E.R. Greulich

Amerikanische Odyssee


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er erbot sich, eine Schablone dafür zu schneiden.

      Eben wollte Ede temperamentvoll erwidern, als ihm Buschinski zuvorkam. "Gerade das finde ich großartig, Ali." Buschinski sprach den harten Akzent der in Oberschlesien Aufgewachsenen. Es hörte sich weniger langsam als bedächtig an, wirkte eindringlich auf den anderen, forderte heraus mitzudenken. "Schablone würde den Eindruck einer Einmannarbeit erzeugen. Aber die immer wieder unterschiedliche Zeichnung des gleichen Namens weist auf Massenbeteiligung hin. Eine Wirkung, die kaum bewusst wird und deshalb um so stärker mitspielt."

      "Wunderbar!" Dankend hob Ede die Hände zu einer unsichtbaren Gottheit, "Ich hätte Ali angebrüllt, und er hätte es nicht geglaubt. Du hast ihn überzeugt, Schorsch."

      Lächelnd tunkte Bader den Pinsel in die Farbe und malte ohne Schablone. Buschinski sprang immer da geräuschlos ein, wo Ede laut nach Hilfe verlangte.

      Necke, fast doppelt so alt wie Jonny, genierte sich nicht, sich von dem jungen Stubenmaler beraten zu lassen. Dieck schaffte das Doppelte an Wuntram-Schildern wie Hellmann und rügte den, er solle mehr pinseln und weniger spinnen. Hesse lernte die beiden "statischen Stützen" der Theatergruppe näher kennen, die friesischen Zimmerleute Coord Suthoff und Dirk Larsen. Ede hatte ihnen die schmalsten Pinsel in die Hand gedrückt, die von ihnen gemalten Namenszüge sahen trotzdem aus, wie mit dem Besenstiel geschrieben. Sie brannten darauf, endlich die Plakate anzubringen. Alle sahen den beiden an, dass sie hofften, irgendein Anhänger Klees werde sie dabei belästigen.

      Um halb zehn räumten sie die Werkstatt auf. Ede legte die Aufgaben für immer je zwei Mann fest. Geräuschlos verschwanden sie mit Plakaten, Reißnägeln und Heftmaschinen. Ede und Hesse verließen als letzte die Baracke. Vergnügt raunte Ede. "Wir werden's ihnen schon zeigen!"

      Der ist glücklich, dachte Hesse.

      Herr Feldwebel wird nervös

      Hesse hatte pünktlich Feierabend gemacht. Er trat in die stille Baracke und blieb überrascht stehen. Auf jedem Bett lag ein Blatt. Es war der Wahlaufruf Feldwebel Klees. Er war geschickter gehalten als das vom Company-Leader der D-Kompanie eingezogene Plakat. In seinem Aufruf sprach Klee den Leuten um Wuntram einen gewissen Idealismus nicht ab, doch wäre das Fantasterei.

      Entsprechend der Genfer Konvention bleibe ein Soldat auch in der Gefangenschaft Soldat. Das wäre Realität, auch im Antinazilager Fort Heaven, und der einzige Kandidat, der auf dem Boden dieser Realität stände, wäre der Kamerad Klee. Die von Wuntram propagierte "Demokratie" führte zu Disziplinlosigkeit und Anarchie, das hätte McLoin zur Genüge bewiesen. Hinter Stacheldraht Politik machen, wäre Utopie oder Schlimmeres, der Vorwand für kommunistische Politik. Doch Kommunisten und ihre Anhänger hätten im Gewahrsamsstaat keine Chancen. Wer in Ordnung und Frieden, ohne gehässigen Politikerstreit die Zeit seiner Gefangenschaft zu verbringen wünschte, der wählte den über Hader und Hass, über allen Parteien stehenden Kameraden Klee zum Lagersprecher.

      Hesse knüllte das Blatt zusammen. Wer hatte das ausgeheckt, wer hatte die Blätter verteilt? Appell an die Stumpfen, Unpolitischen. - Bemühe ich mich nicht selbst, unpolitisch zu sein? Aber nicht aus Stumpfheit, sondern aus Enttäuschung. Wer sieht den Unterschied? Hesse fürchtete sich vor dem Augenblick, in dem Bauer, Buschinski oder Ede ihm diesen Wisch unter die Nase reiben würden. Mit einem alten Trick brachten ihn seine Feinde auf ihre Linie. In Hesse steigerte sich Wut, die zur Entladung drängte. Mit fliegenden Händen sammelte er alle Blätter ein und riss sie mittendurch. Als er die Kameraden kommen hörte, die von den Außenprojekten zurückkehrten, schob er den Packen rasch unter die Matratze. Unvermittelt schlug seine Stimmung um. Was hast du damit schon ausgerichtet, schalt er sich. War es nicht eine ähnliche Dummheit, wie du sie kürzlich verhindert hast? Allerdings ist jenes Plakat plump abgefasst gewesen, dieser Wahlaufruf dagegen ist raffiniert. Wird ihn nicht doch jeder Barackeninsasse zu lesen bekommen?

