Jens Wollmerath

Zeit ist nicht das Problem


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mich bei Ihnen um eine Probandentätigkeit zu bewerben. Und dauernd höre ich hier irgendwas von Muße! Ich brauche einen Job, verstehen Sie?“

      „Genau wie bei den anderen, gleich springt er auf und rennt raus“, dachte Dr. Kiefer und blickte Karl ruhig an. Professor Hardenberg lächelte ein wenig matt und goss Milch in seinen kalten Kaffee.

       Freitag, 22. Februar

       Ich kann es nicht fassen. Wahrscheinlich bin ich bescheuert, aber ich habe soeben den wohl beklopptesten Arbeitsvertrag der Weltgeschichte unterschrieben. Ich werde ein Jahr lang dafür bezahlt, nichts zu tun, im Klartext: für Müßiggang und Faulheit. Wenn ich das hier in zehn Jahren lese, werde ich denken, ich war besoffen. Aber ich habe alles schriftlich, mit Stempel und allem dazu. Das Bundesbildungsministerium fördert das Forschungsprojekt der Philosophischen Fakultät der Universität Halsterberg mit dem Titel „Wahrnehmung und Veränderung des Individuums in der postmodernen Arbeitsgesellschaft unter dem Einfluss von Muße.“ Wahnsinn, wofür die ihre Gelder verplempern! Ich darf nichts tun, muss mich nur regelmäßig bei der Uni vorstellen, um über meine Erfahrungen zu berichten. Diese beiden Profs sind der Hammer. Entweder sind die total durchgedreht oder genial. Ich kann es kaum erwarten, was Steve wohl dazu sagen wird.

       11

      „Du willst mich verarschen, oder?“

      Steve stand auf einem der Tische in seinem Café und schraubte an einer Lampenfassung herum, die an einem langen Kabel von der Decke hing. Er trug nur ein Unterhemd, das vom Schweiß schon klebte, und eine fleckige Arbeitshose.

      „Nein! Wo denkst du hin!“

      Karl stand noch immer in der Nähe der Tür.

      „Die bezahlen mich ein ganzes Jahr lang dafür, dass ich nichts tue, absolut und überhaupt gar nichts.“

      „Ich glaub dir kein Wort. Und wenn es stimmt, bring ich dich um!“

      „Was hast du denn?“

      „Och nichts! Ich bin ja bloß mit zigtausend Euro verschuldet und muss mir hier ab April einen abbrechen, um wieder Land zu sehen.“

      „Ich kann ja nichts dafür. Deine Schuld, wenn du Zeitungen statt Malerfolie zum Abdecken benutzt!“

      „Und was sagt deine Familie dazu?“

      „Ich hab’ denen noch gar nichts erzählt. Ich denke, ich werde so tun, als ob ich für diese Uni etwas schreibe.“

      Karl unterstrich seinen Satz, indem er selbst wie in Zustimmung nickte.

      „Vielleicht keine schlechte Idee“, murmelte Steve, „ich kann mir nicht vorstellen, dass Susanne vor Freude in die Luft springt, wenn sie hört, dass ihr lieber Bruder fürs Faulenzen bezahlt wird.“

      „Es geht nicht ums Faulenzen, es geht um…“

      „Verdammte Sch…“, schrie Steve und sprang vom Tisch. Er hielt sich die rechte Hand.

      „In dieser Bude ist aber auch alles vermurkst. Da liegt Strom auf dem Massekabel!“

      Karl wusste nicht, was er sagen sollte. Stattdessen rannte er zur Theke und holte seinem blassen Freund ein Glas mit Wasser.

      „Danke“, brummte Steve und setzte das Glas an die Lippen.

      „Kann ich dir vielleicht bei irgendwas helfen?“ fragte Karl.

      Steve lächelte mühsam.

      „Darfst du das denn? Ich meine, laut deinem Vertrag?“

      „Spar dir deine blöden Bemerkungen, sonst bin ich gleich wieder weg. Dann kannst du hier alleine rumpfuschen! Das Projekt beginnt erst nächsten Freitag. Da ist der erste März.“

      „Na, dann kannst du mit mir vielleicht nächste Woche die Fußleisten annageln.“

      Steve grinste und schüttelte den Kopf.

