Orkania

Im Auge der Kamera


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öffnen und ein wenig frische Luft hereinlassen. Mit der kühlen Abendluft und den Atemübungen ging es ihm schnell wieder besser. Wahrscheinlich hatte er eine Maus gehört und jetzt ging seine Phantasie mit ihm durch. Zum Glück waren nur in den Fluren Kameras und nicht in den Büros und Aufenthaltsräumen. Dann konnte ihn niemand beobachten.

      Er beschloss, die Pause ausfallen zu lassen und gleich seinen Dienst fortzusetzen. Also rückte er den Stuhl wieder an seinen Platz, schloss das Fenster und ging zurück ins Treppenhaus. Als er im ersten Stock an der Tür vorbeiging, schaute er nicht noch einmal zur Kamera hoch, sondern lief schnell weiter nach unten. Er ging in seinem Überwachungsraum an seinen Platz und kontrollierte alle Monitore, Türen und Fenster sowie die Alarmanlage. Er war allein im Haus. Niemand hatte versucht es zu betreten. Alles war wieder ruhig.

      Erich notierte im Protokoll trotzdem den aussergewöhnlichen Kontrollgang und machte einen Vermerk für seinen Chef, den er sorgfältig in den Computer tippte und per Intranet an die Assistentin der beiden Partner schickte. „Geräusche im 1. Stock – keine besonderen Vorkommnisse. Mäuse?“

      Während er einen Tee schlürfte, ging er die Aufnahmen der letzten Stunde durch. Sein Herz klopfte immer noch viel zu schnell. Was für eine Aufregung, dabei war doch gar nichts. Und trotzdem, Erich fühlte sich schlecht. Vielleicht brütete er ja etwas aus? Er wollte sich ablenken und starrte geradezu auf den Monitor mit den Aufnahmen des ersten Stocks. Die Bilder schossen im Schnellvorlauf vorüber.

      Da sah er etwas! Er griff nach der Maus und klickte mit dem Cursor auf Pause. Die Aufnahme stoppte, war aber natürlich schon längst bei einer anderen Einstellung. Erich drückte auf Rücklauf und sah sich alles noch einmal an. Dann hielt er erneut an und spielte die Aufnahme noch einmal vorwärts ab. Was hatte er gesehen?

      Die fünf Kameras zeigten verschiedene Bilder des ersten Stockwerkes. Im Bild war gerade wieder die grosse Theke und dann der Flur zu sehen. Bei der zweiten Einstellung glitt plötzlich ein Flimmern über das Bild und störte kurz die Übertragung. Nach 5 Sekunden tauchte das Treppenhaus vor Erichs Augen auf. Er drückte auf Stopp und klickte ein Bild zurück. Der kürzere Teil des Flures. Noch eine Sekunde zurück. Das Bild änderte sich nicht. Wieder klickte er eine Sekunde zurück. Da war die Störung im Bild. Weisses Rauschen. Erich sah genau hin. Durch das weisse Rauschen hindurch erkannte er den Flur, als ob ein Bild über dem anderen lag. Sein Herz machte einen Sprung.

      Da war jemand im Flur!

      Erich war aufgesprungen. Er kontrollierte mit einem Blick die Alarmanlage, die jedes Eindringen von aussen registrierte. Doch der Computer zeigte keine geöffneten Türen oder Fenster an. Alles im grünen Bereich. Er hätte einen Alarmton auch nicht überhört- dazu war es zu laut. War das System im Eimer?

      Erich sah sich noch einmal das eingefrorene Bild der Kamera an. Unter dem Rauschen erkannte er die Umrisse des Flures und den Schemen einer hochgewachsenen Gestalt. Er klickte noch eine Sekunde zurück. Das Bild zeigte ebenfalls weisses Rauschen und darunter war auch der Flur zu erahnen, aber diesmal war er menschenleer. Erich kratzte sich am Kopf. Wo war der Kerl so schnell hin? In einer Sekunde war er niemals hinter einer der Türen verschwunden.

      Er klickte noch weiter zurück, diesmal erhielt er eine störungsfreie Aufnahme des Flures, alles war leer und still. Erich klickte wieder nach vorn. Die Aufnahme war genau 5 Sekunden lang. Nur der dritte Filmausschnitt, das zweite der beiden Bilder mit der flackernden Störung, zeigte einen Schatten. Alle anderen Aufnahmen zeigten den leeren Flur. Er warf einen Blick auf den Timecode. Genau zu der Zeit musste er oben im zweiten Stock gewesen sein. Und vorher hatte er genau dort Geräusche gehört. Aber er hatte den ersten Stock doch kontrolliert?

      Erich minimierte die Anzeige, kontrollierte auf den übrigen Monitoren alle Kameras und das Alarmsystem ein weiteres Mal und öffnete dann die Aufnahmen des ersten Stocks von 1 Uhr nachts an. Er sah auf die Uhr, es war Viertel nach 1. Schnell klickte er sich durch zum zweiten Abschnitt des L- förmigen Flurs. Da war nichts. Er spielte die Aufnahme Sekunde für Sekunde ab und hielt beim dritten Bild die Luft an. Wieder der Schemen. Auf dem vorigen Bild und dem nachfolgenden nichts. Theoretisch war Erich allein im Gebäude. Aber praktisch war da eine Gestalt auf einem der Bilder zu erkennen.

