Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Jötunheim


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hast es bei dir, sehr schön!“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Du bist gewachsen! Gut siehst du aus.“

      „Das kann ich nur erwidern. Aber du bist nicht den ganzen Weg aus Asgard gekommen, um mir das zu sagen!“, erwiderte Thea überrumpelt.

      Wal-Freya schüttelte den Kopf. „Nein, gewiss nicht.“ Ihre Miene wurde für einen Augenblick von Sorge überschattet, dann lächelte sie aufmunternd. „Lass uns sitzen! Ich bin ganz scharf auf einen Kaffee.“

      Thea musste lachen. „Auf einen Kaffee?“ Sie ging in die Küche, nahm eine Tasse aus dem Schrank und stellte sie unter den Auslauf der Maschine. „Ihr seid Götter. Es sollte euch irgendwie gelingen, Kaffee in Asgard zu kochen.“

      Lachend legte Wal-Freya einen Arm über den Kopf. „Wir reisen gerne nach Midgard und trinken Kaffee.“

      „Ich hörte, der soll besonders gut in Italien sein“, erwiderte Thea keck.

      Wal-Freya faltete schmunzelnd die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich im Stuhl zurück. „So, hast du das? Ich hörte, bei dir soll er auch besonders gut sein und das bei hervorragender Gesellschaft.“

      Das Mahlwerk unterbrach sie. Thea wartete, bis Milch und Kaffee sich dampfend vermischten, dann nahm sie das Getränk aus der Maschine. Mit einer angedeuteten Verbeugung stellte sie die Tasse vor Wal-Freya ab. Diese bedankte sich, umfasste das Gefäß mit beiden Händen und hielt seufzend die Nase darüber.

      „Dieser Geruch ist so einzigartig!“

      Theas Herz klopfte gleichzeitig vor Freude und Aufregung. Erwartungsvoll nahm sie neben der Wanin Platz. Diese nippte an der Tasse und sah Thea über den Becherrand an.

      „Ich wollte nach dem Rechten sehen“, erklärte sie, als Theas Blick fordernder wurde.

      Thea klangen noch immer die Worte der Walküre in den Ohren, die sie damals zum Abschied gesprochen hatte und welche eine Aussicht auf ein Wiedersehen völlig unwahrscheinlich erscheinen ließen. Sie war sich sicher, dass

       Wal-Freya nicht gekommen war, um einen Kaffee zu trinken. Geduldig wartete sie, bis Wal-Freya einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse genommen hatte, dann hob Thea die Augenbrauen und legte den Kopf zur Seite.

      „Fenrir ist entkommen“, erklärte Wal-Freya endlich.

      Theas Augen weiteten sich. „Fenrir? Aber … Oh mein Gott!“

      Unwillkürlich sprang Thea auf. Fenrir, der Wolf, der sich am Weltenende von seiner Kette losriss! Der Ragnarök brachte! In einer einzigen Sekunde schossen ihr tausend Gedanken durch den Kopf.

      Wal-Freya machte eine beschwichtigende Handbewegung und zog Thea zurück auf den Stuhl. „Keine Sorge, nichts ist passiert!“

      Thea legte die Hände über dem Tisch zusammen und versuchte ruhig zu atmen. „Ich verstehe nicht. Fenrir frei … wie das?“

      Wal-Freya schüttelte leicht den Kopf. „Niemand kann es erklären.“

      „Odin?“, fragte Thea vorsichtig.

      „Erfreut sich bester Gesundheit. Fenrir hat nicht versucht, ihn anzugreifen. Er lief geradewegs davon.“

      Thea rieb sich die Augenbrauen. „Was hat das zu bedeuten?“

      „Niemand weiß es.“

      „Besagt die Weissagung der Völva nicht das Ende der Welt, wenn Fenrir frei ist?“ Verlegen knetete Thea ihre Finger. „Verzeih, ich konnte mir die ganzen Lieder schon nicht merken, als ich noch unter den Wikingern lebte. Aber wenn Fenrir sich losreißt, ist die Schlacht auf dem Idafeld doch schon in vollem Gange?“

      „Wigrid“, verbesserte Wal-Freya. Sie schüttelte den Kopf. „Da geben wir dir das Wissen gleich zweier Leben zurück, damit sie dir in diesem nützlich sind und jetzt sagst du mir, Fengur hat das nie gewusst? Njal etwa auch nicht?“

      Thea hob in einer Geste des Bedauerns die Hände.

