Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Jötunheim


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nicht wahr? Er war ein gutherziger Mann.“

      Ruckartig drehte Frau Helmken ihren Kopf zu Thea, die den ihren verlegen senkte.

      „Wer sind Sie? Was wird das?“, fragte sie fordernd, doch Furcht klang nun in ihrer Stimme.

      „Ich kannte Janish gut. Vor der Hochzeit mit deiner Großmutter bat er nicht nur um Thors Segen. In deiner Familie ging der Glaube an die alten Götter erst mit dieser Heirat verloren.“ Wal-Freya schnalzte mit der Zunge. „Deine Großmutter war ganz und gar katholisch. Doch Janish bewahrte den Glauben, den er so sehr liebte. Deshalb erzählte er dir die Geschichten von den alten Göttern.“

      Wieder spürte Thea den Blick ihrer Mutter auf sich, aber sie wagte nicht, den Kopf zu heben. Schwer atmend starrte sie auf die Tischplatte. Zwischen den Strähnen ihrer roten Haare sah sie, dass sich Frau Helmken nervös die Hände rieb. Was mochte jetzt in ihrer Mutter vor gehen? Würde sie Wal-Freya Glauben schenken, oder jeden Moment um Hilfe schreien? Tom ließ sich nicht anmerken, was er fühlte, doch auch er wechselte den Gesichtsausdruck zwischen Staunen und Unglauben.

      „Nun ist es an dir, diesen Glauben zu bewahren, Mirjana. Als Thea und Juli vor einem Jahr verschwanden, da waren sie nicht …“ Nun blickte auch Wal-Freya für einen Augenblick zu Thea. „… auf einem Festival. In Wahrheit halfen sie mir, Odin und all den anderen Asen einen Gegenstand zurückzuerlangen, der für unser Überleben wichtig ist. Loki suchte nach einem sehr alten, magischen Schwert. Es ist sehr mächtig, das sagten uns die Völven voraus. Über Jahrhunderte versuchten wir, es vor Loki zu entdecken, Thea gelang es schließlich. Sie war mutig und tapfer wie eine Walküre.“

      Frau Helmkens Miene versteinerte sich, nur die roten Wangen ließen erkennen, dass Wal-Freyas Worte etwas in ihr auslösten.

      „Es mag jetzt alles klingen wie eine verrückte Geschichte. Aber ich weiß, dass du als Kind fasziniert von den alten Göttern gewesen bist. Du magst christlich geheiratet haben, aber als du Thorsten, deinen heutigen Mann, kennengelernt hast, da hast du dich auch bei der Liebesgöttin Freya bedankt. Ich weiß das, denn ich bin Freya, diejenige, die du damals leise angerufen hast.“

      Nun legte Frau Helmken die Hände auf den Mund. Thea hob den Kopf und entdeckte, dass ihre Mutter Wal-Freya mit großen Augen ansah. Diese lächelte.

      „Es ist wahr. Schau tief in dich hinein, dann siehst du es.“

      „Das ist doch nicht möglich“, flüsterte Frau Helmken, nachdem sie die Hände aus dem Gesicht genommen hatte. „Wer hat das eingefädelt, Thea? Dein Vater?“

      „Was?“ Thea hob die Augenbrauen.

      Wal-Freya lächelte. „Ich sagte doch, dass es kein Scherz ist.“ Sie sah zu Thea und erhob sich. „Zeig ihr Kyndill“, forderte sie Thea auf, während sie um den Tisch lief. Sorgsam zog sie die Vorhänge der Küche zu.

      „Was? Aber …“, schnaufte Thea und schickte in der Gedankensprache nach: „Tom!“

      „Er ist gerade so liebevoll für dich in die Bresche gesprungen. Er wird dein Geheimnis bewahren. Du willst doch nicht mehr lügen müssen.“

      „Nein, das möchte ich nicht.“ Unsicher stand Thea auf und streifte den Schwertköcher von ihrem Rücken. Sie hob den Deckel an, nahm den Fotoapparat heraus und legte ihn neben sich ab. Noch einmal sah sie zu Wal-Freya, die ihr aufmunternd zunickte. Dann umfasste sie Kyndills Griff, verharrte noch einmal und zog das Schwert aus der Tasche. Mit der Bewegung loderten Flammen um die Klinge und setzten Küche und Gesichter der Anwesenden in helles Licht. Frau Helmken und Tom fuhren gleichzeitig in ihren Stühlen zurück. Während das Rauschen der Flammen den Raum füllte, herrschte stilles Entsetzen in ihren Gesichtern.

