E.R. Greulich

Amerikanische Odyssee


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den Tonfall Bauers nach. "Du lernst und lernst es nicht, dialektisch zu denken."

      Bauer musste lachen. "Da hast du schon ein Stück der Antwort, weshalb wir dreiunddreißig nicht gesiegt haben. Seit wir uns kennen, mühe im mich ab, das Misstrauen aus deinem Kopf zu schaffen, das dir eingeflößt ist mit der Muttermilch. Bauer ist gar kein übler Kerl, persönlich ist er mir manchmal sogar sympathisch, aber - leider ist er ein Kommunist ... "

      Hesse wollte aufbegehren, doch Bauer herrschte ihn scherzhaft an: "Still, wenn das reife Alter spricht. Aus purem politischem Misstrauen verschweigst du Dinge, die dich quälen. Soll ich dir sagen, warum? Der Bauer verquickt selbst das Persönliche mit der Politik. Und das führt zu Konsequenzen. Konsequenzen sind unbequem."

      Bauers Folgerungen waren wirklich unbequem, und Hesse sagte schnell. "Ich weiß nur, dass leider nicht alle Kommunisten so sind wie du. Sonst brauchte Wuntram kaum zu befürchten, dass ... "

      "Lass dich nicht verwirren", unterbrach ihn Bauer. "Wuntram bezog sich da auf interne Lagerdinge, meinte die A-Kompanie. Es wäre vorstellbar, dass ihr Kompaniesprecher Zecke aus falsch verstandener Disziplin zusagt, wenn ihn seine Kameraden als Lagersprecherkandidaten vorschlagen."

      "Und falls es so kommt?"

      Bauer verbarg seine Freude darüber, dass derselbe Heinz Hesse, der ständig gegen die Politik quengelte, so an der Lagerpolitik Anteil nahm. "Dann müssen wir mit ihm sprechen, bis er einsieht, dass es ein Fehler ist." Bauer fand den Jüngeren aufgeschlossener als sonst. "Heute bist du ja noch arbeitslos", sagte er, "hättest du Lust, mir zu helfen?"

      Hesse sah es Bauer an, dass dem daran gelegen war, deshalb ging er mit in die Kompanieschreibstube. Als sie dort eintraten, hob der amerikanische Kompanieführer, Captain Bliss, fragend den Kopf. Bliss war ein großer, massiger Mann mit der grauen Bürste des Sechzigers. Störrisch-buschige Augenbrauen und hängende Mundwinkel unter fleischiger Nase erinnerten an das Bild eines Menschenfressers aus dem Märchenbuch. Der handgemalte Spruch über seinem Schreibtisch lautete: Wer gut arbeitet, wird hier die Hölle einer guten Zeit haben.

      Bauer meldete korrekt. "Zurück vom Camp-Spokesman, Sir.

      Dieser hoffnungsvolle Guy wird ab morgen einen anderen Job haben. Er kann Maschine schreiben und stenografieren, spricht besser englisch als ich. Jetzt will er mir ein bisschen helfen."

      Die misanthropischen Falten im Gesicht des Captain blieben, doch seine grauen Augen funkelten erfreut. "Dann geht ran, Boys, und macht alles ordentlich." Als habe Bliss nur auf die Rückkunft Bauers gewartet, schob er den Schreibkram beiseite und stand schwerfällig auf. Scheinbar unwirsch, brummte er, als Bauer ihm die Uniformjacke hielt und die Mütze vom Haken langte. Ohne Gruß verließ er den Raum. Sein bedachtsamer Gang ließ an einen Grizzlybären denken.

      "Wie du mich über den grünen Klee gelobt hast", entrüstete sich Hesse.

      "Es ist die lautere Wahrheit", verteidigte sich Bauer, "und nützlich, wenn Old Wackelei langsam die fähigen Leute unserer Kompanie kennenlernt."

      "Er erinnert wirklich an einen alten Trapper und Fallensteller" fand Hesse.

      "Trotz seiner Tücken ist er der beste Captain, dem ich in der ganzen Gegend hinter der Liberty-Statue begegnet bin. In seiner Hochachtung vor der Arbeit ist er beinahe Kommunist."

      Hesse zwinkerte mit einem Auge. "Wenn sie andere für ihn tun."

      "Ohne den Braunauer und seinen Krieg wäre Old Wackelei schon pensioniert und würde im Susquehanna Lachse angeln."

      Sergeant Fulton, der Assistent von Captain Bliss, kam in die Schreibstube. Fulton war weder dick noch dünn, weder groß noch klein. Farblos war sein Haar, und aus Farblosigkeit schien der ganze Mensch gemacht. Er sprach nur, wenn es sein musste, und hatte die Kunst, beim Militär nicht aufzufallen, virtuos entwickelt. Da zwischen seinem Vorgesetzten und der Kompanie ein gutes Verhältnis bestand, bemühte sich Fulton, nicht zu stören. Wäre es anders gewesen, hätte sich Fulton bemüht, auch dabei nicht zu stören.

