Stichverletzungen im Bauchraum, so viel Blut verloren und sowohl die Milz als auch der Darm wurden verletzt. Sie muss sich stark gewehrt haben, dass sieht man an den Abwehrverletzungen bei ihr und an der erheblichen Kopfverletzung, die sie sich zugezogen hat. Ich sag es jetzt mal nicht im Fachchinesisch. Ihre Milz ist gerissen. Ein Stück des Darms war verletzt. Wir haben sie notoperiert, mussten ihr mehrere Blutkonserven verabreichen. Durch die starke Kopfverletzung hat sich ein Aneurysma entwickelt. Wir haben sie jetzt erst einmal ins künstliche Koma gelegt, damit sich die Ausdehnung im Gehirn, hoffentlich zurückbilden kann. Wenn das Mädchen diese Nacht übersteht, dann hat sie eine Chance. Wir wissen aber noch nicht, inwieweit die Kopfverletzung bleibende Schäden verursacht haben könnte. Als wir den Bauchraum geöffnet haben, hatten wir sie kurzfristig schon verloren, aber wir haben alles unternommen, um sie zurückzuholen. Sie hat so viel Blut verloren, wer auch immer sie gefunden hat, ein paar Minuten später und sie wäre bei euch in der Gerichtsmedizin gelandet.«
Paola wurde schlecht, das lag nicht nur an ihrem leeren Magen, sie stellte sich vor, wie furchtbar dieses Erlebnis für Clarissa gewesen sein mochte und welche Schmerzen sie davongetragen haben musste.
Pierluigi sah sofort ihre Gedankengänge.
»Paola, wir passen auf sie auf! Sie bekommt Schmerzmittel und wir haben sie engmaschig in der Beobachtung!«
Paola schaute ihn nachdenklich an.
Zu Maria gewandt sagte sie: »Sorge dafür, dass ein Beamter vor dem Zimmer bleibt und sie bewacht. Leider wissen wir nicht, ob der Täter es dabei belässt. Uns fehlen noch wichtige Anhaltspunkte.«
Ispettore Nero sah ebenfalls stark ergriffen aus und hatte bereits alles veranlasst. Der erste Beamte holte sich gerade einen caffè und müsste in ein paar Minuten wieder vor dem Zimmer patrouillieren.
»Gut, Maria! Der nächste Dienst ist auch schon eingeteilt?«
»Ja, wir haben alles organisiert. Sie wird rund um die Uhr bewacht.«
»Sehr gut!«, sagte Paola.
Dottore Manzoni sah Paola an.
»Ich schreibe meinen Bericht zu Ende, ich war gerade dabei, als dein Ispettore zu mir kam. Wenn du noch einen Moment warten kannst, gebe ich dir eine Kopie mit.«
»Das wäre toll! Wir warten!«
Paola ließ den Dottore gehen und drehte sich zu Maria.
»Lass uns dort auf einen Stuhl setzen. Wir warten auf den Beamten und holen uns dann einen caffè, bestimmt ist Pierluigi dann auch mit seinem Bericht fertig.«
Bevor sie gehen konnten, öffnete sich die Tür des Krankenzimmers und die Eltern traten heraus. Sichtlich mitgenommen von den Eindrücken, die sie in den letzten Minuten im Krankenzimmer ihrer Tochter, erlebt hatten.
Paola richtete das Wort an sie: »Soll meine Kollegin Sie nach Hause begleiten?«
Signor Angelo schüttelte den Kopf.
»Nein, wir wollen noch etwas bleiben. Wissen Sie, wo der Dottore ist?«
»Er schreibt den Bericht, ich warte auf eine Kopie. Wollen wir uns alle zusammen dort in den Wartebereich setzen?«, fragte Paola die Eltern.
»Sì!«, sagte der Vater aufgewühlt.
Sie setzten sich auf die Stühle und sprachen kein Wort. Die Mutter griff nach der Hand ihres Mannes und drückte sie ganz fest.
Nach einigen Minuten kam ein Beamter den Flur entlang. Paola stand auf und sprach mit ihm. Er nahm danach einen Stuhl und ging schnurstracks zum Krankenzimmer, dort setzte er den Stuhl leise ab und setzte sich darauf. Paola verwarf den Gedanken an einen caffè und wartete mit ihrer Kollegin und den Eltern, bis nach etwa zwanzig Minuten Pierluigi aus seinem Büro rauskam.
