Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Jötunheim


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Ausrede. „Tante Freya. Sie liebt Rollenspiele.“

      Wal-Freya senkte den Kopf, runzelte die Stirn und sah Thea prüfend an, während Tom seinerseits Blickkontakt mit der fremden Frau suchte.

      „Rollenspiele?“, hörte Thea die Stimme der Walküre vorwurfsvoll in ihrem Geist. Thea schnappte nach Luft. Es war Brisingamen, das ihr und Thea die Macht dazu verlieh, in der Gedankensprache zu sprechen. Thea hatte die Fähigkeit während ihrer Reise in Niflheim erworben, dennoch war es ihr nach so langer Zeit fremd. Sie bereute ihre rasch gesuchte Antwort, hätte sie doch mit Wal-Freya im Geheimen eine gemeinsame Geschichte finden können, die sie Tom dann präsentierte.

      „Bitte Wal-Freya, mach mit! Ich weiß nicht, wie ich Tom das erklären sollte!“, flehte Thea.

      „Live Rollenspiel, oder? Coole Sache! Wo machen Sie das?“, fragte Tom interessiert und nahm ohne Umschweife am Tisch Platz.

      Mit einem herausfordernden Lächeln zu Thea lehnte sich Wal-Freya zurück. „In Asgard“, erklärte sie ungerührt.

      Thea atmete hörbar ein. Schon lehnte sich Tom vor. In seinen Augen blitzte Begeisterung. „In Asgard? Heißt so Ihre Spielwelt? Ist das nicht eine Götterstadt?“

      Mit einem Zucken der Augenbrauen erwiderte Wal-Freya: „Genau genommen ist es die Götterstadt.“ Abermals blickte sie provozierend zu Thea.

      Diese stand schon hinter Toms Stuhl, um ihn mit einem Rütteln an der Lehne zum Aufstehen zu bewegen. „Vielleicht könnt ihr das ein anderes Mal besprechen“, wehrte sie ab. „Es ist Zeit für dich zu gehen, Tom! Meine Mutter wird bald aufstehen.“

      „Hey, bleib locker! Du tust gerade so, als würde ich das erste Mal bei dir am Frühstückstisch sitzen“, lachte Tom.

      Wal-Freya hob die Augenbrauen und sah zu Thea, die abwehrend die Hände vor den Körper streckte. „Nicht was du jetzt denkst!“

      Wal-Freya spitze die Lippen. „Ach? Nicht?“ Sie musterte Tom. „Das ist doch ein gut aussehender junger Mann. Den solltest du dir nicht entgehen lassen. Schwarze Strubbelhaare, ein süßes Bärtchen. Er erinnert mich an einen Musketier, den ich mal kannte.“

      Da ihm die Röte ins Gesicht stieg, senkte Tom den Kopf, strich sich durchs Haar und brachte dabei scheinbar ein paar Wirbel in Form. „Vielleicht sollte ich wirklich gehen“, lenkte er diplomatisch ein.

      „Genau! Ich denke nicht, dass jetzt die Zeit dafür ist, das zu besprechen“, wehrte Thea ab.

      Schmunzelnd lehnte sich Wal-Freya in ihren Stuhl zurück. „Wir haben schon noch ein wenig Zeit. Also mich würde es interessieren“, sagte sie herausfordernd. „Ich bin schließlich auch Liebes…“

      „Noch einen Kaffee?“, unterbrach Thea sie rasch, wirbelte herum und nahm Wal-Freya die Tasse aus den Händen. „Warum tust du das?“, fragte sie dabei in der Gedankensprache und sah sie durchdringend an.

      „Ich bin interessiert an deinem Leben, das ist alles“, rechtfertigte sich Wal-Freya und setzte eine Unschuldsmiene auf.

      „Du bist eine Göttin! Du weißt doch, was los ist!

      „Glaubst du, ich schwirre die ganze Zeit über dir und gucke zu, wie du dein Leben gestaltest?

      Tom erhob sich. „Ich hole meine Sachen.“

      Wal-Freya beobachtete, wie sich Tom aus dem Stuhl hob. Aus dem Flur waren seine Schritte zu vernehmen, als er die Holztreppe in den ersten Stock nahm.

      „Willst du mich in Schwierigkeiten bringen? Wenn dir daran gelegen ist, dass Kyndills Geheimnis gewahrt bleibt, solltest du in Gegenwart meiner Freunde vorsichtiger sein!“, murrte Thea.

      „Ich konnte doch nicht ahnen, dass du so früh am Morgen noch Besuch hast“, erwiderte Wal-Freya. Wieder sah sie Thea mit diesem Blick an.

