E.R. Greulich

Amerikanische Odyssee


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      Ungeduldig wartete Ede mittags auf Hesse. Der hatte sich noch nicht hingesetzt, als der neugebackene Director of arts zu erläutern begann: "Das Beste vom Ash-and-Trash hab' ich der Semmel natürlich nicht auf die Nase gebunden. Zu den GI-Baracken gehören doch auch welche von den WACs, dem weiblichen Hilfskorps der Armee."

      "Und da hofft ihr auf eine kleine Anlache oder so?"

      Nachsichtig schüttelte Ede das Haupt. "Was meinst du, welche grandiose Ausbeute für den Theaterfundus die WAC-Baracken bieten? Ich kenne Amerika und seine Verschwendung: Seidenstrümpfe, Lippenstifte ... "

      "Wie willst du das ins Lager kriegen?"

      Ede kniff ein Auge zu. "Where there is a will, there is a way. Prima Englisch, wie?" Plötzlich starrte er Hesse an. "Ich habe das dunkle Gefühl, es freut dich nicht."

      Hesse ließ die Mundwinkel hängen. "Ich habe das dunkle Gefühl, der Job bei der Semmel hat die längste Zeit gedauert."

      "Aha." Ede pfiff durch die Zähne. "Er hat begriffen, weswegen wir dich da hingesetzt haben. Neben dem Corporal Trailshag wird er sich noch einen genehmen Canteen-Clark aufpicken, und dann ist er gegen unsere Zudringlichkeiten genügend abgeschirmt."

      "Aus dir wird noch mal ein berühmter Kriminalautor", spottete Hesse.

      Ede überhörte es. "Dann wirst du eben eine Lagerfunktion übernehmen, in der du dem Theater mindestens ebenso nützt."

      "Hauptsache, dein Theater floriert", murrte Hesse, "meine individuelle Tragik ist nebensächlich."

      Kressert trat an ihren Tisch und bat Hesse, nach dem Essen zu Wuntram zu kommen.

      "Wetten", triumphierte Hesse, "dass sich jetzt mein Kassandraruf bestätigt?"

      "Wetten um einen Schminkkasten fürs Theater, nicht wahr?" höhnte Ede, "damit du ihn wieder zurückgewinnst. Nicht in die Tüte. Ich befürchte, deine Unkerei behält diesmal recht. Trag es mit Würde, Freund!" Mit Schulterschlag verabschiedete sich Ede.

      Neuer Job - alte Sorgen

      Wuntram stand mit verschränkten Armen neben dem Fenster. Bauer saß auf dem einzigen Stuhl in der Ecke. Die beiden sahen sich an, als Hesse eintrat.

      Hesse befreite sie aus der Verlegenheit. "Warum so feierlich? Captain Shelter hat dem Camp-Spokesman mitgeteilt, euer zum Canteen-Clark vorgeschlagener Lad ist für den Job leider zu dämlich. Sorry Boys, aber ich habe einen Besseren. - Stimmt 's?"

      "So ähnlich." Bauers Miene hellte sich auf, als er sah, dass es Hesse nicht sehr tragisch nahm.

      Wuntram kaute auf der Unterlippe und hielt noch immer die Arme verschränkt, eine seltene Haltung bei dem Emsigen. Es war, als träten die kaum merklichen Höcker auf jeder Seite seiner Stirn stärker hervor, wenn er angestrengt überlegte. Er hätte schwören mögen, in Hesse den richtigen Mann für die Kantine gefunden zu haben. Nun hatte auch der sich nicht als wendig genug erwiesen. Das war ja eben der springende Punkt, auch mit solchen Figuren wie Shelter auszukommen. Die Freunde von links machten es sich immer zu leicht - wie jetzt Bauer. Aber Politik heißt die Kunst des Möglichen. Auch Hesse hatte sie nicht beherrscht, und der Lagersprecher musste es mit Prestigeverlust im Headquarter büßen. Wuntram rieb sich nachdenklich das Kinn. "Ich erhielt die Mitteilung vom Headquarter, der PW Hesse ist leider kein gelernter Buchhalter, deshalb für die Arbeit nicht geeignet. Captain Shelter hat eine Fachkraft in dem PW Suling gefunden."

      "Ist dieser Suling nicht von Klees Kompanie?" fragte Hesse.

      "Er ist das Hätschelkind des Herrn Feldwebels", bestätigte Bauer, "hat an die zwanzig Jahre in den USA gelebt. Nach den Blitzsiegen Hitlers hat er wieder sein deutsches Herz entdeckt und ist über Japan heimgekehrt ins Reich."

      "Und die Amis haben ihn nicht wegen Landesverrats erschossen", brummte Kressert über die Schulter und schob unwirsch den halb übersetzten Artikel beiseite, als habe er die Lust verloren, weiter daran zu arbeiten.

