Wilfried Baumannn

Das letzte Schuljahr


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ihren Eltern akzeptiert. Sie stand im Gegensatz zur Konfirmation und war durch und durch atheistisch geprägt. Am Ende stand nach den vorbereitenden Jugendstunden das feierliche Gelöbnis auf den Sozialismus. Dazu gab es noch das Buch „Weltall, Erde, Mensch“.

      Gegen die zunehmende Gott- und Religionslosigkeit setzte am 18. August 1976 der Pfarrer Oskar Brüsewitz aus der Nähe von Leipzig ein Fanal. Er verbrannte sich vor der Michaeliskirche in Zeitz.

      Im November desselben Jahres wurde der Liedermacher Wolf Biermann während eines Aufenthaltes in der Bundesrepublik ausgebürgert. Er hatte dort DDR-kritische Lieder vorgetragen. Die Hetzkampagne der Partei gegen ihn förderte in ungewolltem Maße seine Popularität. Schriftsteller und Künstler, die gegen seine Ausbürgerung protestierten, wurden reglementiert, aus den Verbänden ausgeschlossen, diffamiert oder völlig ignoriert, was einem Berufsverbot gleichkam.

      Im August 1978 flog der NVA-Oberstleutnant Siegmund Jähn als erster Deutscher an Bord des sowjetischen Raumschiffes „Sojus 31“ in das Weltall.

      Das neue, von der Volkskammer beschlossene Verteidigungsgesetz vom Oktober 1978 erinnerte stark an die Verordnungen Hindenburgs gegen Ende des Ersten Weltkrieges, wobei die Belange der Armee und der Rüstung gegenüber den Bedürfnissen der Bevölkerung den Vorrang hatten.

      1979 wurden westliche Journalisten durch eine Verordnung zur Genehmigung von Befragungen und Interviews verpflichtet, weil immer mehr DDR-Bürger die Angst verloren, sich offen zu äußern.

      Um noch mehr West-Devisen abzuschöpfen, wurden die sogenannten Intershops, Intertanks und Genex eingeführt. Die Intershops waren eine Art Kramladen für Westwaren, die schon vom Duft her verlockend waren. Die Intertanks boten hochwertige Kraftstoffe und die Genex, die Geschenkdienst und Kleinetransporte GmbH, erlaubte es Westverwandten, in DM bezahlte Waren (z.B. Autos - in der DDR war der Kauf erst nach zehn Jahren Anmeldung möglich) an ihre Lieben im Osten zu verschenken. Dazu durften die DDR-Bürger ihre DM-Bestände bei einer Bank in sogenannte Forumschecks

      (nach der dafür gegründeten „Forum-Außenhandelsgesellschaft“ benannt) umtauschen, die zum Einkauf westlicher Waren und für Dienstleistungen genutzt wurden. So war eine bessere Kontrolle des DM-Umlaufs möglich.

      Wer nicht die Möglichkeit hatte, DM (Deutsche Mark - Westgeld) zu bekommen, sah voller Neid auf die, welche sich so etwas leisten konnten. Dadurch stieg auch der Unmut gegenüber dem System.

      Der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan erschütterte den Glauben an die Friedenspolitik der Sowjetunion, da dieses Land nicht zum Ostblock gehörte.

      Angeblich hatte die dortige Regierung die Sowjets um militärische Hilfe gebeten.

      In Polen konnte sich eine freie Gewerkschaft, die Solidarnosc, durchsetzen, was auch bei Teilen der DDR-Bevölkerung begrüßt wurde. Die DDR-Regierung befürchtete ein Übergreifen dieser demokratischen Bewegung.

      Schon ein Jahr zuvor war das politische Strafrecht verschärft worden. So veröffentlichte man Bestimmungen über die „staatsfeindliche Hetze“ und stellte Publikationen im Ausland unter Strafe.

      1980 wurde die DDR für zwei Jahre Mitglied des UNO-Sicherheitsrates.

      Honecker drängte nun auf die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft.

      Die DDR geriet Anfang der 80-er Jahre in Schwierigkeiten durch die hohe Auslandsverschuldung. Die Importe wurden daraufhin gedrosselt und der Export erhöht.

      Die Sicherheit an der Grenze wurde durch den Schießbefehl verschärft und Selbstschussanlagen installiert.

      Die Missstände in der Wirtschaft führten zu einem immer größer werdenden Ausreiswillen mit Antrag und den darauf folgenden Schikanen bis zur Ausreisegenehmigung.

      Auch die Hilfe durch den in den 50-er Jahren als Kriegstreiber verfemten Franz Joseph Strauß in Form eines Milliardenkredites konnte den langsamen wirtschaftlichen Niedergang nicht aufhalten.

