Jörg Werner

Götzendämmerung I


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der Macht.

      Die Espressomaschine zischte und ruckelte, als wolle sie gleich abheben. Der Cyborg riss an einem Notventil. Erzengel Michael verschwand so unauffällig wie ein flüchtiger Gedanke, nur die Golftaschen schepperten bedrohlich hinter ihm her.

      Die Faltblattanzeigetafel tat laut quietschend kund, dass sie eine neue Seite aufgeblättert hatte: „Besuchen Sie den Planeten Nirgendwo im Irgendwo-System, dort finden sie Entspannung, Ruhe und Harmonie. Keine Macht den Drogen.“

      Reflexartig orderte die Majorin im besonderen Einsatz aus der Innenrevision der Erschaffung und zentralen Verwaltung der Welten noch einen galaktischen Hirnfeger.

      Nachdenklich musterte sie der Cyborg, wedelte mit einem Geschirrtuch herum und scheuchte dabei Massen von fetten Glühwürmchen auf, die anfingen, über der Espressomaschine zu tanzen.

      „Was machen Sie denn da?“, fragte die Majorin.

      „Verscheuche schlechtes Karma, Mam’.“

      Nebenan lobpreiste der Prediger wechselweise irgendeine Gottheit oder schrie nach einem Klempner, während er tiefer in den Trümmern des Getränkeautomaten versank wie in Treibsand. Die Kinder jauchzten und warfen ihm Süßigkeiten zu.

      Der Auftrag des Erzengels ließ sie schaudern. Wenn ein Erzengel ins Spiel kam, waren seine intriganten Kollegen nicht weit, von Luzifer mal ganz abgesehen, und kamen noch andere, Putten, Menschen und Gottesmodule dazu, ergab das definitiv eine kosmische Mischung für praktizierten Irrsinn.

      Die Anzeigetafel verkündete eine weitere Botschaft: Gäbe es Gott nicht, würden wir ihn erfinden. (KAZ Kommission für Aufsicht und Zulassung)

      Da wurde ein Flug zum Planeten Pandora, dem legendären Tor zur Wüsten Zone, aufgerufen.

      Den würde sie nehmen.

      Es hatte begonnen.

      Engelskonklave

      Ja, es hatte alles an jenem düsteren Dezembertag im Hier und Jetzt zur Weihnachtszeit begonnen.

      Von Westen her zog ein schmutzig graues Atlantiktief über den Horizont, saugte den letzten Rest von Farbe aus den Straßen der Stadt und brachte den Winter. Lichterketten schwankten im aufkommenden Sturm und Christengel belästigten von überall her das wachsame Gemüt.

      Nicht dass Max Taschkes Zustand besondere Wachsamkeit zugelassen hätte.

      Im Gegenteil, seit Eleonore vor einigen Tagen spurlos verschwunden war, bekämpfte er eine aufkommende Engelphobie mit Bier, Whisky, zunehmendem Fernsehkonsum und nutzlosen Internetrecherchen. Eleonore blieb verschwunden.

      Die Phobie bereitete ihm Sorgen, besonders jetzt zur Weihnachtszeit.

      Als er am späten Nachmittag auf der durchgelegenen Couch in seinem Wohnbüro erwachte, stellte er ohne allzu großes Erstaunen fest, dass er, zur Hilflosigkeit verdammt, letzte Nacht Zuflucht im Glauben gesucht hatte. Ein verfluchter Fehler, wie er sofort vermutete, als sein Blick auf ein Papier fiel, das vor ihm auf dem Tisch zwischen leeren Bierflaschen und einer Whiskypfütze lag.

      Eine verschnörkelte Urkunde mit dem Bild eines bewaffneten Engels in der unteren Hälfte bestätigte Herrn Max Taschke seine Ordinierung zum Priester der Church of the Latter-Day-Dude, der am langsamsten wachsenden Religion der Welt. Erst als er nach einem Panikanfall im Internet die zentrale Botschaft seiner neuen Religion erfasste, beruhigte er sich. Das Glaubenscredo „Maximale Entspanntheit und Predigen durch Nichtpredigen“ erschien ihm außergewöhnlich vernünftig.

      Er selbst hätte sich wohl als einen notorischer Skeptiker mit einer Vorliebe fürs Nichtstun beschrieben.

      Der Engel auf der Urkunde erinnerte Herrn Taschke wieder an Eleonore.

      Auf der Suche nach Ablenkung griff er zur Fernbedienung. Die Nachmittagssendungen versprachen im Allgemeinen einen hohen Unterhaltungswert aufgrund der hirnzersetzenden Schwachköpfe, die sich dort tummelten und den gesunden Menschenverstand attackierten.

