Hans Ulrich Süss

Skandal? Nee, normal!


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Streit über den fiktiven Inhalt von Hostien (Leib und Blut, oder doch nicht?) ist für sie essentiell, oder eben doch völlig egal. Hier findet das Dunning-Kruger-Syndrom täglich auf Neue seine Bestätigung. Wer davon ausgeht, stets das Richtige zu sagen und allgemein gültige Empfehlungen aussprechen zu müssen, für den trifft dessen Definition exakt: Es erfasst inkompetente Menschen, die aber nicht in der Lage sind zu begreifen, dass es nicht in ihrer Kompetenz liegt, Allen ihre Werte aufzuschwätzen. Trotzdem glauben sie regelmässig Dritte mit ihren Vorstellungen beglücken zu müssen. Oder primitiver formuliert: Wer zu doof ist zu merken, dass er doof ist und falsch liegen könnte, der hat's.

      Ein Beispiel: Wenn 80-jährige Greise mit Alzheimer jungen Männern und Frauen Enthaltsamkeit predigen, mit der Aussage: Es ist einfach, ich kann's. Ich bin völlig sicher, schon immer!

      Einen Vorteil hat das Syndrom: Man merkt's selbst nicht!!!

      Und ich kann über seine Folgen schreiben! Danke!

      NOx ist kein Problem

      Eine kurze Faktensammlung in fünf winzigen Schrittchen und einem Resultat, sprich: Conclusion.

       1. Die Technicians

      Zwei Monate hatte Mike Maier mit seinen Kollegen den neuen Dieselmotor auf dem Prüfstand in allen Betriebsvarianten durchgeprüft. Kaltstart, Halblast, Volllast, mittlere Drehzahl, hohe Drehzahl, rasche Lastwechsel, die Intensität der Abgasrückführung, alle halbwegs sinnvolle Betriebsvarianten waren durchgespielt. Das Ziel: Maximale Abgasreinigung in Bezug auf Russ und NOx. Die Belastung von Katalysatoren in unterschiedlicher Größe war durchgetestet. Jetzt wussten er und seine Kollegen was für blitzsaubere Dieselabgase notwendig war. Wie sich der Verbrauch entwickelte, bei Treibstoff und Harnstoff, der die Stickoxide, das NOx zerstörte, wie die Temperaturkurve des Katalysators verlief, wann Grenzen erreicht waren, die eine Motordrosselung erforderte, um nicht Motor und Katalysator zu überfordern. Wann der Russfilter zu verstopfen drohte und wie dessen Reinigung zu organisieren war. Die dazugehörige Powerpoint-Präsentation war fertig.

      Sein Chef, von Gerwitz, wartete auf die Zusammenfassung. Er war schon länger im Geschäft, Mike kam dagegen frisch von der Uni Aachen, der renommierten Uni für Maschinenbau. Mike war zum Präsentationstermin mit Laptop und seinem reich gefüllten Leitz-Ordner erschienen und begann zu erklären. Von Gerwitz war beeindruckt von der Zahl der Daten und der potentiell möglichen Sauberkeit des Abgases.

      "Wenn wir das in die Praxis umgesetzt haben, wird das der sauberste Diesel der Welt, da werden unsere Konkurrenten ganz schön blass aussehen", meinte er.

      Mike wies auf einige Randparameter hin, die zu beachten waren: "Also bei einem Kaltstart müsste der Katalysator elektrisch vorgeheizt werden, um sehr rasch eine gute Stickoxidentfernung zu garantieren."

      "Mm, das wird ein Problem", erklärte von Gerwitz, "upper management, also die höheren Chargen, sind nicht bereit eine Wiedereinführung der Rudolf-Diesel-Gedenkminute zu akzeptieren. Ich denke noch gern daran, wie stolz die waren, als das Vorglühen wegfiel!"

      "Kann ich mir vorstellen", sagte Mike. "Da ist auch noch das Problem bei schnellen Autobahnfahrten im Sommer. Da wird der Katalysator so stark strapaziert, dass im Grunde die Leistung runtergeregelt werden muss. Sonst geht er kaputt. "

      "Und was ist die Alternative?" fragte von Gerwitz, "die Motorleistung abregeln, das geht nun gar nicht! Allein die Vorstellung wegen eines heissen Kats langsamer fahren zu müssen, ist ja schrecklich. Das wird sales oder customer service nie akzeptieren! Die Kunden werden motzen!"

      "Meine Idee ist einfach. Wir installieren parallel einen zweiten NOx-Kat, der wird zugeschaltet, wenn die Temperatur zu stark ansteigt. Das könnte über den Verteiler der Abgasrückführung gemacht werden."

