Matthias Krügel

Typ 1


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zu hoch, als dass er sie erreichen könnte. Es ist nicht so, dass er schlecht aussieht oder sehr negative Eigenschaften hat. Aber seine Vorstellungen hinsichtlich seiner Traumfrau sind äußerst ausgeprägt und daher praktisch nicht realisierbar. Falls doch eine Frau seinen Anforderungen entspricht, stößt sein Interesse nicht auf Gegenliebe. Das daraus resultierende Dauersingle-Dasein führt bei ihm zu einer fortdauernden Grundfrustration – und das obwohl er erst Mitte 30 - und damit zehn Jahre jünger ist als David.

      „Was ist passiert?“

      „Noch nichts. Ich meine, es ist etwas passiert, aber noch nichts schiefgelaufen.“

      „Kevin, was ist los?“

      Er presst seine Lippen zusammen, als müsste er seine Worte mit Bedacht wählen. „Ich habe einen Schatz in den Bergen versteckt. Und wenn ich ihn nicht mehr abholen kann, möchte ich, dass Du das für mich machst.“

      „Was für einen Schatz?“

      „Etwas Wichtiges und Wertvolles, für viele Menschen.“

      David schüttelt den Kopf. „Jetzt weiß ich so viel wie vorher.“

      „Es geht im Moment nicht genauer.“

      „Und warum kannst Du ihn vielleicht selbst nicht mehr abholen?“

      Kevin lächelt gequält. „Weil es nicht gehen wird. Ich weiß nicht, ob mein Smartphone bereits überwacht wird. Deshalb habe ich Dich von einer Telefonzelle aus angerufen. So führt keine Spur zu Dir. Unser letztes Gespräch ist drei Wochen her, so fällst Du bestimmt aus dem Raster.“

      „Aus wessen Raster? Dem der Polizei?“

      „Das lässt sich so genau nicht sagen.“

      „Wie jetzt? Muss ich Dir alles aus der Nase ziehen?“

      „Es ist halt besser, wenn Du noch nicht alles weißt.“

      „Da, schon wieder. Jede Antwort wirft neue Fragen auf. Du bist Dir sicher, dass Du zu den Guten gehörst?“

      „Ja, das bin ich.“

      „Und trotzdem gehst Du nicht zur Polizei?“

      „Das sind natürlich die Guten, aber da gehören nicht alle zu den Guten.“

      David atmet einmal tief durch. „Was genau willst Du von mir?“

      „Dass Du mir vertraust.“

      „Kevin, Fakten bitte!“

      „Okay, okay. Schau auf Dein Handy.“ David kramt sein Smartphone aus der Hosentasche. Unter den Benachrichtigungen wird der Eingang einer E-Mail angezeigt. „Ich habe gerade eine E-Mail von Dir bekommen: ‚Hallo David, schöne Grüße, Kevin.‘ Was willst Du mir damit sagen?“

      Kevin lächelt. „Zeitgesteuerte Nachricht. Die E-Mail ist gerade bei Dir eingegangen, obwohl ich neben Dir sitze und nichts mache.“

      „Dein Job als Systemadministrator bietet Dir offenbar viele technische Möglichkeiten und unendlichen Einfallsreichtum.“

      „Na, so einfallsreich ist das nicht. Ich habe E-Mails geschrieben und mit einem späteren Absendedatum versehen. Nichts Besonderes. Ich muss nur regelmäßig das Datum verschieben. Mache ich das nicht, werden nach und nach automatisch E-Mails versendet.“

      „Das heißt, falls Du es nicht mehr verschieben kannst.“

      „Richtig.“

      „Und da steht dann drin, wo ich hin soll und was ich machen soll.“

      „Richtig. Immer Stück für Stück, damit ich es weiterhin aufhalten kann, aber Du auf der anderen Seite keine Zeit verlierst.“

      David steckt sein Smartphone wieder weg. „Und wenn ich von vornherein keine Zeit für dieses Abenteuer habe?“

