Lilian Morgenroth

Aus dem Leben der Leana O.


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      Sehne mich nach Stille.

      Denn das Betäubungsmittel Lärm, wirkt bei mir nicht mehr.

       Auf der Jagd

      „Da is ne Mücke!“, sage ich nüchtern in die Dunkelheit des Zimmers hinein. Die Nachricht erscheint mir vernichtend. Gerade noch bin ich friedlich dagelegen, um mich meiner Müdigkeit hinzugeben, als ich das bedrohliche Surren vernehme. Ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertsein breitet sich in mir aus. Es darf einfach nicht wahr sein! Eine Mücke! Meine Nachtruhe ist bedroht und es sieht ganz nach einem bevorstehenden Schlachtfest auf meine Waden, Hände, Fußgelenke, und sogar das Gesicht aus.

      „Was machen wir jetzt?“, frage ich Johann ratlos und schläfrig. Der liegt auf der anderen Matratze und starrt hellwach und aufmerksam in die Dunkelheit hinein. Normalerweise halten wir es so, dass wir die ganze Nacht möglichst nah beieinander schlafen. Nur wenn es zu warm wird, rückt Johann ab, was ich als schweren Verrat anprangere. Die Matratze jedoch zwingt uns dazu unsere Gewohnheiten für den Aufenthalt in diesem Hotel aufzugeben. Sie ist in zwei Hälften geteilt, die selbst bei größter Bewegungsarmut innerhalb von kürzester Zeit auseinander driften. Eine unüberbrückbare Kluft. Erst haben wir versucht gemeinsam auf einer Matratze zu schlafen. Diese ist jedoch so weich, dass sie sich unter unserem Gewicht durchdrückt, so dass das Gesäß gefühlt am Boden aufschlägt. Im Gegensatz dazu ist der Kopfbereich so weit oben, dass das normale Liegen eher einer Sitzposition anmutet. Gezwungener Maßen muss also jeder auf seiner eigenen Matratze verharren. Um den Körperkontakt nicht ganz zu verlieren, halten wir uns hin und wieder an der Hand, was ich im Halbschlaf in meinen Traum integriere. Ich glaube dann, der Matratzenspalt sei die Schlucht der Burg von Ronjaräubertochter, ich als Ronja und Johann als Birk Borkasson.

      „Ich schlage vor wir machen das Licht an und legen uns auf die Lauer“, entscheidet Johann. Es dauert eine Weile bis ich mich an das Licht gewöhnt habe und überhaupt etwas sehe.

      Kerzengerade liegen wir jeder auf seiner Hälfte der Matratze, beide bis zum Hals zugedeckt. Kein unnötiger Zentimeter soll dem potentiellen Schlachtfest zum Opfer fallen. Das Autan steht leergesprüht auf dem Nachttisch. Es sind nur noch wenige Spritzer darin.

      „Da! Ich hör sie!“, rufe ich.

      „Ja, ich auch...es sind zwei!“

      „Mist! Ein helleres Surren und ein Bass!“

      Minuten vergehen wie wir konzentriert dem Surren nachhorchen und angestrengt versuchen die Angreifer zu entdecken.

      „Siehst du was?“, fragt Johann, der bewaffnet mit einem italienischen Lustigen Taschenbuch unter der Decke liegt.

      „Nee...“

      „Da!!!“ Johann klatscht mehrmals vor sich in beide Hände. „Mist, nicht erwischt. Ich hatte sie und dann ist sie wieder rausgeflogen.“

      Wieder liegen wir konzentriert auf der Lauer. Da springt Johann mit einem Satz auf, streckt seinen Arm aus und knallt das Comicheft gegen die weiße Wand. „Ha! Erwischt! Du mieses Ding, da liegt sie auf dem Boden!“

      Ich jubiliere, und lobe den Einsatz des erfolgreichen Verteidigers.

      „So, jetzt müssen wir nur noch die zweite erwischen“, stelle ich fest.

      Nach einigen Minuten schlage auch ich hektisch und leicht panisch die Hände immer wieder vor mir zusammen. Vergeblich.

      „Da! Da! Dort fliegt sie, da oben an der Wand!“, rufe ich, woraufhin Johann mit kühnem Wahnwitz in den Augen losstürzt und mit dem Comicheft heftig gegen den oberen Teil der Wand schlägt. Zufrieden begutachten wir den gerade entstandenen schwarzen Fleck an der Wand.

      Johann wirft sich zurück aufs Bett. Dabei schlägt er sich den Ellenbogen an dem, auf Grund der auseinandertreibenden Matratzen nun freiliegenden Bettgestell, derart auf, dass er schmerzverzerrt in den Tiefen, der unter seinem Gewicht einsinkenden Matratze, versinkt.

