Yahya Wrede

Der Cyber-Mönch


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unsere Arbeitsplätze.“

      „Na du hast Nerven. Andrerseits, jetzt bei der Ruhe nach dem Sturm werd ich wohl pünktlich feddich mit der Analyse, wollnmas hoffen, dann wird’s doch noch was mit Kultur zum Feierabend.“

      „Gut, hörma uns späta.“

      (...)

      „Hi, wie siehts aus, Feierabend - oder machst noch ne Runde im Ring?“

      „Werd ich wohl müssen, hat sich doch ne irre Menge aufgestaut bei dem Chaos heute, sind alle mächtig nervös geworden, das wollt ich schon noch abschließen, sonst kommen se noch auf die Idee, daß wir das am Sonntag machen sollen, bevor am Montag der Geschäftsverkehr wieder losgeht.“

      „Schon recht, aber wir müssen doch nicht gleich alle Probleme auf einmal lösen?“

      „Warum denn nicht? Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Jetzt ist der freie Tag eh hinüber, und dann hab ich nächste Woche wieder Ruhe.“

      „OK, dann gehen wir morgen in die Ausstellung, du erinnerst dich?“

      „Au, ja, geht klar, dann ham wer auch den Kopf wieder frei.“

      „Gut, bis nachher, dann mach ich jetzt auch noch nen bißchen weiter.“

      „Viel Spaß.“

      „Einen ebensolchen!“

      (...)

      „Na, biste immer noch da? Ich geh jetzt.“

      „OK, ich komm mit, sonst schließen se zu und ich muß hier übernachten.“

      „Das wär ja mal nen toller Anfall von Arbeitseifer, dann wirste bestimmt Mitarbeiter des Jahres.“

      „Auf den Glanz kann ich verzichten.“

      „Gut. Dann tschüß allerseits!“

      „Schönes Wochenend, jetzt aber wirklich!“

      „Auffi gehts!“

      „Aah, frische Luft, lauer Tag, welch köstliche Erquickung, wird der Samstagabend uns ja doch noch entschädigen für den gelungenen Arbeitseinsatz. Hunger?“

      „Oh Mann, ich wollt ja noch einkaufen, das wird wohl jetzt nix mehr. Pizza?“

      „Gut, gibt ja genug Auswahl um die Ecke - Rossini?“

      „Ja, der ist lecker. Hab ich sogar von geträumt heut nacht.“

      „Die Macht des Schicksals.“

      „Nee, das ist von Verdi. Im Traum gings um Essen statt Arbeiten, Rossini als Gourmand.“

      „Ich esse, um zu leben, ich lebe nicht, um zu essen. Trotzdem soll es natürlich schmecken, wenn man schon mal dabei ist.“

      „Wo du nur immer deine Weisheiten her hast?“

      „Mental offen bleiben, dann ergibt sich alles von selbst. Denn wenn du meinst, alles besser zu wissen und schon alles verstanden zu haben, wie kannst du dann am wahren Wissen partezipieren, das immer viel größer ist als du?“

      „Geht nicht beides? Jeder glaubt doch, offen zu sein und alles zu wissen.“

      „Das ist Arroganz. Wer wirklich weiß, der wird bescheiden, so klein mit Hut, denn er weiß, daß es viel mehr gibt, was ihm verborgen ist, als Dinge, die er sich angeeignet hat. Wer groß herumtönt, hat nen Minderwertigkeitskomplex, sonst nix.“

      „Gut, und was genau meinst du jetzt mit mental offenbleiben?“

      „Der Mensch tendiert dazu, alles in Schubladen zu stecken und diese dann zu schließen. Typisch dafür ist die Frage nach dem Was: was bist du? Kenne ich deine Nationalität, deine Religion, deinen Beruf, dein Alter, dann meine ich, ich kenne dich, kann dich in meinen Karteikasten einsortieren, und fertig is. Dabei sollte die korrekte Fragestellung lauten: Wer? Wer bist du? Dann frage ich nämlich nach deiner Persönlichkeit, deinen Ansichten und Handlungen, und deine äußeren Attribute werden unwichtig.“