      Nach dem Abendessen zog ein Ereignis die PWs in seinen Sog: Eröffnung der Kantine. Auch Hesse ließ sich dort hintreiben und redete sich ein, nur aus Neugier. In Wahrheit war er nicht abgeneigt, irgendeine Leckerei zu kaufen. Immer hatte er sich geärgert, wenn der Vater ihn ein Süßmaul genannt hatte, und er entschuldigte sich, es käme daher, dass er nicht rauche.

      In Massen drängten sich die Kaufwütigen auf dem freien Platz vor der Kantine. Es war fünf nach sieben, und die Kantinentür war noch immer geschlossen. Ein PW legte die Hände um den Mund und rief: "Suling, wach auf, dein Wecker ist stehen geblieben!" Zehn nach sieben setzte ein gellendes Pfeifkonzert ein. Suling erschien, sperrte bewusst langsam die Tür auf und stand mit verschränkten Armen in der Öffnung wie der Besitzer eines Supermarktes. Den Schreienden zeigte er einen Vogel und rief. "Anstellen - sonst wird nichts verkauft!" Wie vor einer Woge schwemmte es ihn hinein, und er musste sich hinter den Ladentisch flüchten, um in der Menge nicht unterzugehen.

      Hesse beobachtete amüsiert die Szenen, die sich jetzt auch im Verkaufsraum abspielten.

      Kressert trat zu Hesse und zeigte unverhohlene Freude über das missglückte Debüt des neuen Canteen-Clarks. Lachend versicherten sie einander, lieber würden sie noch tagelang auf einen Einkauf verzichten, als sich in das haarsträubende Gedränge zu quetschen. Kressert spielte auf das Gespräch am Nachmittag an. "Wenn die Älteren auspacken, fühle ich mich unbehaglich. Man könnte Angst kriegen, was wir in deutscher Geschichte nachzuholen haben."

      Es war Hesse aus dem Herzen gesprochen. Dunkelheit und Kälte waren vergessen, er starrte durch die Tür in die erleuchtete Kantine. Das Bild hatte etwas von einem grellen Stummfilm, der mit einer überlauten Geräuschkulisse unterlegt war. Suling raste wie ein aufgeregtes Eichhörnchen hinter dem Verkaufstisch hin und her.

      Hesse wandte sich Kressert zu und versicherte: "SAP, KPD, SPD und Schwarzweißrote, Nationalkomitee und Sektierer, da soll sich einer zurechtfinden. Die Nazis haben aus uns Idioten gemacht. Es ist zum Kotzen. Die ganze Politik ist zum Kotzen."

      Kressert verbarg nicht sein Befremden. "Mit dieser Einstellung wirst du dir kaum das nötige politische Wissen aneignen."

      "Der Ami hat doch gar kein Interesse daran", murrte Hesse.

      "Das Wort, der Ami, ist ebenso oberflächlich wie der Jude, der Neger. Es gibt überall sone und solche."

      "Leider haben die Solchen meist zu bestimmen."

      "Das beeindruckt mich so an Wuntram. Er versucht, sich an die Vernünftigen zu halten, aber auch mit den anderen auszukommen."

      Hesse sah, wie Suling jetzt etwas in die Menge schrie, und die PWs gaben nach draußen weiter, Top-Tabak und Zigarettenpapier seien ausverkauft. Die Wut der Enttäuschten richtete sich gegen den unschuldigen Suling. Hesse registrierte es trotzdem mit Genugtuung. Er fand außerdem, er müsse den altklugen Bemerkungen Kresserts einen Dämpfer aufsetzen, und entgegnete ihm: "Bauer würde sagen, das birgt die Gefahr der Prinzipienlosigkeit."

      Kressert lächelte ein wenig mitleidig. "Dabei ist er noch einer der Beweglichsten. Bin gespannt, wer sich bei den Kommunisten in Bezug auf die Lagersprecherwahl durchsetzen wird. Morgen früh beim Appell wird sie offiziell bekannt gegeben."

      "Demnach haben sie im Headquarter ihren Mann gefunden?"

      "Allerdings. Klee heißt der Gegenkandidat."

      "Wuntram wird ihn um Längen schlagen."

      "Nicht, wenn Zecke ebenfalls kandidiert."

      "Das glaubst du doch selbst nicht."

      "Die maßgeblichen Kommunisten sitzen jetzt bei Zecke. Wäre es so einfach, sie hätten die Besprechung längst beendet."

      Hesse schwieg betroffen. Es war ihm unvorstellbar, dass es Bauer mit seinen Freunden nicht gelingen könnte, Zecke umzustimmen. Hesse kannte Zecke nur von fern, wusste aber von seiner hohen Zuchthausstrafe und dass er bei 999 um ein Haar erschossen worden wäre. Jemand hatte Zecke gewarnt. Als sie gekommen waren, um ihn zu verhaften, war er in amerikanische Gefangenschaft geflüchtet. Wie hoch überragte Zecke einen Hesse an persönlicher Tapferkeit.