       12

       Freitag, 1. März

       Es ist so weit, heute beginnt also das Projekt. Ich weiß noch nicht so recht, wie ich mich fühlen soll. Die letzten Tage waren anstrengend, habe mir mindestens dreimal auf die Finger gehauen. Jetzt habe ich endlich Zeit für alles, was so lange liegen geblieben ist. Aber, nichts tun, was heißt das denn eigentlich? Darf ich Musik hören? Oder lesen? Das ist ja eigentlich keine Arbeit oder? Vielleicht sollte ich damit anfangen, meine Bude mal richtig aufzuräumen. Das ist dann natürlich schon Arbeit. Oh Mann, was soll ich denn die ganze Zeit machen?

      Karl lag in Jeans und Pullover auf dem Bett und starrte an die Decke seines Zimmers. Die Spinnweben in der Ecke bewegten sich sanft im Strom der aufsteigenden Heizungsluft.

       Wo sind die wohl hingekrabbelt? Sind die noch irgendwo im Zimmer, oder haben sie schon den Weg durch die Fensterritzen nach draußen gefunden?

      Seine Gedanken kreisten seit einer halben Stunde um dieses Thema. Der Kalender über dem Kopfende seines Bettes zeigte den 6. März.

       Eine Woche voller entsetzlicher Langeweile.

      Karl hatte außer seinen lebensnotwendigen Verrichtungen tatsächlich nichts getan, was auch nur entfernt an Arbeit erinnern könnte. Auf dem Fußboden in seinem Zimmer lagen Schallplattenhüllen und verschiedene Zeitschriften.

       Es ist schon seltsam, wie man sich doch tatsächlich immer genau das wünscht, was man gerade nicht hat. Während meiner Prüfungsphase hätte ich gerne mehr Zeit für meine Leidenschaften gehabt. Jetzt habe ich alle Zeit auf diesem Planeten und will sie dafür nicht mehr nutzen. Die Tage verstreichen, ohne dass ich mich daran erinnern kann, was ich erlebt habe. Ich muss was machen!

      Er setzte sich auf die Bettkante. Gähnend riss er das Kalenderblatt des heutigen Tages ab, um sich den Spruch laut vorzulesen:

      „Meiner Meinung nach ist es eine Schande, dass auf der Welt so viel gearbeitet wird. William Faulkner.“

      Achtlos ließ Karl das Blatt auf den Boden fallen und schlurfte in die Küche.

       Hier sieht es mittlerweile aus wie nach einem Angriff tollwütiger Paviane!

      Die Schränke standen offen, überall lagen Essensreste und angebrochene Lebensmittel-Packungen herum. Von einem Spülberg konnte nicht mehr die Rede sein, sein Geschirr stapelte sich eher in Form einer Müllhalde. Zielsicher fischte Karl sich aus der Obstschale auf seinem Kühlschrank den letzten Apfel, der noch nicht vollständig verfault war, ging zurück ins Zimmer und nahm das Telefon. Während er Steves Nummer wählte, kratzte er mit der anderen Hand die Bartstoppeln an seinem Kinn.

      „Hier ist der Anrufbeantworter von Steve. Bin momentan nicht zu erreichen. Die Strandbar wird am ersten April geöffnet. Kein Scherz!“

       Lange nichts mehr gehört, alter Kumpel. Was mach ich also mit dem Rest des Tages?

      Er legte wieder auf. Als er sich gerade wieder hinlegen wollte, klingelte es an seiner Wohnungstür.

       Bin nicht da. Ich erwarte keine Besuche. Audienz erst wieder in einem Jahr!

      Die Klingel wurde erneut gedrückt, diesmal etwas länger. Gleichzeitig klopfte jemand an die Tür. Mit einiger Ansrengung erhob sich Karl vom Bett und bewegte sich mit der Geschwindigkeit einer Weinbergschnecke an einem heißen Julitag in den Flur. Er sah durch die Linse seines Türspions. Im Treppenhaus stand seine Schwester, die den Knopf seiner Klingel gedrückt hielt. Karl öffnete die Tür.

      „Willst du mit deinem Finger ein Loch in die Wand bohren?“

      Susanne ließ den Knopf los.

      „Hallo Bruderherz, wie siehst du denn