E.R. Greulich

Amerikanische Odyssee


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er bei der Rückkehr melden kann, er habe ihn entdeckt und schlage direkten Pakbeschuss vor."

      Börger scheint überzeugt. Hesse beginnt sich zu rasieren. Er wird sich bemühen, keinem Befehl Mallecks zuwiderzuhandeln. Wer so lange beim Barras ist, lässt sich nicht auf die billige Art hereinlegen. Ich bin mit weniger Illusionen eingezogen worden als die meisten, die geglaubt haben, es wäre nicht für Hitler, sondern für Deutschland, geht es Hesse durch den Kopf. Er hört des Vaters Stimme, als der ihm beim letzten Urlaubsabschied die Hand presste, dräng dich nie nach vom. Ich habe es immer so gehalten, bei 999 nicht zuletzt mithilfe Börgers. Doch was ich Börger eben gesagt habe, ist nur die Hälfte von dem, was ich denke. Wenn ich nicht gehe, muss ein anderer mit. Alle wollen leben.

      Hesse zieht sich die Frontkluft an, nimmt seine Maschinenpistole und überprüft sie. Seit sie in den tunesischen Kessel eingeflogen worden sind, hat er sie noch nicht benutzen müssen. In Afrika hat er keinen Menschen getötet. Und wie ist es in Russland gewesen? Er hofft es und weiß, dass es Selbstbetrug ist. Das berühmte Weiße im Auge des Gegners hat er zwar nie gesehen, aber wie oft haben sie drauflosgeschossen. Auf Befehl oder aus Angst und Selbsterhaltung? Beides ist zusammengefallen, ist zu einer Handlung geworden, die kein denkender Mensch ohne Zwiespalt vollführt.

      Hesse steht, wie befohlen, bereit. Börger begutachtet ihn, dann gibt er Hesse einen verstohlenen Knuff und flüstert: "Geben Sie auf sich acht."

      Hesse nickt und schaut vor Verlegenheit auf die Uhr. Es ist so weit. Er grüßt halb ernst, halb ironisch, macht eine Kehrtwendung und tritt aus dem Gefechtsstand. Malleck und Truff kommen vom Feigenstrauch, Malleck hat sich wohl bei Unschlitt abgemeldet. Hesse geht auf Malleck zu und will sich vorschriftsmäßig melden. Vergnügt winkt Malleck ab. "Schon gut, Obergefreiter Hesse. Jetzt hört der Kasernenhof auf, und der Spaß fängt an."

      Einige Stammleute sind plötzlich in der Nähe. Sie tun kameradschaftlich, zuversichtlich. In manchen Gesichtern steht Schadenfreude, in anderen Neugier. Die Neugier erinnert an die von Menschen, die einen Leichenzug betrachten. Auch Tolcke ist wieder aufgetaucht. So lange "dicke Luft" im Gefechtsstand war, hat er sich nicht sehen lassen. Schon morgen können sie gefangen sein. Dann ist es gut, wenn man sich keinen zum Feind gemacht hat.

      "Wiedersehen, Oberfeld" , spottet Malleck, "in ein paar Stunden sind wir wieder da. Hoffe auf entsprechenden Empfang."

      Ein Stück hinter dem Gefechtsstand macht der Pfad eine Kehre, die unter Feindeinsicht liegt. Vor der Kehre klettern die drei hinunter ins Wadi. Halten sie sich hintereinander an seiner Steilwand, dann kommen sie ungesehen aus der Gefahrenzone. Es ist oft genug erprobt von denen, die nach vorn in die Schützenlöcher müssen. Aus dieser Tatsache lässt sich ungefähr bestimmen, in welcher Richtung sie den Beobachterposten suchen müssen.

      Malleck läuft als Erster, anscheinend völlig mühelos. Hesse hinter ihm ist schon nach wenigen hundert Metern in Schweiß gebadet. Truff als Letzter schnauft ab und zu. Ist es Zufall, überlegt Hesse, dass ich mich in der Mitte befinde? Truff ist mir nicht angenehmer als Malleck. Der weiß, was er in seiner Selbstsucht will. Truff hat etwas von einem Roboter. Funkt man ihm eine Anweisung, so erfolgt todsicher die Ausführung. Er spricht nur, wenn er muss. Er hat keine Freunde. Ich weiß nicht, ob er Feinde hat. Er ist kriminell bestraft, ich kann mich nicht erinnern, ob es Raub oder irgend so ein Sittlichkeitsdelikt in der eigenen Familie gewesen ist. Sicher ist nur, dass er bedingungslos auf Rehabilitierung aus ist. Malleck weiß schon, weshalb er ihn ausgesucht hat. Dass Truff im Zuchthaus gewesen ist, sieht ihm niemand an. Die grobschlächtige, ungelenke Figur, das naive, kantige Gesicht wie bei einem harmlosen Holzfällerbuam aus Oberbayern. Wahrscheinlich kommt er aus ärmsten dörflichen Verhältnissen, ist in seine Sache hineingeschlittert, ohne es recht zu wollen.

      Sie hören ein Geräusch und bleiben stehen. Aus nächster Nähe kommt der Anruf: "Parole?"

      Malleck sagt sie gedämpft und rennt die flache Wand des Wadis hoch. Mit wenigen Sätzen ist er an dem Schützenloch, in welchem Bendler und Balischkat hausen. Herablassend mustert Malleck die Gegend. "Also hier kann euch bestimmt nichts passieren."

