jetzt den alten Hoodson gegen sich aufgebracht hatte, da konnte er weiteren Ärger nicht gebrauchen.

      “Darwin, das war doch der, der irgendwas mit `nem Beagle gemacht hat”, quasselte Billybob weiter. “Warum hat Hoodson Darwin zu dir gesagt? Du hast doch gar keinen Hund, oder?”

      “Die ‚Beagle‘ war das Schiff, mit dem Darwin gereist ist, um die Natur zu erforschen.”

      “Ach ja?” Ganz offensichtlich fehlte Billybob jede Erinnerung. “´n Schiff, das heißt, wie´n Hund? Warum das denn?”

      “Keine Ahnung.” Jeff versuchte sich unauffällig in Richtung Ausgang zu schieben.

      “Beagle!” Billybob schüttelte den Kopf. “Verrückter Name für´n Schiff!” – Und dann sagte er etwas, das Jeff nie erwartet hätte: “Dass du sowas alles weißt, is schon Klasse! Bist ganz schön helle, was? - So, ich muss jetzt los. Na, denn mach´s man gut. Bis nach den Ferien dann.” Mit einen kräftigen Schlag auf Jeffs Schulter verabschiedete er sich und ließ seinen leicht verdutzten Klassenkameraden einfach stehen.

      “Verrückt!”, murmelte Jeff und ging zum Ausgang. Es geschah nicht oft, dass jemand ihm gegenüber seiner Bewunderung Ausdruck verlieh, und von Billybob hätte er es am wenigsten erwartet.

      Als Jeff die Schule verließ, hatte Billybob schon etliche Schritte Vorsprung und steuerte auf sein altes Mustang-Cabrio zu, das auf dem Parkplatz in der Sonne stand. Zwei Mädchen und ein Junge saßen schon im Wagen und warteten darauf, dass die Fahrt endlich losging. Das sah ganz nach einem vergnügten Start in die Ferien aus, den die vier sich jetzt machen würden, und Jeff spürte einen Anflug von Neid. Der ließ aber schnell nach, als er sah, wer sich da alles zu einer Spritztour versammelt hatte: Alles Leute, für die „Phoenix“ nur der Name eines Weltraum-Abfangjägers war und die den Orinoco wahrscheinlich für einen Halbbruder von Godzilla hielten. Jeff wusste genau, dass er in so einer Gesellschaft nach spätestens einer halben Stunde Schreikrämpfe gekriegt hätte, und so registrierte er kaum noch, wie Billybob elegant hinter das Steuer jumpte und der Mustang mit wimmernden Reifen vom Hof kurvte.

      Dank der neuen Zündkerze sprang der Scooter schon beim ersten Knopfdruck an und Jeff nutzte die Heimfahrt durch den warmen Nordtexas-Wind, um sich ein paar Gedanken zu machen:

      Hoodson hatte seine Ehre angegriffen, und das war etwas, das Jeff sehr schlecht vertrug. Es hatte all seine Kraft gekostet, um sachlich zu bleiben. Aber darüber hinaus hatte Hoodson auch noch versucht, ihn vor der ganzen Klasse lächerlich zu machen; und Jeff hatte sich vorgenommen, diesem Ekel zu beweisen, dass es solche Tiere tatsächlich gab.

      Sie hatten über ihn gelacht! - Irgendwie musste er es schaffen, in den Ferien an so ein Pseudo-Insekt zu kommen und es dann einfrieren, um es Hoodson und der ganzen Klasse zu zeigen. Vielleicht wusste sein Vater ja etwas über diese Art von Tier.

      Je länger Jeff nachdachte, um so überzeugter war er davon, dass sein Dad diese Biester kannte – und zwar von seiner Arbeit bei der Moulder-Oil-Company. Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit hatte sich das Biest dort in den Wagen verirrt und er hatte es unabsichtlich mit in die Stadt gebracht.

      Jeff beschloss, seinen Vater danach zu fragen. Vielleicht konnte er ja noch so ein Tier mitbringen. – Diesmal mit Absicht.

      Und wenn das nicht gelang? Wenn er sich nicht darauf einließ? Dann blieb Jeff nur der Trost, dass das heute der letzte Schultag gewesen war und dass die Klasse den Vorfall nach den Sommerferien vielleicht vergessen hatte.