so eine Überraschung. Wie geht es Ihnen denn?“
Er hat mich erkannt! War das nötig? Ich meine, ein Zahnarzt hat so viele Patienten. Der kann sich doch nicht an alle erinnern. Wobei ich sicherlich keine alltägliche Patientin bin. Selbst auf der Straße und in der Freizeit ist man vor Zahnärzten nicht mehr sicher. Mach das Beste aus der schrecklichen Lage, beschwöre ich mich. Ich lächle ihm tapfer zu.
„Guten Abend, Herr Doktor. Ja wirklich ein Zufall!“, dass es ein schauderhafter ist, behalte ich für mich. War seine Frage eine Anspielung auf den Vorfall von vorgestern? Ich muss etwas Nettes erwidern und so füge ich hinzu:
„Seien Sie unbesorgt. Es geht mir wieder gut.“
„Ja“, meint er lächelnd, „schon erstaunlich. Viele haben zwar Angst vor unserer Berufsgruppe, aber wenige reagieren so heftig wie Sie.“
Das achte Weltwunder oder was? Ich wage aber nicht den Gedanken auszusprechen. Schließlich habe ich mich in der Praxis schon lächerlich genug gemacht.
Die Werbung beginnt. Wir schweigen. Ich bin froh, als das Licht ausgeht. Endlich kann ich mich entspannen.
Nach der Werbung wird es nochmals hell im Saal. Doktor Kersky steht auf und verlässt den Saal. Kurz darauf kehrt er mit einer Packung Schokolade zurück, die er mir mit den Worten anbietet:
„Hier ein kleines Trostpflaster für vorgestern und um Ihnen zu zeigen, dass Zahnärzte auch Menschen wie du und ich sind.“
Jetzt bin ich beschämt und erstaunt, aber mich reitet ein Teufelchen und so sage ich: „Tausend Dank. Ist das denn gut für die Zähne?“, dabei grinse ich ihn wie ich glaube frech an. Und dann: „Das Trostpflaster akzeptiere ich aber nur, wenn Sie es mit mir teilen.“
„Schokolade ist natürlich nicht sonderlich gut für die Zähne, da haben Sie Recht“, gesteht er ein, „aber Sie putzen Ihre Zähne so ordentlich, dass ich keine Gefahr sehe, wenn Sie sich ab und zu Schleckereien genehmigen. Außerdem, denken Sie an die Glückshormone, die Schokolade vermittelt.“ Er lächelt.
Ja, von den Glückshormonen in Schokolade hatte ich auch schon gehört, aber nicht, wenn dieser Mann neben mir sitzt. Aber das sage ich natürlich nicht.
Der Universitätstag am Mittwoch ist normalerweise mein Fastentag. Doch heute will ich eine Ausnahme machen. Ich öffne die Schokolade und halte ihm die Packung hin. Er akzeptiert und nimmt das erste Stückchen. Wir teilen die Packung Glückshormone. Besser wird mein Gemütszustand jedoch nicht.
Das Licht wird wieder gelöscht. Der Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ beginnt.
Ich bin immer noch durcheinander und kann mich anfangs nicht auf den Film zu konzentrieren.
Der Film nimmt mich gefangen. Aber das ist jetzt nicht mein Hauptproblem. Neben mir sitzt nämlich immer noch Herr Doktor. Nachdem ich die Schokolade angenommen habe, muss ich mich jetzt vielleicht revanchieren? Kann ich einfach am Ende des Films aufstehen, auf Wiedersehen sagen und von dannen ziehen? Oder sollte ich fragen ob er noch im „zum neuen Alten Hut“, der gleich um die Ecke ist, etwas trinken möchte? Ich bin noch ganz und gar mit diesem Problem beschäftigt, als es im Saal hell wird. Bevor ich zu einer Entscheidung komme, schaut Doktor Kersky mich lächelnd an und fragt:
„Haben Sie schon was vor oder darf ich Sie zu einem Absacker einladen?“
Ich hätte verneinen können und dann ganz einfach nach Hause gehen. Aber schon höre ich mich antworten:
„Nein, ich habe nichts vor. Gegen einen Absacker ist nichts einzuwenden. Aber von Einladen kann keine Rede sein.“
„Also gut. Wohin gehen wir?“
„Der „Zum neuen Hut“ ist nicht weit. Wenn Sie gerne Bier trinken, können wir dort einkehren.