      Mit einigen Brettchen unter dem Arm trat Knospe in die Baracke und wies augenzwinkernd auf den Schatz. Das sollte heißen: der Anfang von deinem Schränkchen. Dann sagte er: "In der A-Kompanie hängen die ersten Wahlplakate für Zecke." Er nahm sein Handtuch und verschwand zum Waschen.

      Hesse sprang auf und ging zum Compound I. In Trupps begegneten ihm die Außenarbeiter. Sie kamen vom Motor-Pool und vom Dumping-Place, aus Lagerhallen und vom Rattenfangprojekt, aus Wäschereien, Sortierbaracken und Werkstätten, grau und verstaubt die meisten, einige mit rußigen Gesichtern, unbeschwerter die Jüngeren, ein wenig müde die Älteren. Schon von Weitem sah Hesse mehrere helle Rechtecke an den Barackenwänden der A-Kompanie. Das größte Plakat war schon von der Lagerstraße aus zu lesen. "Wer gegen Hitler ist, muss gegen Klee sein. - Wählt Zecke!"

      Manche der PWs lasen es laut, andere schweigend.

      "Wuntrams Leute machen es witziger", sagte einer. In Hesse war leiser Stolz. Dieses Lob galt auch ihm. Dann dachte er an die zerrissenen Wahlblätter unter der Matratze, und seine frohe Stimmung erlosch. Schweigsam ging er inmitten der Plaudernden zurück. Erstaunlich, überlegte er, dass sich Klees Traktat auf Zecke überhaupt nicht bezieht. Also sieht das Headquarter die Wahl seines Günstlings lediglich von Wuntram gefährdet. Es sollte den Zeckeleuten zu denken geben. Ärger über sich machte ihn noch finsterer. Was zerbreche ich mir um andere den Kopf, ich muss sehen, wie ich die Blättchen unter der Matratze beiseiteschaffe. Es wäre nicht gut, wenn sie dort entdeckt würden. Dann fand er auch die Angelegenheit nicht so wichtig, gemessen an seinen Sorgen. Ein Brief von Eliza, bohrte es in ihm, würde mich sofort zu einem anderen Menschen machen.

      Beim Abendessen brodelte Aufregung in der Messhall. Es war bekannt geworden, dass Wuntram erst am Nachmittag den Entwurf seines Wahlaufrufs mit der Maßgabe zurückerhalten hatte, einiges zu streichen oder zu ändern, falls er Wert auf das Erscheinen lege.

      Hesse aß neben Ede. Helowa saß ihnen gegenüber. Sachlich fragte Helowa. "Schweinerei, was?"

      Ede strich sich mit dem Daumen über seinen kurzen Nasenrücken. "Es wäre nützlich, zu wissen, wer der wirkliche Gönner Klees ist. Natürlich steht auch Stircke auf die Soldatenmasche, welcher Camp-Commander nicht? Aber für all die Stücklein scheint er mir zu bequem."

      "Und zu liberal", ergänzte Helowa.

      "Also gibt es eine graue Eminenz hinter den Kulissen", schlussfolgerte Hesse.

      Helowa stocherte missmutig auf seinem Teller herum. "Wir werden noch lange genug hier sein, um es rauszukriegen."

      Nach dem Abendessen gingen Ede und Hesse wieder in die Theaterwerkstatt. "Drück den Daumen, Heinz", sagte Ede, "dass es klappt: Wuntram als einziger Kandidat gegen Klee."

      Den Lärm des Werkelns und Hämmerns übertönte eine Stimme: "Achtung!" Überrascht schauten die PWs auf und nahmen Haltung an. Oberst Stircke war mit zwei Offizieren eingetreten. Aufmerksam sahen sich die Drei im Raum um. Ede trat auf den Camp-Commander zu. "Elf Prisoners of War bei der Anfertigung von Propagandamaterial für die Wahl ihres Lagersprecherkandidaten Wuntram."

      "Angestrengte Freizeitbeschäftigung, wie?" erkundigte sich Stircke.

      "Angestrengt, aber fröhlich, Sir", erwiderte Ede.

      Der Colonel gebot weiterzumachen und begann einen Rundgang durch die Werkstatt. Die beiden anderen Offiziere blieben bei Ede stehen. Der jüngere der beiden, ein Captain, war groß, füllig und schwarzhaarig. Der Ältere, ein Major, war kleiner als Stircke und mochte etwa fünf Jahre jünger sein als der Colonel. Die leicht seitwärts geneigte Kopfhaltung war das Charakteristischste an ihm. Es sah aus, als betrachtete er ständig alles aus bewusster Distanz und lauschte aufmerksam in die Welt. Freundlich fragte er Ede: "Sie haben die Erlaubnis vom Camp-Commander, hier ihr Wahlmaterial zu fabrizieren?"

      "Auch die Anhänger der andern beiden Kandidaten müssen ihre Wahlplakate in irgendeiner Baracke anfertigen, und mir ist nicht bekannt, dass sie dafür extra um Erlaubnis nachgekommen sind, Sir."

      "Die andern tun das in ihren Kompaniebaracken, die Theaterbaracke ist meines Wissens ein Raum für das ganze Camp."

      "Selbstverständlich können die beiden anderen Gruppen ebenfalls für ihren Kandidaten hier arbeiten. Bis jetzt haben sie