      „OK, du bist also gegen Klischees, das sind wir doch alle.“

      „Moment: ich bin nicht gegen Klischees als solche, sondern gegen die Macht der Klischees. Sie sind hilfreich in der ersten Sekunde, um die Informationsflut zu kanalisieren, insbesondere bei zahlreichen und schnellen Entscheidungen, aber dann muß ich das Kastensystem verlassen und in die Einzelfallprüfung einsteigen. Das bedeutet: theoretisch sind wir vielleicht alle gegen Vorurteile, praktisch leben die meisten Menschen ganz gut damit. Denn der gemeine homo sapiens unterzieht sich gar nicht erst der Mühe, seine eigenen Denk- und Meinungsbildungsprozesse zu hinterfragen; seine Vorurteile generieren irgendein Ergebnis, und das nimmt er dann für bare Münze.“

      „Einverstanden, die automatisierte Vereinfachung schränkt das geistige Potenzial ein; ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob ich jetzt deinen Unterschied bereits richtig verstanden habe zwischen wer und was bist du.“

      „Der Effekt ist enorm. Stell dir nur mal vor, wenn du nach dem Wer fragst, kannst du niemals ganze Bevölkerungsgruppen auf einmal diskriminieren. Wenn du nach dem Was fragst, geht das ruck zuck. Denn die Wer-Gruppe weist nicht unbedingt äußere Gemeinsamkeiten auf, sondern nennt die gleichen Gewohnheiten ihr eigen, wohingegen die Was-Gruppe auch bei total unterschiedlichen Angewohnheiten zumindest ein gleiches äußeres Merkmal aufweist. Mithin ist die Wer-Gruppe tatsächlich viel homogener, aber die Was-Gruppe kann irrtümlich viel leichter dafür gehalten werden. Tragische Beispiele für dieses Alles-über-einen-Kamm-scheren ham wer ja genug in der Geschichte - und sehen es immer noch tagtäglich in der Gegenwart, wenn es mal wieder heißt: Alle diese Soundsos sind schuld.“

      „Oh ja, jetzt seh ichs ein. Woher kommt das bloß?“

      „Aus der Antike. Klassendenken war damals nützlich in Zeiten kollektiver Feindbilder und half auch der neu erwachten Naturwissenschaft zur Systematisierung der Phänomena. Das Generalisieren anhand äußerer Merkmale hat sich dann leider über die von Europa adaptierte griechische Wissenschaftsphilosophie ins allgemeine Bewußtsein eingebrannt. Also gewöhn dir ab heute lieber an, individuell zu denken, dann kann jeder dein Freund sein. Das ist schon der erste Schritt zu mentaler Offenheit.“

      „Die Unterscheidung ist banal und genial zugleich, warum hab ich nur vorher nie daran gedacht?“

      „Weil dein Denken seit deiner Geburt beeinflußt wurde von Was-Denkern, das ist schon ein echter Teufelskreis.“

      „Au Backe, also denke ich, ohne zu wissen, wie und warum ich so denke, wie ich denke?“

      „Größtenteils schon, ich sagte es ja bereits.“

      „Na, das kann ja heiter werden, wenn man sein eigener Ratgeber ist und doch nicht weiß, woher dessen Weisheiten kommen.“

      „Du kennst doch das berühmte Bild der drei Affen, die sich Augen, Ohren und Mund zuhalten.“

      „Ja.“

      „Auf den Menschen übertragen müßte es umgekehrt heißen: Ich sehe viel, ich höre viel, ich spreche noch viel mehr, aber verstehen tu ich nix von alledem. Manche fangen zwar in ihrer Jugend an, sich selbst und eigentlich alles in Frage zu stellen, werden dann aber vom System schnell wieder zur Raison gebracht, frei nach dem Motto: Ich habe irgendwann aufgehört zu denken und leider vergessen, wieder damit anzufangen.“

      „Sind wir denn deiner Meinung nach alle geistige Blindgänger? Ohne Chance auf Besserung?“

      „Doch doch, mit der Zeit kannst du schon eine Menge über die Welt und deine Wahrnehmungsmechanismen herausfinden, mußt aber schonungslos offen und ehrlich sein dir selbst gegenüber.“

      „Gut, werd mal drauf achten.“

      „Ist nen Abenteuer, aber die Reise wert.“

      „Hört sich ja vielversprechend an. Willkommen im Reisebüro zu dir selbst, such dir das passende Vehikel aus, kostet nix außer der Zerstörung von Illusionen.“

      „Genau