      Gänsehaut kroch über Erichs Rücken. Er griff zum Telefon und rief die Zentrale der Sicherheitsfirma an. Dort liess er sich mit seinem Vorgesetzten verbinden. Dem schilderte er das Problem, aber der Mann reagierte abweisend. Kurz angebunden erklärte er Erich, dass er ihm zwei weitere Sicherheitsbeamte vorbeischicken würde, um das Gebäude zu kontrollieren und legte auf. Erich wartete fieberhaft eine Viertelstunde lang und kontrollierte genauestens alle Ein- und Ausgänge und das Alarmsystem. Er konnte weder ein Eindringen, noch fremde Menschen oder einen Fehler im Programm entdecken. Alles lief ruhig und ordentlich wie immer. Dann klingelte es an der Tür und Erich ging nach vorn, um die Kollegen hereinzulassen.

      Dienstag

      Am nächsten Tag ging Erich zwei Stunden früher als sonst zur Arbeit. Der Chef wollte ihn sprechen, nachdem er von dem Vorfall gestern in Kenntnis gesetzt worden war. Er hatte Erich am Vormittag persönlich angerufen. Erich hatte gerade versucht zu schlafen und war während des kurzen Gesprächs entsprechend benommen. Er hatte keinen guten Eindruck am Telefon gemacht, das wusste er. Trotz des Schlafmangels und der Mattigkeit, die ihn quälte, ging er jetzt also besonders aufrecht und hoffte, die frisch geputzten Schuhe und der sauber getrimmte Bart würden den schlechten Eindruck wieder gerade rücken.

      Der Chef erwartet ihn in seinem Büro. Es war doppelt so gross wie die anderen Räume und mit edlen Hölzern getäfelt. Schwere Vorhänge verdunkelten die Fenster und die Schreibtischlampe verbreitete eine Insel aus hellschimmerndem Licht. Erich trat näher.

      „Erzählen Sie mir mal, was das gestern für ein Vorfall war mit der kaputten Kamera,“ sagte der Chef und klappte den Deckel der Akte zu, in der er bis eben gelesen hatte.

      Erich räusperte sich. „Ich habe einen Schatten auf den Bildern erkannt, erst ein Flimmern und dann deutlich eine Gestalt. Und da es sich eindeutig um eine Person handelte und alle übrigen Angestellten das Haus schon verlassen hatten, habe ich Verstärkung gerufen. Es ist nicht das erste Mal gewesen, das in dem Flur hier abends irgendetwas vor sich ging. Einige Zeit zuvor habe ich auch schon verdächtige Geräusche gehört. Aber meine Suche hat nichts ergeben.“

      Der Chef legte den linken Zeigefinger über die Lippen und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Ich hab die Berichte gelesen. Scheint aber nichts ungewöhnliches gefunden worden zu sein,“ meinte er und setzte sich gerade hin. „Ausserdem hat mir die Sicherheitsfirma einen Bericht geschickt, über den Einsatz gestern und das Videomaterial. Die haben nichts gefunden.“

      Erich nickte. „Das stimmt, es war niemand mehr im Gebäude als die Kollegen kamen.“

      Der Chef lehnte sich vor. „Aber es ist auch nichts auf den Aufnahmen zu sehen. Da ist keine Person und auch kein Schatten oder was auch immer Sie da gesehen haben wollen.“

      Erich sah den Chef verdattert an. „Ich hab das mehrmals geprüft, da war etwas. Ein Bild ist unter dem Rauschen zu sehen und das zeigt den Flur und eine Gestalt.“

      Der Chef sah skeptisch aus. „Ich hab mir das Bild angesehen und da ist nichts. Wahrscheinlich ist die Kamera kaputt. Die Sicherheitsfirma schickt heute abend noch einen Techniker vorbei.“

      „Ich bin fest davon überzeugt, Schritte gehört und jemanden gesehen zu haben.“ „Tja, die Ergebnisse Ihrer Kollegen sagen etwas anderes. Waren Sie nicht gerade erst im Urlaub? Ich würde sonst sagen, Sie brauchen Ferien.“

      Erich schluckte. „Ich bin nicht überarbeitet, wenn Sie das meinen. Ich hab auch keine Angst im Dunkeln. Ich bin jetzt seit vielen Jahren Nachtwächter und ich bin mir sicher, ich habe was gesehen!“

      „Und es könnte nicht eventuell etwas anderes gewesen sein? Eine optische Täuschung vielleicht? Ein Reflex auf dem Monitor?“

      Erich war verunsichert. „Das kann ich überprüfen,“ sagte er leise.

      Der Chef nickte. „Tun Sie das. Vielleicht brauchen Sie ja eine bessere Schreibtischlampe.“ Erich wollte gehen, da rief ihm der Chef hinterher: