E.R. Greulich

Amerikanische Odyssee


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nicht Mittag, doch ringsum döst matte Schläfrigkeit. Unschlitt ist wie so oft "hinten" in der Etappe - sofern es die noch im militärischen Sinne gibt -, sein Randalieren stört die trügerische Stille nicht.

      Hesse und Börger heben die Köpfe. Aus der Ferne ertönt kaum hörbares Tuckern. Langsam kommt das Tuckern näher; da ruft jemand draußen das verhasste Wort: "Deckung!" Einige Stammleute rennen zum Gefechtsstand, mehrere Schützen zum Wadi und drücken sich dicht an dessen Steilwand.

      Rasch kommt das Tuckern näher. Aus der Luft faucht es heran und birst krachend. Eisensplitter sirren und pfeifen. Wieder Fauchen, Pfeifen, Bersten, wieder und wieder, an die zwölf Einschläge, Granaten schweren Kalibers krepieren dicht hintereinander auf dem Pfad. Dann wieder Stille, auch das Tuckern ist gestorben. Dünne Rauchfahnen stinken nach Pulver und Staub.

      Oberleutnant Unschlitt kriecht aus der Deckung im Wadi, hinter ihm der Kradmelder. Unschlitt flucht: "Scheiß-Amis! - Als ob wir Schießbudenfiguren wären!" Unvermittelt dreht er sich um zu dem Kradmelder. "Hätte denen so gepasst, uns wegzupusten. - Dein Schlitten ist im Eimer. - Auch nicht schlecht, haben wir hier vorn einen Mann mehr." Am Eingang des Gefechtsstands brüllt Unschlitt: "Oberfeld!"

      Sofort steht Tolcke vor ihm. "Herr Oberleutnant?"

      Unschlitt wirft einen Blick auf einen Zettel. "Befehl des Bataillons: Das ständige Störfeuer des Feindes auf den einzigen Zufahrtsweg zum Kompaniegefechtsstand verursacht laufend Verluste. Es beweist präzises Zielfeuer, das gelenkt sein muss von einer weit vorgeschobenen Beobachtung mit genauer Einsicht in unser Gelände. Der Beobachterstand ist aufzuspüren und zu vernichten. Das Stoßtruppunternehmen ist von den vordersten Stellungen der Kompanie aus notfalls zu unterstützen."

      "Jawoll, Herr Oberleutnant", sagt Tolcke und dann weniger stramm, "wen schlagen Sie als Führer des Unternehmens vor, Herr Oberleutnant?"

      Unschlitt fixiert ihn scharf und grinst. Es amüsiert ihn, wie Tolckes Gesicht langsam die Farbe verliert. "Wie wäre es mit Oberfeld Tolcke?"

      Tolcke reißt sich zusammen. "Befehl ist Befehl, Herr Oberleutnant. Aber wenn etwas geschieht - dürfte ich darauf aufmerksam machen, dass die Kompaniegeschäfte ... "

      "Menschenskind, oller Oberspieß!" Unschlitt lacht sein Seeräuberlachen, "wer denn sonst als Malleck? Wissen Sie einen Besseren für so was als Unteroffizier Malleck?"

      Erlöst schüttelt Tolcke den Kopf. "Nein, ich wüsste keinen, Herr Oberleutnant."

      Im Gefechtsstand lässt Unschlitt aus "seinem" Kanister einen Trinkbecher voll Wein gluckern, die Hälfte geht daneben. Über die Schulter sagt er zu Tolcke: "Malleck soll sich zwei Männer dazu selbst aussuchen, natürlich Freiwillige."

      Tolcke verschwindet, um Malleck den Befehl zu überbringen.

      Unschlitt gießt den Viertelliter Wein in sich hinein und verlässt ebenfalls den Gefechtsstand, um im Schatten des einzigen Feigenstrauchs am Hang des Wadis zu schlafen. Solange sich weder Menschen noch Fahrzeuge nähern, ist mit einem Feuerüberfall kaum zu rechnen.

      Hesse und Börger sehen sich mit einem vielsagenden Blick an.

      "Beobachtungsstand vernichten", knurrt Börger, "auch wieder so 'n Blödsinn, weil sie nichts Besseres wissen. Selbst wenn es gelingt, ist noch alles wie vorher. Die Amis setzen neue Leute ein und wir werden wieder beharkt."

      Marsmann nimmt die Kopfhörer ab, die er schnell übergestreift hatte, als er Unschlitt hörte. Die Zeichen, die aus dem Apparat kommen, werden immer leiser. Marsmann zaubert Meldungen, mit denen nichts anzufangen ist, erfindet Aufgefangenes vom Ami, das ebenso wenig besagt. Unschlitt darf nicht wissen, dass "Dora" nicht mehr mitmacht, dann muss Marsmann mitmachen, vorn in den Schützenlöchern. Er wendet nicht den Kopf, als er auf Börgers Geknurr erwidert: "Gelingen wird es schon. Der Name Malleck bürgt für Maßarbeit."