Paola stand auf und lief ihm entgegen, nahm die Akte, sprach noch ein paar Worte mit ihm und bat, dass er noch einmal mit den Eltern des Opfers sprechen möge.
»Ich mache das, keine Sorge Paola. Ich werde sie bitten nach Hause zu fahren. Sie können jetzt nichts tun. Ich kümmere mich. Grüß Francesco! Buona notte Paola, komm gut heim!«
Paola drückte ihn und wünschte ihm ebenfalls eine gute Nacht, danach lief sie noch einmal zu dem Beamten, und machte sich dann auf den Weg zu den Eltern, die ganz aufgeregt mit Dottore Manzoni sprachen. Als Paola an der Sitzgruppe ankam, schauten die Eltern sie erwartungsvoll an.
»Ich gebe Ihnen meine Karte. Können wir uns morgen treffen? Ich möchte doch noch ein paar Fragen stellen. Können Sie mich anrufen, dann machen wir eine Zeit aus? Voraussichtlich bin ich gegen 10 Uhr in der Questura.«
Die Eltern von Clarissa nickten ihr zu. Paola schüttelte beiden die Hände und wünschte ihnen eine gute Nacht. Ispettore Nero tat es ihr gleich und danach gingen sie gemeinsam zum Fahrstuhl. Als die Fahrstuhltür sich schloss, atmeten beide erst einmal tief ein – und wieder aus.
»Was für ein Tag, Maria!«
»Ja, was für ein Tag! Paola!«
»Ich möchte jetzt nur noch nach Hause und erst einmal schlafen und du Paola?«
Paola gähnte und schüttelte sich, sie schaute auf ihre Uhr. Kurz vor Mitternacht!
»Kein Wunder, dass ich so müde bin, kurz vor Mitternacht! Ich fahre jetzt auch heim, das war ein langer und anstrengender Tag.«
Sie stiegen beide aus dem Fahrstuhl aus. Verabschiedeten sich vor dem Krankenhaus und gingen dann zu ihren Autos. Paola war heilfroh, als sie nach einer guten halben Stunde, das Ortsschild von Desenzano del Garda sah. Ein paar Minuten später stand sie vor ihrem Haus.
5
Er starrte an die Decke.
Sein Atem ging schwer. Er saß auf einem Stuhl und seine Füße klopften einen Rhythmus auf den Boden. Erneut stieß er einen Schrei aus, so laut, dass er fast selbst erschrak. Wieder holte er einen tiefen Atemzug und ging die Ereignisse des Abends durch. Lebte sie etwa noch, hatte sie ihn erkannt?
Wütend sprang er auf, der Stuhl kippte um und fiel zu Boden.
Dieses Miststück soll sterben! Hoffentlich ist Sie verreckt!
Dieser Gedanke kreiste unaufhörlich in seinem Kopf. Er musste sich Klarheit verschaffen und herausbekommen, ob Clarissa noch lebte. Seine Füße liefen automatisch zur Tür dieses kleinen Verschlags, in dem er nach der Tat Unterschlupf gesucht hatte. Er trat hinaus und holte einen tiefen Atemzug frischer Luft, diese durchströmte seinen Körper und plötzlich wurde er ruhiger. Mechanisch griff er zu seinem Autoschlüssel, öffnete seinen Wagen und stieg ein. In seinem Handschuhfach befand sich das Messer, er öffnete das Fach sachte und das Metall der Klinge blitzte hervor. Seine Augen weiteten sich und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
Er hatte einen Plan.
Dann startete er den Wagen und fuhr los.
6
Paola wachte so abrupt auf, dass sie sich erst einmal sammeln musste. Sie hörte eine ihr vertraute Stimme: »Mia cara! Aufstehen! Es ist schon sieben Uhr!«
Paola rieb sich die Augen.
»Buongiorno Francesco! Ich bin noch so müde, bitte lass mich schlafen!«
Sie nahm die Bettdecke und drehte sich zur anderen Seite. Das kannte Francesco schon von ihr. Er nahm die Tasse caffè, die auf dem Tablett stand und bewegte die Tasse hin – und her, bis der Duft in ihre Richtung zog. Dann legte er seinen Kopf etwas zur Seite und sprach: »Der caffè ist fertig!«
Einen Moment lang passierte nichts, doch dann schob Paola die Bettdecke zur Seite, sah ihn an, richtete sich auf und griff zur Tasse.
»Grazie!«