      „Oh nein! Geht’s?“, frage ich besorgt.

      „Hm...ja, geht schon wieder“, antwortet er und reibt sich den Ellenbogen.

      Wir machen es uns gemütlich, löschen das Licht und fischen gegenseitig nach der Hand des anderen, während der gerade erst frisch zusammengeschobene Matratzengraben, kaum merklich und dennoch tückisch, auseinander driftet.

      Gerade als ich beginne mir Gedanken um den Zustand meines nun aktuellen Karmas zu machen, vernehme ich ein leises Surren an meinem Ohr...

      Beziehung

      Es ergab sich am Morgen eine Situation zwischen ihm und mir, die in mir starke Aggressionen und Trotzgefühle aktivierte. Ich legte mich aufs Bett, um den Ärger und Trotz anzuschauen. Er drückte mir auf den Brustkorb und ich fragte mich, was da gerade passiert war. Langsam beruhigten sich die Emotionen wieder. Ich sah, dass es nicht seine Schuld oder böse Absicht gewesen war. Ich verstand, dass sein Verhalten bei mir alte Verletzungen triggerte. Verletzungen, Rollen- und Selbstbilder, die ich in früheren Beziehungen gelernt hatte. Ich fühlte mich in bestimmten Situationen schnell bevormundet und unzulänglich. Unselbstständig. Vor allem fühlte ich mich gerade in meiner Privatsphäre nicht geachtet. Ein Übertritt in meine Intimsphäre. Ein Thema, was schon immer ein sehr fragiles in meinem Leben war. Und hier in Berlin war ich in dieser Hinsicht sehr herausgefordert. Ich hatte kein eigenes Reich. Ich fühlte mich als Dauergast, der nach einem Jahr Fernbeziehung zwei Regalbretter errungen hatte.

      All das versuchte ich Johann zu erklären. Meine Gefühle, meine Bedürfnisse, meine Wünsche. Aber irgendwie war die Kommunikation misslungen. Aus dem Ruder gelaufen.

      „Sag mal, was schiebst du eigentlich für nen Film? Werd mal erwachsen!“

      Boom! Schlag ins Gesicht. Danke Johann. Und auf Wiedersehen.

      Ich lief zum Hermannplatz. Dieses Gefühl nirgends hinzugehören. Überall ein bisschen, aber nirgends wirklich. Nicht mehr an den Bodensee, gerade auch nicht nach Freiburg (die Wohnung war untervermietet), nicht nach Berlin.

      Was mach ich jetzt nur? Jetzt häng ich hier in dieser Stadt. Weit weg vom Bodensee. Ich bin müde, aber ich kann nicht nach Hause. Weil da Johann ist und ich nicht bei ihm sein will. Und weil „nach Hause“ nicht mein Zuhause ist. Daheim wäre ich gern. Aber ich weiß nicht, wo daheim ist.

      Ich setzte mich in eines der hübschen hipster Kaffees. Wollte etwas für die Uni arbeiten. Telefonierte mit einer Freundin und weinte. Allein unter Menschen. Was für ein vertraut-beschissenes Gefühl.

      Nach vier Stunden bekam ich Hunger. Ich setzte mich ins Fenster bei meinem lieblings Vietnamesen und aß eine Pho. Ich sah die Menschen an, die vorbeiliefen. Ich weinte und meine salzigen Tränen topften in die Suppe, bis etwaige Sojasoßen überflüssig wurden.

       Wenn ich könnte, würde ich abhauen.

      Zu Hause erwartete mich ein fröhlicher Johann, mit nacktem Oberkörper, wippend auf seiner neusten Errungenschaft. Ein roter Gymnastikball, der ihm jetzt als Schreibtischstuhl diente und auf dem er zu lauten Beats an seinen Masterprüfungen arbeitete.

      Er sprang mir entgegen: „Versöhnen wir uns jetzt wieder?“

      Aber ich konnte nicht und zog mich in Jakobs Zimmer zurück. Da war Chaos und es war kalt. Jakob wollte erst in vier Wochen wieder kommen und wir nutzten es solange als Wäsche- und Abstellzimmer. Ich schaufelte das Bett frei, drehte die Heizung an und wollte nur noch schlafen.

      Johann klopfte. „Was ist denn los? Rede doch wenigstens mit mir.“

      Wir redeten. Diesmal gelang die Kommunikation auf beiden Seiten. Ich schluchzte so laut und regnete ihm das gesamte T-Shirt voll. Er hielt mich und beschloss mir ein Arbeitszimmer in Jakobs Zimmer einzurichten, solange er nicht da war.

      Später.

      Wir liegen auf seinem Bett. Ich