      2. Kapitel

      

      Alle Farben waren aus Frau Helmkens Gesicht gewichen. Der einzige Laut, der die Küche erfüllte, war das Rauschen von Kyndills Flammen. Gebannt verfolgte Tom das Geschehen. Ihm war nicht anzusehen, was er fühlte oder dachte. Ebenso wie ihre Mutter starrte er auf Thea und das lodernde Schwert in ihren Händen.

      Einzig Wal-Freya wirkte zufrieden. Sie lehnte an der Wand, die Arme verschränkt, und blickte stolz in die Runde.

      „Du hast es vollendet. Es hat einen Griff“, stellte sie fest.

      Thea nickte.

      Ein Lächeln umspielte die Lippen der Walküre, als sie ihren Blick von Kyndill löste und zu Tom und Frau Helmken sah. „Eine wunderschöne Waffe, nicht wahr? Geschmiedet an einem Wikingerfeuer vor über 1500 Jahren. Ebenso lange war es verloren, blieb seine Zauberkraft unentdeckt. Nur Thea vermag es zu führen und vermutlich Loki. Jeder andere würde sich bei diesem Versuch unweigerlich verbrennen.“

      Noch immer waren Tom und Frau Helmken keiner Worte fähig. Seufzend steckte Thea das Schwert zurück in die Tasche, packte den Fotoapparat dazu und schloss sorgsam den Deckel, ehe sie diese wieder über die Schulter warf.

      „Thea ist Hüterin des Schwerts. Sie allein ist dafür verantwortlich, dass es nicht in falsche Hände gerät.“

      Endlich löste Tom die beklemmende Stimmung auf: „Wahnsinn! Warum hast du das nie erzählt?“

      Während Thea die Augenbrauen hob und zu einer Antwort ansetzte, stand ihre Mutter auf.

      „Weil ich es ihr verboten hätte!“, sagte sie zornig.

      „Das ist nichts, das du hättest entscheiden können“, erwiderte Wal-Freya, ehe Thea sich zu erklären vermochte.

      „Warum ausgerechnet sie? Sie ist noch ein Kind!“, rief Frau Helmken.

      „Sie ist eine junge Frau“, widersprach Wal-Freya ruhig. „Außerdem hatten weder sie noch wir eine Wahl. Thea war es, die das Schwert einst schmiedete und mithilfe Lokis in eine magische Waffe verwandelte.“

      Frau Helmken schnappte nach Luft. „Was? Wann?“

      „In einem anderen Leben, vor sehr langer Zeit. Thea mag eine junge Frau sein, aber ihre Seele hat viel erfahren. Zwei ihrer vergangenen Leben haben wir Thea gezeigt. Aber es sind nicht ihre einzigen.“

      „Das ist doch absurd! Völlig unmöglich!“

      „So unmöglich, wie ein Feuerschwert zu besitzen?“

       Wal-Freya trat auf Thea zu und legte den Arm um sie. „Sie hat in unserem letzten Abenteuer bewiesen, dass sie eine großartige Kämpferin ist, des Schwerts und ihrer Aufgabe würdig.“

      „Das hört jetzt auf!“, entschied Frau Helmken.

      Ein Lächeln huschte über Wal-Freyas Lippen. „Ich verstehe deine Besorgnis, Mirjana. Aber es wird nicht aufhören, so sehr du auch darauf pochst. Thea hat einen göttlichen Auftrag erhalten und sie hat ihn angenommen. Darüber hast du nicht zu entscheiden.“

      „Bist du deshalb hier? Um mir das zu sagen? Glaubst du, mir wird es besser gehen, wenn ich es weiß? Ihr bringt meine ganze Familie in Gefahr! Ich werde mein Leben lang kein Auge mehr zutun.“

      „Sie hat recht! Was bezweckst du damit?“, rief Thea sie in der Gedankensprache an.

      Wal-Freya hob die Hand in Theas Richtung. Dabei ließ sie Frau Helmken nicht aus den Augen. „Ich erzähle dir das, damit du weißt, wo Thea ist. Als wir dich das letzte Mal im Unwissen gelassen haben, hat deine Sorge Dinge entfesselt, die ich diesmal von Thea fernhalten will. Ich möchte nicht, dass Thea wieder in Schwierigkeiten gerät, wenn sie zurückkommt. Damals musste unser Vorhaben unentdeckt von Loki bleiben. Nur darum nahmen wir sie mit, ohne jemanden zu informieren. Verschwiegenheit ist jetzt nicht mehr nötig.“

      Frau Helmkens Augen waren mit jedem Wort, das

       Wal-Freya sprach, größer