      "Nein", Bauer schlug sich mit der Faust aufs Knie, "denn er sagte sich, genieße die Segnungen von Gods own Country ohne dessen Staatsbürgerpflichten. Dafür wird er jetzt mit einem Vertrauensposten im PW-Camp belohnt."

      Wuntram sah eine jener Debatten voraus, die er hasste. Er fiel Bauer ins Wort. "Ich denke, Hesse geht in die Bibliothek. Eine Kraftprobe mit Shelter wäre Irrsinn. Wir müssen uns auf die Lagersprecherwahl konzentrieren. Sollte der Kandidat der Yes-Men siegen, können wir einpacken wie in McLoin. Wir müssen einen Antifaschisten durchbringen."

      Hesse war es, als sähe er die Drei wie in glashellem Spiritus. Drei, die für viele standen, mochten sie zur KPD, zur SAP gehören, oder zur SPD tendieren, wie er es von Kressert annahm. Sie hatten ihn hergerufen, um sich über seinen weiteren Einsatz schlüssig zu werden, nun befanden sie sich schon wieder mitten in der Politik. Über dem Allgemeinen vergaßen sie leicht den Einzelnen. Hesse stellte es lächelnd zum wiederholten Male fest.

      "Wenn wir einen durchbringen, bist du es", sagte Kressert und verbarg die Verehrung für Wuntram hinter Sachlichkeit. Wuntram zeigte seinen Ärger über die gut gemeinte Deutlichkeit nicht. "Der Mann ist nicht so wichtig wie der Wahlsieg."

      "Keine falsche Bescheidenheit." Bauer sagte es ohne Spott.

      "Schaut auf die Hände, nicht aufs Maul, ist ein gutes Bebel-Wort. Du hältst vom Tun mehr als vom Reden, das wissen alle."

      Die Freude über Bauers Worte verdeckte Wuntram mit dem Einwand: "Genauso gut wissen aber auch alle, dass ich von der SAP komme. Das können einige deiner Freunde nicht verwinden."

      Hesse sah an Bauers Gesicht, wie er sich beherrschte, keine Grundsatzdiskussion zu beginnen. "Einer mag gläubiger Katholik sein oder eine schwarz-weiß-rote Armbinde tragen. Wenn er gegen Hitler kämpft, gehört er zu den Antifaschisten. Das ist die Grundeinstellung des Nationalkomitees "Freies Deutschland". Damit müssen sich auch die Sektierer abfinden."

      Wuntram lächelte skeptisch. "Wir werden ja sehen, Ob du dich bei deinen Genossen durchsetzt."

      Kressert kam auf den Anlass des Gesprächs zurück. Er war fast gleichaltrig mit Hesse, hatte einen ähnlichen Lebensweg, und wie jenem drängten sich ihm in letzter Zeit viele Fragen auf. Aber er rief sich selbst zur Ordnung. "Hesse geht also in die Bibliothek?"

      Wuntram nickte. Er verabschiedete Hesse und Bauer, seinen Stellvertreter in der Kompanie, zog einen Stuhl an den primitiven Schreibtisch und sagte zu Kressert. "Jetzt weiter im Text."

      Bauer und Hesse gingen zu ihrer Baracke. Das Gespräch zwischen den beiden Älteren beschäftigte Hesse. Von Bauer wusste er einiges, doch so unumwunden hatte er das noch nicht gehört: Die Kommunisten arbeiten auch mit Schwarzweißroten zusammen, wenn die gegen Hitler sind. Das hieß im extremen Fall, Hesse erkennt seinen Todfeind Malleck als Bundesgenossen an, vorausgesetzt, der kreuzte eines Tages seinen Weg und erklärte, er wäre gegen Hitler. Das aber würde Hesse nie tun können. Also war an Bauers These etwas faul. Es zeigte sich wieder einmal: Politik war eine suspekte Sache. Trotzdem fragte er: "Wieso glaubt Wuntram nicht daran, dass alle Kommunisten für ihn stimmen werden?"

      Bauer fuhr sich durch das Haar, und die jungenhafte Gebärde schien im Widerspruch zu seinen grauen Schläfen zu stehen. "Teilfragen werfen Grundfragen auf. Welchen Zipfel du auch anpackst, immer merkst du, dass sich das ganze Tischtuch bewegt. Die SAP sagte, man muss den sozialdemokratischen Arbeitern den Weg nach links erleichtern. Bilden wir zwischen SPD und KPD eine Mittelpartei, so werden wir zum Zentrum der Einheit."

      "Eigentlich einleuchtend."

      Ungeduldig fuhr Bauer fort: "Die KPD sagte, nicht Parteigründungen helfen gegen den Faschismus, sondern die Aktionseinheit."

      "Die Arbeitereinheit haben beide nicht zustande gebracht."

      "Ihren Teil Schuld daran trägt auch die SAP."

      "Bei so klarer Vorausschau hätten dreiunddreißig eigentlich die Kommunisten siegen müssen, nicht die Nazis."

      "Du siehst die Teilstrecke, leider