      „Deine Freundin wird sicher kein Problem damit haben.“

      „Ich habe keine Freundin mehr.“

      „Wie, Du hast keine Freundin mehr? Vor drei Wochen hattest Du noch eine.“

      „Aber seit zwei Wochen nicht mehr.“

      „Wieso?“

      „Sie war es eben nicht, Kevin.“

      „Na, egal. Das macht es einfacher.“ Schnell legt er seinem Freund die Hand auf die Schulter. „Also, es tut mir ja schon leid, dass Du wieder Single bist, aber so hast Du wegen meiner Sache keine Schwierigkeiten. Da ist nur Dein Chef, der seinem Lieblingsingenieur sicher gern eine Pause gönnt.“

      David atmet noch einmal tief durch. Er ist neugierig geworden, keine Frage. Am Fuß des Hügels, wo das Gefälle in die freie Ebene übergeht, kommt von rechts eine Joggerin in sein Sichtfeld. Auch Kevin Schulte wird auf sie aufmerksam. „Schau mal, da unten. Sie hat ein gutes Tempo drauf.“

      „Ja, nicht schlecht, sehr sportlich.“

      „Aber auch nicht mehr die Jüngste. Über 30, würde ich sagen. Oder was meinst Du, David?“

      „Bestimmt.“

      „Über 40?“

      „Möglich.“

      „Und attraktiv.“

      „Kevin, wie willst Du das von hier erkennen?“

      „Na, die Figur ist nicht schlecht. Und sie ist nicht zu klein, sonst würde ihr beim Küssen zu schnell der Nacken wehtun.“

      „Ich kann in solchen Fällen notfalls mit einer Hand den Kopf stützen.“

      „Und schau Dir die Motorik an, David. Sehr sportlich, progressiv. Und doch, sie hat ein hübsches Gesicht, das kann man sehen.“ Die Joggerin verschwindet langsam nach links, Kevin Schulte legt noch einmal nach. „Da Du wieder Single bist, wäre die nichts für Dich?“

      „Die hole ich eh nicht mehr ein.“

      „Auf Dich fahren die Frauen eben mehr ab als auf mich. Mit Deinem südländischen Einschlag schaffst Du es immer wieder.“

      Reflexartig und unterbewusst greift sich David in sein dunkles, lockiges Haar. Darüber reden will er nicht. „Gut, reicht jetzt.“

      „Okay.“ Kevin Schulte kramt einen Umschlag aus seiner Gesäßtasche. „Ich habe etwas, um Dir die Entscheidung zu erleichtern. Hier hast Du 1.000 Euro für eventuelle Auslagen.“

      „1.000 Euro? Wieso soll ich die annehmen?“

      „Wieso nicht? Du kannst mir ja das Geld in zwei, drei Wochen wiedergeben, solltest Du es nicht benötigen. Also, was ist?“

      Er greift nach dem Briefumschlag. „Na gut. Ich denke, dass ich es nicht brauchen werde, und gebe es Dir in Kürze wieder.“

      „David, mein Freund, ich danke Dir. Ich kann mir keinen anderen vorstellen, der das für mich machen könnte.“

      „Vielleicht weil Du keinen anderen kennst, der gerne in den Bergen wandern geht?“

      Kevin Schulte legt eine ernste Miene auf. „Es ist mir wirklich wichtig. Mit allem. Mit dem, was ich gemacht habe. Und was Du für mich bist.“

      „Dann tu mir bitte einen Gefallen: Grenze das Zielgebiet ein.“

      „Allgäuer Alpen.“

      „Und womit hat der Schatz in etwa zu tun?“

      „Mit einer der größten Volkskrankheiten.“

      „Na schön.“ David schaut zum Horizont, der zunehmend dunkler wird. „Gehen wir irgendwohin.“

      „Nein, es ist besser, wenn wir nicht zusammen gesehen werden.“

      „Von wem?“

      Kevin Schulte zuckt als Antwort mit den Schultern und lächelt.

      Währenddessen erreicht jene Joggerin ihr Auto, einen schwarzen Mazda 3. Sie kramt den Autoschlüssel