„Gute Idee. Trinken Sie Bier?“
Ich bejahe die Frage. Ich kann mir, wenn wir dort sind, Mineralwasser bestellen, denn ich trinke grundsätzlich keinen Alkohol. Er schmeckt mir nicht und ich mache mir nichts daraus. Viele Leute können das nicht verstehen. Es hat auch nichts mit Mustafa und meinem Leben in Istanbul zu tun. Es ist einfach so.
Schweigend schlendern wir bis zum „Zum Neuen Hut“. Dort ist es ganz nett, wenn man das Glück hat einen Platz, auch Stehplatz, zu finden. Sie haben meist gute Musik. Zumindest für meinen Geschmack
Ich wohne um die Ecke und gehe abends ab und zu alleine oder mit Freunden dorthin.
Obwohl es Wochenmitte ist, finden wir die Kneipe gut gefüllt vor. Wir klingeln,
werden eingelassen und drängen uns an ein kleines Plätzchen. Mein Zahnarzt bestellt sich ein Pils. Als ich mich für Mineralwasser entscheide, ist er erstaunt.
„Mögen Sie gar kein Bier? Wir hätten auch in ein Weinlokal gehen können.“
„Nein, das ist schon in Ordnung. Ich finde es zünftig hier. Um mich brauchen Sie sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen. Ich trinke keinen Alkohol? Aber trotzdem Prost!“
In der Zwischenzeit haben wir unsere Getränke bekommen.
„Auf Ihr Wohl. Ich heiße übrigens Markus. Nachnamen und Beruf kennen Sie ja.“
Auch den Vornamen kenne ich. Der steht auf seinem Schild vor dem Gebäude und auch am Eingang zur Praxis. Trotzdem sage ich: „Angelika. Auf Ihr Wohl, Markus! Mit Wasser stößt man zwar nicht an, aber Sie machen vielleicht eine Ausnahme. Nicht wahr?“
„Freilich, gerne!“
Danach schweigen wir einen Augenblick und betrachten die anderen Gäste.
Ich darf nicht länger schweigen, sonst wird es unangenehm. Und so sage ich:
„Für einen Mittwochabend ist ziemlich viel los“, was für ein Gelaber habe ich nur. Wie schrecklich ist Smalltalk.
„Mich stört es nicht. Ist doch urig. Sagen Sie mal, Angelika, wie hat Ihnen der Film gefallen?“
Sofort fällt mir auf, dass Markus nicht die deutsche Gewohnheit aufnimmt und mich sofort duzt, als er mich mit dem Vornamen anredet. Ein Pluspunkt! Ich habe nie verstanden, weshalb man sich gleich duzen muss, nur weil man vom Nachnamen auf den Vornamen wechselt.
„Gut! Das Heimleben dieser Kinder war sehr schwierig. Schon unglaublich wie hart mit den Kindern umgegangen wurde. Die Aufnahmen sind schön. Die Geschichte mit Abhandlung gut. Der Film war schön. Es hat sich gelohnt.“
Markus hört mir anscheinend interessiert zu und gibt mir jetzt Recht:
„Ja, so sehe ich es auch. Ein Freund hat mir den Film empfohlen und ich muss sagen, es war ein guter Rat. Ganz ehrlich, ich war begeistert.“
„Sagen Sie mal Angelika“, in diesem Augenblick befürchte ich, er würde wieder auf mein Missgeschick zurückkommen und überlege, was ich zu meiner Entschuldigung vortragen kann. „Sie sind doch auch nicht aus München. Wo kommen Sie denn her? Wenn man das fragen darf?“, wechselt er überraschend das Thema.
„Echte Münchner gibt es heute fast keine mehr. Sind doch alle Zuagroaste.“ Ich versuche den Münchner Dialekt nachzuahmen. Gelungen ist mir das jedoch nicht. „Wo soll ich schon herkommen? Aus dem Allgäu!“, sage ich, als wäre es das Normalste der Welt.
Jetzt schaut mich Markus ungläubig an. Zunächst scheint er sprachlos, aber er fasst sich und gesteht ein:
„Das verblüfft mich. Ich kenne zwar die Gegend nicht sonderlich gut, aber als Dortmunder hätte ich Sie eher nach Norden versetzt. So kann man sich täuschen. Ihre Eltern stammen aber aus dem Norden?“
„Nein. beide waschechte Allgäuer. Und wenn ich dort bin und mit den Leuten spreche verfalle ich ganz automatisch in den Dialekt. Aber machen Sie sich nichts daraus, die meisten zweifeln, wenn ich verrate woher ich komme.“
Markus bestellt sich noch ein Wasser und wir unterhalten uns über München und seine Bewohner. Obwohl er von Dortmund ist, fühlt er sich in München wohl und kann sich nicht