Michael Schenk

Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes


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stieß ein erstauntes Brummen aus, als er die Spur fand.

      Er ging in die Hocke und tastete die Ränder mit den Fingerspitzen ab. Dann wandte er sich dem Lager zu und stieß einen leisen Pfiff aus. Nach wenigen Augenblicken stapften zwei der anderen Axtschläger heran.

      „Was ist los? Bist du wieder einem kapitalen Felsbock auf der Fährte?“

      Der alte Axtschläger richtete sich auf und schüttelte den Kopf. „Was immer diese Spur hinterlassen hat, es war sicherlich kein Felsbock. Seht es euch selbst an, Männer.“

      Auch sie betasteten die Ränder der Abdrücke. „Es ähnelt dem Abdruck eines Menschen, aber die Ränder sind seltsam unscharf.“

      „Größer als ein gewöhnlicher Mensch.“

      „Ein Rundohr der Orks?“

      „Nein, ich kenne die Abdrücke, die ihre Kampfstiefel hinterlassen. Ebenso die Stiefelspuren der Menschen. Dies ist keines von beiden. Bedenkt die Unschärfe an den Rändern. Als wäre der Fuß an den Seiten mit Pelz oder Fell bewachsen gewesen.“

      Einer der Axtschläger zupfte nachdenklich an seinen Bartzöpfen. „Ja, das ist wahr. Aber wenn wir oder die Menschen im Winter gefütterte Stiefel tragen, dann befindet sich das Fell innen, damit der Fuß gewärmt wird. Und es gäbe einen klaren Abdruck der Stiefelsohle.“

      „Richtig.“ Maratuk strich sich über das Kinn. „Dieses Wesen war größer als ein Mensch. Wenigstens, was seine Füße angeht. Und die sind ausgesprochen behaart.“

      „Ein Pelzbeißer?“

      „Die Größe würde diesem Raubtier entsprechen, aber es läuft auf vier Beinen und richtet sich nur zum Angriff auf die Hinterbeine auf.“

      „Was du sagst, gefällt mir nicht, Maratuk“, gestand einer der Axtschläger ein. „Somit schleicht etwas durch die Öde, das wir noch nicht kennen, nicht wahr?“

      Maratuk nickte und sah die Gefährten ernst an. „Es schleicht nicht nur durch die Öde, sondern es beobachtet unser Lager. Seht euch den Verlauf der Fährte an. Sie führt um das Lager herum und dann wieder nach Norden zurück.“

      „Mir gefällt immer weniger, was du da sagst.“

      „Glaubst du, mir gefällt es?“ Der alte Axtschläger blickte nach Norden. Es hatte aufgehört zu schneien und die Landschaft war mit Schnee bedeckt. Die Fährte hob sich deutlich ab, doch sonst war nichts zu erkennen. „Vielleicht war es wirklich ein Raubtier, das zufällig auf unser Lager stieß, es ein wenig beschnüffelte und sich dann wieder verzog. Aber wir müssen damit rechnen, dass es zurückkehren könnte und bei uns nach Beute sucht.“

      Einer der Kämpfer leckte sich über die Lippen. „Dann werden wir unsere Augen noch weit besser offen halten, als bisher. Sollen wir den anderen Bescheid sagen?“

      Maratuk schüttelte den Kopf. „Nur unseren Axtschlägern. Ich will die Schürfer nicht beunruhigen. Sie sind schon gereizt und nervös genug. Halten wir die Augen offen und die Äxte bereit. In zwei Tageswenden werden wir die Öde ohnehin wieder verlassen.“

      Der Tag verlief ohne besondere Vorfälle, und Maratuks anfängliche Anspannung ließ ein wenig nach. Erst gegen Abend wuchs sie erneut, zumal leichter Schneefall einsetzte. Er wählte den erfahrensten Mann aus, um den Turm zu besetzen, und schärfte ihm ein, auf jede Auffälligkeit zu achten.

      Die Schürfer bemerkten die Nervosität der Axtschläger nicht und ebenso wenig, dass diese ihre Äxte stets griffbereit hielten. Maratuk aß nur wenig, und es dauerte lange, bis er in dieser Nacht endlich Schlaf fand.

      Er erwachte kurz vor Tagesanbruch. Es war das Bedürfnis, welches ihn im zunehmenden Alter des Öfteren in der Nacht plagte. So erhob er sich, bemüht, die anderen nicht zu wecken, und verließ den Bau des Lagers. Schneeflocken trieben in sein Gesicht, und er schirmte die Augen ab, als er zur Turmplattform hinaufsah. Die Wache war auf ihrem Posten und winkte ihm kurz zu. Maratuk trat näher und sprach mit leiser Stimme.