      Unter der Losung „Schwerter zu Pflugscharen“ entwickelte sich, besonders von der evangelischen Kirche unterstützt, eine vom Staat unabhängige und verfolgte Friedensbewegung.

      Der von der SED-Führung definierte real existierende Sozialismus wurde unter dem Begriff „Hauptaufgabe“ strapaziert. Darunter verstand man die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Davon profitierte allerdings größtenteils die Hauptstadt Berlin, wo im Norden große Neubaugebiete entstanden wie Berlin-Marzahn und Hellersdorf und damit Wohnraum zu erschwinglichen Mietpreisen.

      In der Gesamt-DDR aber verfielen die Städte und verschlechterte sich die Versorgung der Bevölkerung.

      1985 distanzierte sich die DDR-Führung von Gorbatschows Perestroika- und Glasnost-Politik (Perestroika - Umgestaltung; Glasnost - Klarheit). Der neue Staatsführer der Sowjetunion wollte politische und wirtschaftliche Reformen durchführen.

      Die SED-Führung zeigte sich für neue Wege unfähig und beharrte auf dem alten Stil. Das führte zu ständig wachsendem Unmut mit den bestehenden Verhältnissen.

      Als im Januar 1988 Demonstranten ein Jahr vor dem 70. Jahrestag der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg festgenommen wurden, weil sie ein Zitat von Rosa Luxemburg („Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“) auf einem Transparent vor sich her trugen, wurden Forderungen nach Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit lauter.

      Im Mai 1989 wurde der Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen offenbar. Die erreichten 99% für die Kandidaten der Nationalen Front auf der Einheitsliste konnten einfach nicht wahr sein.

      Viele Menschen bezweifelten nun die Legitimation der Partei- und Staatsführung.

      Da öffnete Ungarn im Juli die Grenzen zu Österreich. Viele DDR-Bürger wollten nun über Ungarn in den Westen. Botschaften der Bundesrepublik in Budapest und Prag wurden von Tausenden DDR-Bürgern besetzt. Ungarn ließ gegen den Protest der DDR-Regierung die Flüchtlinge nach Österreich ausreisen.

      Am 4. September begannen in Leipzig die Montagsdemonstrationen.

      Am 7. Oktober 1989, dem letzten und 40. Jahrestag der DDR, fand wieder die große Militärparade an der Tribüne der Partei- und Staatsführung vorbei auf der Karl-Marx-Allee in Berlin, der Hauptstadt der DDR, statt. Am gleichen Tage formierte sich auf dem Alexanderplatz eine Protestwelle. Kurz vorher hatte Honecker noch verkündet, dass die Mauer noch hundert Jahre stehen würde und den aus der DDR geflüchteten Menschen werde er keine Träne nachweinen.

      Einige Wochen zuvor hatte die chinesische Parteiführung in Peking die Oppositionsbewegung mit Armee und Panzern niedergewalzt, was besonders von einem führenden Mann der SED namens Egon Krenz begrüßt wurde. Völlig unverständlich war auch, dass einem der damals schlimmsten kommunistischen Diktatoren in Rumänien, Ceaucescu, der Karl-Marx-Orden verliehen wurde, die höchste Auszeichnung der DDR. Die Wut der Menschen war verständlich.

      Vom Alexanderplatz gingen sie zum Palast der Republik, wo die Feiern zum 40. Jahrestag stattfanden und riefen: „Demokratie, jetzt oder nie!“ und „Keine Gewalt“.

      Die Tage von Erich Honecker waren gezählt und Egon Krenz wurde Parteichef.

      Am 4. November forderten die DDR-Bürger auf dem Alexanderplatz bei der ersten genehmigten freien Demonstration den Rücktritt der Regierung und die Annullierung des Alleinvertretungsanspruches auf die Führung des Staates durch die SED in der Verfassung.

      Der Zerfall der DDR war nun nicht mehr aufzuhalten. Die Offiziere der Nationalen Volksarmee und auch die sowjetischen Truppen weigerten sich, die chinesische Version durchzuführen.

      Am 9. November fiel wie durch ein Wunder die Mauer.

      Am 3. Oktober 1990 wurde die DDR Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland und nannte sich jetzt „die neuen Länder“.

      Vier Tage fehlten noch, um das 40. Jahr der DDR zu vollenden.

      Der Zusammenbruch des real existierenden sozialistischen DDR-Systems erfolgte durch eine friedliche Revolution ohne Blutvergießen und Gewaltexzesse. Das war einmalig in der Geschichte der Menschheit.

      Die