      „Sei es drum. Die Prophezeiung scheint ohnehin hinfällig zu sein. Seit Loki sein Schicksal änderte, ist alles aus den Fugen geraten.“

      „Ich werde Kyndill jetzt noch aufmerksamer bewachen“, versprach Thea, die vermutete, dass die Walküre aus diesem Grund nach Midgard gereist war.

      Ertappt hob Wal-Freya die Augenbrauen. „Ehrlich gesagt wollte ich dich bitten, uns bei der Suche nach Fenrir zu unterstützen …“

      „Was?“, rief Thea aus und legte erschrocken die Hand auf den Mund, da sie fürchtete, mit ihrem Schrei das ganze Haus geweckt zu haben. Sofort senkte sie die Stimme: „Weißt du, was beim letzten Mal hier los war, als wir zurückgekehrt sind? Julis Eltern hatten schon zwei Tage, nachdem sie nichts von ihr hörten, die Polizei informiert. Kaum standen die Beamten vor unserer Tür, um nach ihr zu suchen, war es wohl auch mit deinem Zauber vorbei. Meine Mutter ist durchgedreht. Die Polizei hat eine Großfahndung nach uns eingeleitet. Juli und ich durften uns zwei Monate lang nicht mehr sehen. Meine Mutter hat mich zur Schule gebracht und wieder abgeholt! Wegen Vertrauensverlust, sagte sie. Es war entwürdigend!“

      „Verstehe ich nicht. Sie hätten doch froh sein müssen, dass ihr wieder da gewesen seid“, staunte Wal-Freya.

      „Das waren sie für eine Minute. Das legte sich aber rasch, als wir ihnen erzählten, dass wir uns davongestohlen haben, um ein Festival zu besuchen“, erwiderte Thea.

      „Ein … Festival?“ Wal-Freya hob ungläubig die Augenbrauen. „Warum erzählt ihr so etwas?“

      „Hätten wir behaupten sollen, wir seien entführt worden?“

      Wal-Freya nippte an ihrem Kaffee. „Wir hatten euch doch entführt“, erwiderte sie ungerührt.

      „Und das hätten wir dann bei der Polizei angegeben? Entschuldigen Sie, wir sind nach Asgard entführt worden, von Thor und Wal-Freya.“

      Wal-Freya lachte und erntete einen bösen Blick von Thea. Die Walküre verschränkte die Arme. „Es hätte der Wahrheit entsprochen.“

      „Das hätten sie uns doch nie geglaubt!“

      Wal-Freya schmunzelte amüsiert. „Wie gerne hätte ich das Gesicht des Beamten gesehen, wenn du ihm das erzählt hättest!“

      „Genau deswegen! Wir hätten als Lügner dagestanden, obwohl es der Wahrheit entsprach!“

      Wal-Freya runzelte die Stirn. „Du hattest doch schon Tage vorher bei der Polizei angegeben, dass dich ein Thor belästigte. Warum hätten sie es nicht glauben sollen? Mit der Entführungstheorie wäre euch eine Menge Ärger erspart geblieben.“

      „Wir dachten, es sei unehrlich und es wäre die beste Idee, es so zu lösen.“

      „Ihr wolltet ehrlich sein mit einer Lüge? Das ist doch absurd!“

      Thea hob abwehrend die Hände. „Wir konnten ja nicht ahnen, dass fast 500 Beamte tagelang jeden Stein nach uns umgedreht haben. Meine Mutter dachte tatsächlich an eine Entführung. Das ganze Umland war in Aufruhr.“

      „Verständlich. Und dass sie dann durchgedreht sind, wenn ihr erzählt, dass ihr einen Ausflug gemacht habt, ist noch verständlicher! Das ist dein drittes Leben, Thea, und trotzdem ist dir nichts Besseres eingefallen?“, konterte

       Wal-Freya vorwurfsvoll und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. „Wo ist Juli jetzt?“

      „Ihre Eltern haben sie auf eine Geschäftsreise mitgenommen. Sie ist schon zwei Wochen vor Ferienbeginn abgereist. Ihre Eltern haben geschworen, sie nicht mehr alleine zu Hause zu lassen, bis sie achtzehn Jahre alt ist.“

      Wal-Freya holte Luft, um zu antworten, verharrte aber augenblicklich, als sie Tom im Türrahmen stehend entdeckte. Überrascht runzelte er die Stirn.

      Thea fuhr auf und sprang von ihrem Stuhl. „Tom!“

      „Guten Tag“, grüßte er Wal-Freya höflich und blickte verunsichert