      Bendler bemüht sich um militärische Forsche. "Rückwärtige Sicherung, Herr Unteroffizier. Haben drei Tage lang ganz vorn gelegen."

      "Na klar, jeder Heldensohn soll mal 'ne Weile aus der Schusslinie", sagt Malleck und fragt dann: "Wo liegt Feldwebel Preis?"

      Die beiden beschreiben es genau und umständlich.

      "Bleibt anständige Strolche", verabschiedet sich Malleck. Bei einem kurzen Blick hinter sich bemerkt Hesse, wie Balischkat ein Kreuz schlägt. Kaum einer der Männer fällt noch auf Mallecks Kameraderie herein. Er möchte Unschlitt kopieren, aber er beißt schmerzhafter zu als der.

      Bald treffen sie mehr Leute der Kompanie, deren Schützenlöcher eher Nestern hinter aufgeschichteten Steinen gleichen. Dann stehen sie vor Feldwebel Preis. Sein Unterstand ist es nur dem Namen nach. Preis, obgleich immer mürrisch, ist beliebt. Sein grämliches Gesicht scheint ständig den Vorwurf durch die Welt zu tragen: Ohne den Barras wäre ich ein brauchbarer Mensch geblieben. Er wird nie laut, bei ihm klappt alles. Es ist nicht zu beweisen, aber jeder spürt, dass er am besten mit den Politischen auskommt. Unschlitt weiß schon, denkt Hesse, weshalb er ihn dauernd vorn hält. Ohne Preis würden noch mehr Schützenlöcher verlassen werden. So etwas wird zwar vor der Kompanie geheim zu halten versucht, aber in der Schreibstube wissen wir von nicht wenigen Fällen. Es erfordert Mut, zu den Amerikanern zu gehen, trotz ihrer Flugblätter: "Kommt zu uns!" Besonders wenn man einem wie Preis damit in den Rücken fallen muss.

      Schweigend hört sich Preis die Meldung Mallecks an und sagt dann nur: "Na ja, dann seht mal zu. Wir wissen auch nur ungefähr, wo sie hocken müssen. "Wortkarg erläutert er Malleck an Hand der Karte die Gegend, in der sich vermutlich der amerikanische Beobachtungsposten befindet. Sie stimmen ihre Uhren aufeinander ab und vereinbaren für eventuelle Überraschungen Signale mit Leuchtkugeln.

      Wiederum hintereinander, Hesse in der Mitte, ziehen die Drei weiter. Der Anstieg wird steiler, es gibt weder Wege noch Trampelpfade. Der dünne, graugrüne Pflanzenwuchs wird kärglicher; nackter tritt das grauweiße Gestein zutage. Auch ohne Krieg sollte diese Ödnis Niemandsland genannt werden, denkt Hesse.

      Malleck geht jetzt langsamer und wie leicht geduckt. Nie tritt er so ungeschickt auf, dass ein Stein ins Rollen kommt und Geräusche verursacht. Als es bei Hesse einmal geschieht, wendet sich Malleck zu ihm um und zischt: "Niete!" In Mallecks gespanntem Gesicht ist keine Spur von Jovialität mehr.

      Unbarmherzig sticht die Sonne. Öfter verharrt Malleck, lauscht und äugt prüfend in die Runde. Dann soll da eben ein Geräusch hinter der Bergkuppe gewesen sein. Malleck will es todsicher gehört haben, auch Truff. Hesse sagt nichts. Er hat nichts vernommen. Er ist mit sich beschäftigt. Der Schweiß ätzt und klebt auf dem Körper. Er ist der Jüngste und am meisten mitgenommen. Eine Schreibstube bietet kein Körpertraining. Aber er ist nicht einmal beschämt darüber. Wenn Kraft und Gewandtheit zu nichts anderem nütze sind, als leichter Menschen umzubringen?

      Sie hocken im schmalen Schatten eines Felsbrockens, Malleck zieht die Karte heraus, legt den Kompass darauf. Lange beobachtet er die vor ihnen liegende Kuppe mit dem Fernglas.

      "Da ist nichts", murmelt er, "sie sitzen bestimmt auf der dahinter. Die ist noch höher." Nach einem Blick auf die Karte hat er sich entschieden. "Wir müssen die Vordere umgehen, vom nächsten Einschnitt sehen wir mehr."

      In spitzem Winkel zu ihrem Anmarschweg laufen sie wieder zurück. Es geht ein wenig bergab. Hesse ist in der Mitte, Truff wie ein Schatten stets hinter ihm. Nach einer Ewigkeit für Hesse erreichen sie den Einschnitt. Malleck gebietet die erste Ruhepause. Er nimmt einen tiefen Schluck aus der Feldflasche voll Wein. Truff tut es ihm gleich, Malleck öffnet eine runde Blechschachtel mit Fliegerschokolade und bietet den beiden davon an. Truff greift ohne Zögern zu. Hesse lehnt ab und legt sich neben dem Felstrumm in den winzigen Schatten. Viel zu schnell hat Malleck seine Zigarette aufgeraucht. Truff stochert die Pfeife leer. Zufrieden vergleicht Malleck die Karte mit der Gegend. Sie brechen auf. Im Einschnitt arbeiten sie sich vorwärts, es geht leicht bergan. Sie spüren, wie sie langsam die Vorkuppe umrunden, und dann senkt sich der Einschnitt etwas, verbreitert sich zu einem engen Tal, von dessen anderer Seite es