Jörg Werner

Götzendämmerung I


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blaffte der Alte, „… wir müssen gar nichts, und wenn wir doch was müssen, um erfolgreich zu sein, dann ist es gegen den Strom schwimmen. Aufmerksamkeit durch das Unerwartete herstellen, provozieren, auffallen.“

      Werbeleute, diagnostizierte er entsetzt, ich bin in ein verdammtes Engels-Brainstorming von Werbefuzzies geraten.

      „Wir haben ein Produkt zu vermarkten, was war das doch gleich?“ Der Alte spielte mit den jungen Wilden.

      „Ein Spiel mit Engeln, Dämonen und dem anderen üblichen, mystischen Personal. Es geht um Gut und Böse und die Herrschaft im Universum.“

      „Welches Universum?“

      „Irgendein Universum, soll ja inzwischen verdammt viele geben. Parallelwelten, Milchstraßen, Galaxien, Universen wie Sand am Meer, deshalb sprechen die meisten Physiker inzwischen vom Multiversum. Wieso, ist das wichtig?“

      „Nur wenn die Erde in dem Spiel vorkommt.“

      „Wenn Engel im Spiel sind, auf jeden Fall, sind hier schließlich quasi zu Hause, die Biester.“ Dabei warf der Sprecher, ein durchtrainierter Typ mit kreisrundem Kopf und getigertem Brillengestell, lachend eine Hand in die Runde.

      „Mega out, der Scheiß von wegen Gut und Böse, total analog“, erwiderte ein weiterer Jungkreativer gelangweilt und drückte wie besessen auf einem undefinierbaren, ultraflachen Superdesignmultimediateil herum. Herrn Taschke kam es so vor, als versuchte der Kerl, auf einem digitalen Brotbrett eine Bombe zu entschärfen.

      „Quatsch, Gut und Böse sind Kategorien für Kinder, in echten Konflikten geht es um Sex, Macht, Geld.“

      „Und Gott.“

      „Ja, aber der hält sich raus und schickt seine Beamten.“

      „Womit wir wieder bei den Engeln wären“, lachte der Alte süffisant.

      Er stöhnte verhalten auf.

      „Ein scheiß Spiel mit Engeln. Bescheuerter geht’s kaum.“

      „Hört sich echt krank an, die Idee.“

      „Fassen wir zusammen: Ein Spiel, Kampf um die Macht, bei dem Engel mitspielen, das Universum, die Erde, Dämonen und der ganze Rest“, fuhr der Alte fort.

      „Was für ein Rest?“

      „Na, alles eben, Existenz, Freiheit, Liebe, Erlösung, Weihnachtsrummel.“ Der Sprecher beschrieb einen weiten Halbkreis mit seinem ausgestreckten Arm, während der Alte ihn

      amüsiert musterte. Er durchlitt eine Realitätsabstoßung, eine Form spontaner geistiger Selbstverteidigung. Die Werber machten weiter.

      „Ja, sind richtig schießwütig in dem Spiel und wunderschön, die Engel.“

      „Na, dann macht was daraus, einen Slogan, der unter die Gürtellinie geht, irgendwas, das das Publikum vor wohligem Entsetzen aufheulen lässt und Käufer vor Neugier sabbernd in die Läden treibt. Marketing ist Krieg und kein Ringelreihen.“

      Für einen kurzen Moment machte sich Schweigen in der Werbetruppe breit. Er schlürfte an seinem Glühwein. Jeder kluge Gedanke machte einen weiten Bogen um den Tisch der Denker. Diese gingen dazu über, ihr Kreativpotenzial zu testen.

      Der Alte hingegen hatte etwas Sympathisches, wie er den Advokat Diaboli gab, um die digitalen Scheißerchen zum Selberdenken zu bewegen.

      „Unsere Engel sind nicht niedlich.“

      „Manche Engel können auch anders.“

      „Diese Engel schreddern Dämonen.“

      „Hat alles noch keinen Biss. Außerdem, wie soll ich mir als Kunde einen Engel vorstellen, der einen Dämonen schreddert, schiebt der einen Gartenhäcksler vor sich her?“

      „Motorsäge wäre machbar“, warf einer ein. Ein Vordenker, vermutete Herr Taschke, ihn schauderte.

      „Haben sie sich eigentlich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wer diese Engel sind?“, fragte der Alte.

