Hans Ulrich Süss

Skandal? Nee, normal!


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gestattet. Solange die Leute nicht über Preise reden, dürfen sich Techniker konkurrierender Hersteller zur Festlegung sogenannter vernünftiger Parameter und Standards treffen. Und dabei ist eine Vereinbarung entstanden, die den Tank für AdBlue doch ziemlich klein macht." Er machte eine Kunstpause. "Aber sie müssen keine Angst haben, dass die Werkstätten jetzt zu wenig verdienen. Der Preis für das AdBlue-Nachfüllen ist gestiegen!" Er grinste noch breiter. "Wenn ich es richtig verstanden habe, waren es unsere bayrischen Konkurrenten, die den kleinen Tank wollten. Liegt vermutlich am Platzbedarf unter der Haube und den kleinen Autos, die sie im Programm haben. Der AdBlue-Tank sollte eben unbedingt im Motorraum sein."

      "Na, dafür habe ich eine mögliche Erklärung", antwortete Mike, "das Zeug friert ein bei unter minus 12°C, da ist es im Motorraum sicher stets warm genug."

      "Wann wird es denn bei uns noch so kalt im Winter? Das spielt doch nur in wenigen Regionen eine Rolle", fand von Gerwitz, um fortzufahren: "Das kleinere Problem ist nun, die Wartungsintervalle von 15.000 km oder einem Jahr führen dazu, dass der AdBlue-Tank bei normalem Verbrauch viel zu klein ist. Das Zeug wäre zu früh alle und das geht natürlich nicht!"

      "Und wie werden jetzt saubere Abgase, frei von NOx erreicht?", fragte Mike etwas entgeistert nach.

      "Das ist die Frage aller Fragen" war von Gerwitz Antwort. "Ich habe eine Idee, da haben die Herren von der IT-Abteilung bei der Steuerung der Motoreinstellungen vermutlich ein paar Sicherungen zur Motorschonung", er machte Anführungszeichen in die Luft, "eingebaut, beziehungsweise einprogrammiert." Er grinste wieder. "Nachdem Elektronik etwas ist, von dem hier im Hause keiner eine echte Ahnung hat, ist da einfach alles denkbar. Ich bin, wie Sie, ein Maschinenbauer, da kam zu meiner Studienzeit nix digitales vor! Bei uns rotiert es analog!"

      Mike Maier war baff. Ihm war klar, die Behörden hatten Abschalteinrichtungen zur Motorschonung erlaubt, darunter fiel vielleicht sogar die Katalysatorschonung bei schneller Autobahnfahrt. Aber dürfte man diese Erlaubnis so weitgehend interpretieren? Ja, auch die IT-Abteilung war unter Professor Widemeyer nicht unbedingt eine grosse Hilfe. Not invented here, das war übliche Reaktion auf Ideen von Zulieferanten. Aber es gab sicher Zulieferer mit know how. Nur, so wie IT im Hause agierte, blockten die doch alles von draussen ab? Um da übern Schatten zu springen, musste der Druck schon hoch gewesen sein! Er fragte von Gerwitz: "Haben unsere Programmierer Überstunden gemacht oder was sonst hat diesen Quantensprung ermöglich?"

      Von Gerwitz hatte eine Vermutung: "Ich habe eher den Eindruck, unsere IT hat den derzeitigen hardware-software-Lieferanten mit Entzug der Lieferung bedroht, wenn keine Lösung gefunden würde. Das hat offenbar deren Kreativität sehr beflügelt. Kein Geschäft ist doch ein Horrorszenario, oder?" Er grinste breit.

      "Sie sind sicher unsere Chefs sind mit der Situation einverstanden?" fragte Mike nach.

      "Da bin ich ganz sicher. Das neue Auto hat alle Tests bestanden, ist zertifiziert. Und mal ganz ehrlich, glauben Sie, die Herren Direktoren auf dem Division Level verstehen Details? Wie unsere Vorstände sind sie schon lange aus dem praktischen Geschäft, denen ist ein Modell der 70iger sehr nahe, da könnten sie noch den Ölwechsel machen, die Autos von heute muss man denen erst mal erklären! Wenn Sie da erklären der Motorschutz erfordert Abschaltungen, dann nicken diese 'Koniferen' nur verständnisvoll." Er grinste wieder, "wissen Sie, das ist der Nachteil, wenn man so wichtig ist, dass man einen Chauffeur nutzt. Selbst fahren können diese Herren doch nicht mehr. Und wenn, dann wahrscheinlich mit Begeisterung nur Oldtimer mit Zwischengas beim Gangwechsel!"

      "Das erstaunt mich aber schon", Mike Maier wirkte verwirrt. "Da muss doch jemand gesagt haben, so geht's, das wollen wir machen und hier und dort passt es nicht so genau zu den Vorgaben?"