      Diese rollte die Augen, stellte die Tasse unter den Auslauf und ließ erneut einen Kaffee für Wal-Freya aus. „Komm am besten mit hinauf. Wenn meine Mutter aufwacht, komme ich erstrecht in Erklärungsnöte“, seufzte Thea. Sie nahm die Tasse und lief voraus. Kaum im Flur angekommen, stolperte sie geradewegs in ihre Mutter hinein, der Kaffee schwappte über den Rand der Tasse und landete in einem braunen Fleck auf dem Boden.

      „Mama!“, stieß Thea aus.

      „Thea! Was machst du hier so früh? Und wer ist das?“ Frau Helmken spähte über Theas Schulter in die Küche.

      „Das ist … Frau Dahlberg. Von meiner Schule.“

      Misstrauisch runzelte Frau Helmken die Stirn. „Deine Lehrerin? Um diese Zeit? Es sind Ferien!“, schnappte sie.

      Tom, der gerade auf der Treppe erschien, die rechte Hand am Riemen seines Rucksacks, verharrte staunend. Thea sah das Kartenhaus, das sie gerade mühevoll errichtet hatte, mit einem Mal zusammenbrechen.

      „Geschichte“, kam Tom unerwartet zu Hilfe.

      Missbilligend hob Frau Helmken den Blick zur Treppe. „Tom! Habt ihr schon wieder die ganze Nacht mit diesem Spiel verbracht?“

      „Eigentlich nicht. Ich bin nur wegen Frau Dahlberg da. Wir haben doch heute Exkursion.“

      „Er hat keine Ahnung, was gerade vor sich geht und dennoch springt er für dich in die Bresche“, zollte Wal-Freya Anerkennung und verschränkte die Arme vor der Brust. „Einen schnellen Geist hat er außerdem.“

      „Ich sterbe gleich!“, ächzte Thea.

      „Exkursion? Heute ist euer dritter Ferientag! Und es ist gerade sieben Uhr!“ In jedem einzelnen Wort, das Frau Helmken sprach, klang so viel Misstrauen, dass es Thea beinahe das Herz zerriss. Zu oft hatte sie ihre Mutter im letzten Jahr angelogen. Sie hasste es, aber wieder einmal war es nötig.

      „Das ist eine Ferien-AG. Völlig freiwillig“, merkte Thea an.

      „Geschichte der Wikinger“, stimmte Tom zu.

      „Richtig! Und wir müssen jetzt wirklich los“, erwiderte Thea. Schon setzte sie sich in Bewegung, da hielt sie Frau Helmken fest.

      „In Hausschuhen? Es gibt keine Ferien-AGs! Was wird hier gespielt, Thea? Wir haben doch darüber gesprochen, dass du ehrlich sein sollst!“ Der aufkommende Zorn spiegelte sich sowohl in der Stimme ihrer Mutter, als auch in ihrem Gesicht wieder.

      Wal-Freya legte ihre Hand auf die von Frau Helmken und löste sanft ihren Griff von Theas Arm. „Lass gut sein“, sprach sie Frau Helmken direkt an. „Wir werden dir alles erklären.“

      Argwöhnisch runzelte Frau Helmken die Stirn. Sie ließ sich aber überraschenderweise ohne Widerstand von

       Wal-Freya in die Küche und auf einen der Stühle führen.

      „Was hast du vor?“, rief Thea in der Gedankensprache.

      „Mir missfällt, wie du dich quälst. Es wird Zeit, reinen Tisch zu machen“, erwiderte Wal-Freya. Sie nahm gegenüber von Theas Mutter Platz und wies Thea und Tom mit einer Geste an, sich ebenfalls zu setzen. Seufzend faltete sie die Hände auf der Tischplatte und nahm Frau Helmken in ihrem Blick gefangen.

      „Es wird Zeit, dir die Wahrheit über den Verbleib deiner Tochter im letzten Jahr zu erzählen“, begann Wal-Freya.

      Thea setzte sich protestierend gerade, doch Wal-Freya hob die Hand.

      „Vertraue, Thea“, mahnte Wal-Freya in ihrem Geist und Thea ließ die Dinge geschehen, wechselte aber nervöse Blicke zu ihrer Mutter und zu Tom.

      „Was soll das? Ich hole meinen Mann!“, wehrte Frau Helmken ab. Schon im Aufstehen legte Wal-Freya schnell die Hand auf die der Mutter, sodass sie verharrte.

      „Ich weiß von den alten Geschichten, die dir dein Großvater immer erzählte, den Geschichten von Odin, Thor und Loki“, sagte