      "Überhaupt, wenn Malleck dich mitnimmt", stichelt Börger. Marsmanns Blicke streicheln "Dora". Er hat lautlos und viel auf das Gerät geflucht, aber in diesem Augenblick ist es ihm lieb und teuer. "Der Funker ist der wichtigste Mann im Gefechtsstand", sagt er schadenfroh, "also unabkömmlich."

      Ein Schatten erscheint am Eingang, Unteroffizier Malleck schiebt sich herein. Er rückt an einer Kiste, setzt sich darauf, streckt die Beine von sich und ächzt behäbig. "Kinders, wer hätte das gedacht, heißer als am Südpol, was?"

      Die Drei schweigen. Marsmann hat wieder die Hörer auf und kritzelt auf einem Funkformular, als käme eben eine Generalstabsmeldung durch den Äther. Vertraulich stößt Malleck ihn an. "Was zu trinken da?"

      Marsmann geht zu Unschlitts Kanister und lässt einen Trinkbecher voll laufen. Malleck nimmt kleine Schlucke. "Wenn wir erst den Ami ins Meer gejagt haben - Kinders, das wird ein Spaß beim Schneefegen in der Sahara." Da wieder niemand antwortet, lacht Malleck allein. Dann steht er auf und rückt sein Koppel zurecht. "Tja, Obergefreiter Hesse, dann machen Sie sich mal fertig: kleines Sturmgepäck und MPi. In einer Stunde hauen wir ab. Aber gut rasiert bitte. Die Amis sollen nicht glauben, wir hätten keine Klingen mehr."

      Börger fährt herum, seine Augen hinter den Brillengläsern funkeln. "Wieso Hesse?"

      Malleck schaut auf Börger herab. "Wieso nicht? In unserem Haufen kann Hesse als einziger Englisch. Gute Empfehlung für solch Unternehmen."

      "Ich brauche ihn hier. Seit wann ist es üblich, Schreibstubenleute auf Stoßtruppunternehmen zu schicken?"

      "Seit wann ist es üblich, dass sich Schreibstubenhengste gegen den Befehl eines Stoßtruppführers stellen?"

      Börger spürt die Entschlossenheit Mallecks und versucht es mit der Kameradentour. "Hör mal, Malleck, du kannst dich wirklich nicht beklagen. Haben wir dich je zu kurz kommen lassen? An die Ausgehscheine in Neapel will ich gar nicht erinnern."

      Malleck zwinkert Börger freundlich zu. "Die waren von dir. Aber du sollst ja auch nicht mitkommen."

      "Hesse ist der einzige Mann, den ich noch habe."

      Malleck tippt sich nachsichtig an die Stirn. "Mir brauchst du doch nichts vorzuzaubern wie dem Oberleutnant. Der Ami, der euch gefangen nimmt, kommt vor ein Feldgericht. Wegen Feindbegünstigung."

      "Lass die Flausen, mir ist es ernst, und ... "

      "Zum Teufel, mir auch!" Malleck kann ebenso brüllen wie Unschlitt.

      "Der Oberleutnant hat extra gesagt: Freiwillige!" "Deshalb habe ich doch Hesse freiwillig ausgesucht. Der soll endlich ein Soldat werden. Die zarte Pflanze vergammelt uns ja sonst in der Schreibstube!" Wiederum lacht Malleck über den eigenen Witz.

      "Darüber ist noch nicht das letzte Wort gesprochen", zischt Börger.

      Jetzt flüstert Malleck fast. "Aber mein letztes Wort. Hesse kommt mit und außer Truff kein anderer." Abgehackt wie auf dem Kasernenhof sagt Malleck. "Obergefreiter Hesse!"

      Hesse springt auf. "Jawohl, Herr Unteroffizier!"

      "In einer Stunde sind Sie marschbereit. Andernfalls werde ich Sie melden wegen Befehlsverweigerung. Verstanden?"

      "Jawohl, Herr Unteroffizier!"

      Malleck verschwindet, Schweigen ist im Gefechtsstand. Mit hängenden Mundwinkeln philosophiert Marsmann vor sich hin: "Wen Malleck einmal hasst, den hasst er."

      Börger ist weiß vor Wut. "Immer habe ich ihm dazwischengefunkt. Jetzt denkt er, kurz vor Toresschluss kann er Hesse noch fertigmachen."

      "Er wird ihn schon nicht umlegen", brummelt Marsmann.

      "Aber er weiß genau, dass es ein Himmelfahrtskommando ist", Börger wütet, "und da denkt er, wenn ich kaputtgehe, soll es Hesse auch. Ich muss Unschlitt finden."

      Hesse, von Dankbarkeit gegen Börger erfüllt, ist die Szene um so unangenehmer. Leise, aber bestimmt sagt er: "Ein Malleck ist dem Oberleutnant mehr wert als zehn Schreibstubenleute. Unschlitt würde Malleck recht geben, und womöglich müssen Sie noch für Truff mit."

      Verstört setzt sich Börger wieder. An diese Möglichkeit hat er nicht gedacht. Hesse versucht ihn zu beruhigen.