      „Mystisches, gefiedertes Gesindel und perfekte Werbeträger.“

      „Und was weiter?“

      Der Alte suchte den Augenkontakt zu Herrn Taschke, der zwischen Entsetzen und Lachen hin- und hergerissen wurde. „Engel sind letztlich nichts weiter als selbstherrliche Beamte eines außer Kontrolle geratenen himmlischen Verwaltungsapparates, könnte man kritisch ausführen“, führte der Guru aus.

      „Der Herr vernachlässigt seine Aufsichtspflicht?“

      „Der Herr hat damit nichts zu tun, es ist der Vorstand, also die Erzengel, die Mist bauen, nicht der Aufsichtsratsvorsitzende.“

      „Religiöse Spitzfindigkeiten. Für mich bleiben die Engel mystisches, gefiedertes Gesindel, das bei vielen hier sitzt“, der Jungkreative klopfte sich demonstrativ auf die Mitte seiner Stirn, „und nicht heraus will.“

      „Jawohl, das Gesindel muss heraus“, lachte die junge Dame in der Runde. Die Werber bestellten eine weitere Runde Glühwein und riefen spontan: “Heraus, Gesindel, heraus.“

      Der Guru sorgte für Ruhe und ergriff wieder, gütig lächelnd, das Wort: „Früher, als die Menschheit sich noch mit Hingabe für höhere Wahrheiten die Schädel von Angesicht zu Angesicht eingeschlagen hat, da haben die Engel noch direkt mitgemischt. Keine Vision, keine Offenbarung ohne Engel. Je gewaltiger der Auftrag, je größer der Irrsinn, umso grandioser der geflügelte Bote. Kaum ein notwendiges Massaker zur Verbesserung der Welt ohne Berufung auf die Anweisung der himmlischen Beamten. Bei jeder ernsthaften Religionsgründung mit Wahrheitsmonopol, umfangreichem Feindbild und raumgreifendem Völkermord war die Berufung auf Engel eine Notwendigkeit. Heute halten die sich eher zurück. Doch die geheime Instanz hinter den Kulissen der Geschichte sind die Engel. Machen sie sich das klar, junge Dame und die Herren.

      Johannes, Mohammed, Jeanne d‘Arc, Rasputin, Lawrenti Beria, George W. Bush, Osama Bin Laden, um nur mal einige zu nennen, alle hatten sie Begegnungen mit Engeln, zumindest haben sie das behauptet.“ Der Alte gluckste vor Vergnügen.

      „Unsere Engel kennen keine Gnade“, trötete da unvermittelt eines dieser jungen Werbegenies los.

      Herr Taschke verschüttete etwas Glühwein und fegte die Insel seiner Wahrnehmung leer. Der riesige aufgeblasene Engel über dem Verkaufsstand gegenüber zerrte an den Halteseilen, als wolle er unverzüglich fliehen. Dafür hatte er volles Verständnis.

      Das Engelkonklave an seinem Stehtisch orderte eine weitere Runde Wein und riss ihn mit einer Frage aus seiner angenehm aufkeimenden Unzurechnungsfähigkeit.

      „Was fällt ihnen denn zu Engeln ein, mein Herr, so ganz spontan, meine ich?“

      Die Dame in der Gruppe junger Wilder schaute über den Stehtisch und probierte sich in psychologisch fundierter Marktforschung. Nur blöd, dass sie ausgerechnet an Herrn Taschke geraten war.

      „Rilke“ schleuderte der über den Tisch und schwieg ansonsten.

      „Wie, Rilke? Hört sich nach Schokoriegel an, ungarischer Markt vielleicht.“

      „Ein Dichter, Rainer Maria Rilke, geboren 1875 und gestorben irgendwann in den Zwanzigern, soweit ich mich erinnere.

       Auf einem schmalen Schollenhügel

       Kniet, ganz versteckt im hohen Mohn

       Mit staubigen, gebrochnem Flügel

      Ein Engel aus rohem Ton …“, rezitierte der alte Werbeguru zufrieden, „… war es das, worauf sie anspielten, mein Herr?“

      „Nein, eher auf Rilkes Zeile: Ein jeder Engel ist schrecklich, passt irgendwie besser in ihr Konzept.“

      Der alte Fuchs kicherte, während die Kreativen an seinem Tisch dazu übergingen, das Geschlecht ebendieser Engel zu erörtern.

      "Große Flügel bedürfen großer Titten."