      „Ich werde mich ein wenig umsehen. Sei also nicht zu eilig, wenn du deine Bolzen löst.“

      Die Wache tippte grinsend gegen die Bolzenschleuder, die sie am Waffengurt trug. „Und du entferne dich nicht zu weit, Maratuk. Denk an die Fährte, die wir fanden.“

      Der alte Axtschläger wischte etwas Schnee aus seinen Augen. „Ja, ich werde darauf achten.“

      Er stapfte ein Stück durch den Schnee und entfernte sich langsam vom Lager. Eigentlich hatte er sich nur erleichtern wollen, doch die Worte des anderen Axtschlägers hatten ihn daran erinnert, dass sich etwas Unbekanntes in der Öde befand. Er ärgerte sich über sich selbst. In jüngeren Jahren wäre ihm das nicht passiert. Da wäre seine Sorge um die anderen Zwerge niemals vom Drücken seiner Blase verdrängt worden. Langsam wurde er alt. Vielleicht zu alt, um dem Volk noch als Axtschläger zu dienen. Seine Zöpfe trugen ja bereits die Farben des hohen Alters, aber seine Zähne waren noch in Ordnung. Wenigstens die meisten davon. Er konnte sie noch immer kräftig in ein Stück Fleisch hineintreiben und musste sich nicht mit Pilzbrei begnügen.

      Maratuk achtete auf die Umgebung und vor allem darauf, ob sich im Schnee die Spur eines anderen Wesens abzeichnete. Schließlich bemerkte er, wie weit er sich inzwischen vom Lager entfernt hatte.

      Seufzend trat er an einen der kleineren Felsen, um sich endlich zu erleichtern.

      Er war gerade dabei, seine Hose wieder zu schließen, als er ein leises Geräusch hörte.

      Lauschend verharrte er. Hatte er sich getäuscht?

      Nein, da war es wieder.

      Maratuk schloss hastig seine Kleidung und zog eine seiner Äxte aus dem Rückenfutteral. Er versuchte, den Ursprung des Geräusches zu bestimmen. Es war ein dumpfer Laut gewesen. Der Axtschläger trat behutsam in den Schnee. Nein, Schritte hätten ein leises Knirschen hervorgerufen. Der Laut war anders gewesen. Wie von einem Sturz oder einem … Schlag?

      Die andere Hand glitt an die zweite Axt und zog sie hervor. Maratuk lauschte mit angespannten Sinnen. Der Schneefall dämpfte alle Geräusche, und doch glaubte er, einen leisen Schrei aus dem Lager zu hören.

      Der alte Axtschläger unterdrückte einen Fluch und lief los, so schnell es der Schnee und seine kurzen Beine erlaubten. Warum hatte er sich nur so weit vom Lager entfernt? Er hätte seine Hose ebenso direkt hinter dem Bau herablassen können.

      Nun waren deutlich Schreie zu hören.

      Schreie des Entsetzens, des Zorns und der Todesnot.

      Maratuk rannte und konnte bereits die Kuppel des Lagers erkennen, als die Stille einsetzte.

      Er verharrte entsetzt.

      Unschlüssig lauschte er und seine Hände krampften sich um die Stiele seiner Äxte.

      Nichts war zu hören, außer seinem heftigen Atem.

      Das war nicht gut.

      Nein, es war sogar ein sehr schlechtes Zeichen.

      Seine Gefährten waren überfallen worden, daran gab es keinen Zweifel. Hätten sie den Feind bezwungen, dann wäre ihnen Maratuks Abwesenheit aufgefallen, und er müsste die Stimmen hören, mit denen sie nach ihm riefen.

      Niemand rief nach ihm.

      Er starrte zu der Kuppel hinüber, die im Schneetreiben kaum zu erkennen war. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung, bereit, seine Äxte in Blut zu tauchen. Er wusste, dass er niemandem mehr beistehen konnte, doch er musste in Erfahrung bringen, wer für die Bluttat verantwortlich war. Schnee bedeckte ihn, und Zwerge waren ohnehin von kleiner Statur, das mochte ihm helfen, sich vor den Blicken der Mörder zu verbergen.

      Schließlich war er nahe genug, um Einzelheiten erkennen zu können.

      Gestalten bewegten sich am Lager. Viel zu groß, um Zwerge zu sein, und zu viele, um gegen sie zu kämpfen. Maratuk sah sofort, dass es sich um fremde Wesen handelte. Plumpe Gestalten, von Kopf bis Fuß mit dichtem Fell bedeckt. Dennoch war offensichtlich, dass es sich nicht