      "Das könnte gehen", stimmte von Gerwitz zu. Er zögerte etwas, und sagte dann: "Also die Präsentation vor dem großen Planungsgremium werde ich übernehmen, das ist so Usus im Konzern. Der Abteilungsleiter erläutert die Ergebnisse der Entwicklungsarbeiten."

      Offensichtlich war ihm diese Aussage unangenehm, denn er erklärte: "Ich bin ja sicher, Sie könnten das, aber im Konzern ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Chef das übernimmt!"

      Mike nahm es hin. Wenn in dieser grossen Firma etwas üblich war, dann war es schwer zu ändern, das hatte er schon verstanden. Konzerne sind nicht beweglich, da sind zu viele Menschen ängstlich besorgt, ihre Position nicht zu gefährden und Innovation birgt stets das Potential in sich, Positionen sogar überflüssig zu machen!

      Report to the board: Die Testreihen auf dem Prüfstand haben hervorragende Resultate in Bezug auf die Abgasreinigung ergeben. Das Abgas verlässt den Auspuff in Bezug auf Feinstaub und Russ deutlich sauberer im Vergleich zu üblicher Strassenluft. Der Motor reinigt die Luft! Die gültigen NOx-Grenzwerte werden deutlich unterboten.

      2. Das Car-Design-Team

      Das meeting zur Präsentation und Diskussion der Daten fand in einem grösseren Kreis statt. Von Gerwitz erläuterte die Daten aus Mikes Powerpoint Präsentation. Er machte es nicht schlecht, dachte Mike, der in der zweiten Reihe sass. So hätte ich das auch gekonnt, vielleicht sogar ein bisschen dynamischer. In der Diskussion wurde die Kaltstart-Aufheizpause für den Kat mit Kopfschütteln und Ablehnung bedacht.

      "Das könnte man machen, aber muss das denn sein? So ein bisschen Dreck darf der Motor schon noch ausstossen!" erklärte Prof. Dr. Bodenbender vom Controlling. "Wir sollten den Aufwand nicht übertreiben. Der Motor wird doch schnell genug warm!"

      Bodenbenders süffisanter Ton und sein herablassender Blick auf von Gerwitz reichten aus, die Mehrheit schloss sich Bodenbender an. Klar, Ober sticht Unter! Zweifel an der Notwendigkeit des zweiten Katalysators für schnelle Fahrten auf der Autobahn wurden ebenfalls geäussert. Da allerdings schnelles Fahren wichtig war, wurde der zweite Kat als Option akzeptiert. Unter dem Autoboden war genug Platz, Teile um den Motor herum waren schwieriger unterzubringen.

      Mike und von Gerwitz verliessen die Sitzung, die mit der Diskussion über Getriebe-Design weiterging, mit einem guten Gefühl.

      "Das lief nicht schlecht", fasste von Gerwitz auf dem Rückweg zusammen, "unsere Teamarbeit hat sich ausgezahlt. Stellen Sie doch jetzt mal alle vom Team genehmigten essentials für den sauberen Motor in einer Liste zusammen, dann können die Kollegen Ingenieure und Controller mit der Berechnung der resultierenden Kosten beginnen. Die Zulieferanten werden wir, wie üblich, mit klaren Erwartungen über unsere Preisvorstellungen beglücken."

      Mike erwähnte wie lange Zeit es im Winter dauerte, bis der Kat im Temperaturfenster sein würde. Von Gerwitz zuckte gequält mit den Schultern: "Das stimmt schon, bei Tempo 30 in der Schlange und Stopps an roten Ampeln, da kann es dauern, bis die Stickoxide entfernt werden. Das wird die Stadtluft nicht besser machen. Aber sehen Sie, wenn der Professor von seiner hohen Warte aus urteilt, da bleibt uns keine Chance. Das ist bei uns so!"

      Report to the board: Kleinere Adaptionen dieser Resultate sind im Verlauf der Entwicklung des neuen Modells vermutlich erforderlich, haben aber geringen Einfluss auf die Abgasqualität. Die Aufgabenstellung des Boards wird zu 100% umgesetzt, es ist vom Kosten/Nutzen-Verhältnis her in der Tat nicht sinnvoll, derzeitige Grenzwerte zu deutlich zu unterschreiten, da dies die Spirale von Forderungen und resultierenden Kosten nur beschleunigen würde.

      3. Das Car-Design meets Marketing und Trader Relations

      Billig würde es nicht werden den neuen, besseren Motor zu bauen, das war Mike klar. Verglichen mit dem ersten Diesel für den Mittelklasse PKW hatte sich schon einiges an zusätzlichem Aufwand ergeben. Russfilter, Entstickungs-Kat, Abgasrückführung, das waren erhebliche zusätzliche Einbauten. Der Motorraum würde ziemlich voll und unter dem Auto