      "Nach meiner Erfahrung steigen die Bereichs- und Division Leader durch die Dinge selten durch. Die fragen: Habt ihr eine Lösung? Und wenn die Antwort ist: 'Nein', dann kommt umgehend die Feststellung: 'Aber wir haben Sie doch zum Abteilungschef gemacht, damit sie die Probleme lösen! Sind Sie mit dieser Aufgabe überfordert? Sollte Ihre Beförderung ein Fehler gewesen sein und Sie sich eine andere Tätigkeit wünschen? Vielleicht in Südafrika oder der Slowakei?' Wenn Sie dann ausholen und das Problem erklären, dann wird es erst Recht brenzlig. Für komplizierte Zusammenhänge fehlen Zeit und Interesse. Die beste Antwort ist: 'Wir arbeiten dran. Es wird nicht lange dauern und die Lösung ist da!'

      Jetzt hatte Mike verstanden. 'Du sollst Deinem Chef keine Probleme präsentieren, wenn Du nicht deren Lösung gleich nachschieben kannst!' Nur so wächst dein persönliches Image! Klar, diese Methode, die Eignung des Untergebenen für die Lösung der in ihrer Verantwortung liegenden Aufgaben infrage zu stellen, war ein eleganter Trick der Bosse zur Aktivierung aller möglichen oder auch unmöglichen Hebel. Wer verliert schon gerne eine gute bezahlte Position? Früher wurde der Überbringer der schlechten Nachricht geköpft, heute wird er versetzt oder entlassen. Da Entlassung Abfindung kostet, eher versetzt.

      Von Gerwitz hatte noch ein Bonbon für Mike: "Sie gehören in diesem Jahr zum Team für die IAA. Da gibt es ein neues Projekt von human resources, also der Personalabteilung, das nennt sich inspiring and developing people, also Nachwuchsförderung. Das wird vielleicht ein wenig anstrengend, aber sicher auch eine gute Abwechslung. Da sehen aus der Ferne auch unsere grossen Chefs samt Vorstand in Aktion."

      Report to the Board: Die Zertifizierung des neuen Modells auf dem Prüfstand zur Abgasbelastung mit Feinstaub und NOx gemäss der einschlägigen Vorgaben ist erfolgt. Dank einer gezielten Zusammenarbeit zwischen der IT-Group und Zulieferern gelang es die software der Steuerung der Abgasreinigung zu optimieren und die Vorgaben zu erreichen. Das Fahrzeug hat im Prüfzyklus die erlaubten Grenzwerte gut eingehalten und z. T. sogar unterschritten. CO2-Belastung pro Kilometer und Verbrauch sind erheblich besser als beim Vorgängermodell.

      5. Das Board auf der IAA

      So erlebte Mike bei der Automobilmesse den Vorstand in action. Selbstverständlich hatte er keinen direkten Kontakt zu den wirklich wichtigen Personen des upper managements. Mike war eingeteilt grossen Händlern Rede und Antwort zur Technik zu stehen und dabei sollte er mächtig angeben mit den Untersuchungen seiner Abteilung. Gut, dachte Mike, das geht. Unsere Ergebnisse sind ja auch toll. Was daraus gemacht wurde, weniger. Aber darauf hatte ich keinen Einfluss.

      Mike sah aus der dritten Reihe, wie die Vorstellung des neuen Modells fürs Fernsehen arrangiert wurde. Der Vorsitzende Prof. Dr. Sommergerste erschien langsamen Schrittes aus der Tiefe des Messestandes und sah sich im Licht der Spots das neue Modell an. Er umrundete das Fahrzeug. Als sähe er es zum ersten Mal. Dann trat er näher und sah sich die Karosserie genau an. Er zog seine Brieftasche, entnahm ihr eine Kreditkarte und ging mit der Karte den Spalten der Blechteile entlang. Ganz offensichtlich um die Toleranz zu überprüfen. Mike dachte, was für eine show! Das Auto für die Messe ist unter Garantie nicht so wie es hier steht, vom Fliessband gekommen. Da haben etliche Leute geputzt, korrigiert und überprüft. Für den Messeauftritt wurde doch nichts 08/15-mässiges genommen! Eigentlich erstaunlich, dass Journalisten auf so ein Affentheater reinfallen.

      Dann zuckte Mike doch. "Was macht denn Prof. Sommergerste?" fragte er erstaunt seinen Nebenmann von Gerwitz. Prof. Sommergerste hatte sich am neuen Auto nicht nur die Spalten in der Karosserie sehr genau angesehen, nein, jetzt kniete er sich auch noch hin, um die Unterseite des Wagens zu begutachten.

      "Das ist jetzt nicht sein Ernst?! Er kniet vor dem Auto!" Das Blitzlicht der Fotografen wurde intensiv.

      Spöttisch meinte von Gerwitz: "Er huldigt sicher der Qualität!"

      Mike bemerkte den Spott und traute sich noch einen drauf zu setzen: "Er ist vielleicht katholisch und kniet gern."

      "Nein, er betet für einen noch höheren Bonus!" von Gerwitz war offenbar auf ein wenig Krawall gebürstet, "ich erwarte von unserer Image-Consultant-Tussi allerdings eine andere Formulierung. Sie wird dem Professor sicher erklärt, wie toll positiv dieses Interesse an der Qualität unserer Produkte auf den normal dusseligen Käufer unserer Autos wirkt. 'Eine Geste der Demut kommt immer sehr gut an, wird sie säuseln! Die unterbelichteten Käufer werden