      Er stieß auf eine Gerichtsverhandlung. Eine Doko-Fiktion mit echten Darstellern, wie eine Einblendung verriet. Das klang hinreichend beknackt. Soweit er von der juristischen Seite des Falls mitbekam, hatten einige Kreuzfahrttouristen den Reiseveranstalter verklagt, weil die Prospekte für die Seereise nicht ausreichend darauf hingewiesen hatten, dass das Mitternachtsmenü erst um vierundzwanzig Uhr gereicht wurde, dass das Tontaubenschießen im Freien stattfand und die Mannschaft auf dem gleichen Schiff nächtigte wie die Gäste. Herr Taschke genehmigte sich daraufhin einen kleinen Whisky und wechselte den Sender.

      Volltreffer.

      Auf einem der Bibelkanäle tobte ein fundamentalistischer Evangelikaler, ein Werkzeug des Herrn, ein außergewöhnlich schöner Mann im Priestergewand, mit graumelierten Schläfen und kalten Zombieaugen. Er wetterte gegen das zersetzende Gift der Entschuldigung.

      „Ein wahrer Christ entschuldigt sich nicht. Niemals, er hat Gott auf seiner Seite. Der Herr lenkt all seine Entscheidungen und Handlungen. Ein wahrhaft gläubiger Christ ist ein Werkzeug Gottes, Amen. Immer und überall und merket: Der Herr fehlt nicht! Ergo: Für was sollte sich ein wahrer Christ, ein Diener des Herrn, also entschuldigen? Für den Ratschlag Gottes? Für den Auftrag Gottes? Für die Anleitung Gottes? Nein, nein und nochmals nein. Keine Entschuldigung! Niemals!“

      An dieser Stelle blendete ein Lauflicht am unteren Bildschirmrand den Namen des religiösen Zombies ein und bat um Spenden, während der merkwürdige Heilige mit Namen Elias Matzerat, ein Sprachrohr des Herrn, wie das Lauflicht weiter verkündete, ein Loblied anstimmte. Sogleich stürzten einige üppige Damen mit umgeschnallten Engelsflügelchen auf die Bühne und fielen in die Lobpreisung ein. Licht flutete über die verzückten Gestalten. Herr Taschke fühlte sich an eine absurde Oper erinnert, wo Musik, Gesang und Protagonisten sich zu einem Gesamtkunstwerk vermischten, welches das Publikum in kollektiver Panik aus dem Opernhaus trieb. Das Lauflicht verkündete unterdessen: Dienen statt denken, denn wer denkt, der sträubt sich.

      Er fegte vor Schreck das Whiskyglas vom Tisch und beschloss, der Engelsparanoia die Stirn zu bieten. Er entschied sich, dem Gefieder auf ihrem Terrain entgegenzutreten und, trotz heraufziehenden Schneesturms, einen Christmarkt aufzusuchen.

      Ein Weihnachtsmarkt stellte seit je her einen Ort für folkloristisch getarnten Alkoholismus, Gefühlsduselei und falsche Besinnlichkeit dar. Genau das Richtige für Herrn Taschkes momentane desolate Verfassung.

      Erste Schneeflocken mischten sich unter den fester werdenden Regen.

      Ein monströser, geflügelter Engel aus Luft und Plastik hieß ihn willkommen und zerrte in den Windböen an dem Stand, an dem er zu Reklamezwecken festgebunden war. Einen kurzen Moment schien es so, als wollte dieser mystische Luftballon die ganze Verkaufsbude, mit ihren Legionen von musizierenden, tanzenden und fliegenden Holzengeln, in die Höhe reißen. Aus etlichen Lautsprechern dudelte ‚Vom Himmel hoch, da komm ich her‘ und ähnlicher unverwüstlicher Weihnachtsschmalz.

      Verdammte Engel, schoss es ihm durch den Kopf.

      Er hatte sich vor den Unbilden des Wetters unter einen gigantischen Schirm geflüchtet, der einen Stehtisch bedachte. 100% wasserdicht, Vertrauen hält trocken. Frohe Weihnacht, ihre Parkwelten. Erleben sie die wunderbaren Zyklen des Parkens - Ihr Cityparkhaus, stand darauf zu lesen. Wer dachte sich so was aus, Außerirdische auf der Durchreise oder Praktikanten auf Drogenentzug? Es roch nach heißem Apfelwein, Mandeln, Bratwurst und verstopften Toilettenwagen.

      Herr Taschke trank Glühwein, kein Getränk der ersten Wahl.

      Eine Gruppe junger dynamischer Menschen, drei Jungs und eine junge Dame, hatten sich ebenfalls unter dem Parkweltenschirm eingefunden, nippten an hochprozentigen Getränken und lauschten einem dazugehörigen älteren Herrn mit aristokratischer Miene.

      Eine Art Guru oder Professor vielleicht, dachte Taschke.

      „Engel sind schwer im Trend“, referierte der Alte.

      „Sympathieträger,