Conrad H. von Sengbusch

Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936


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Bände mit Berichten von Zeitzeugen heraus, etwa „Deutsche Schicksale um 1945“.

      Die Jugenderinnerungen des Conrad H. von Sengbusch, der selber gerne zur See gefahren wäre, sich jedoch lieber für Frau und Familie entschied, sind als zeitgeschichtliches Zeugnis auch für maritim interessierte Leser aufschlussreich, hatte er doch als Lehrling auf einer Werft in Cuxhaven einen tiefen Einblick in die maritime Welt der frühen fünfziger Jahre. Seine detaillierten Schilderungen der Lebensbedingungen in den Aufbaujahren im geteilten Nachkriegs-Deutschland sind sicher nicht nur für die älteren Leser interessant, die damals Ähnliches erlebten, sondern bilden eine authentische Informationsquelle für geschichtlich Interessierte der nachgeborenen Generationen.

      Hamburg, im August 2004 / 2014 Jürgen Ruszkowski

      Vorwort des Verfassers

      Die Kriegsjahre sind meinem Jahrgang noch gut in der Erinnerung geblieben, und jeder hat sich auf seine Art damit auseinandergesetzt. Je nach Naturell wurde verdrängt oder vergessen, einige machten sich auch Notizen, führten Tagebuch oder gingen in die Literatur ein.

      Unsere Eltern sind nicht mehr unter uns, und die Zeitzeugen, die wirklich noch etwas zur Geschichte beitragen könnten, werden langsam rar. Die geschichtliche Aufbereitung erfolgt heute von Journalisten und Historikern, die als Nachgeborene auf Zweitquellen angewiesen sind, so dass ihre Einschätzung der Ereignisse vermutlich nicht immer optimal sein kann.

      Mein Jahrgang 1936 hat die Geschichte noch persönlich miterlebt, und da wir nun bald an der Schwelle zum siebten Jahrzehnt stehen, ist es an der Zeit, aus der Sicht der Lebenserfahrung einige Begebenheiten aufzuschreiben. Aber wer soll das machen? Auch in meiner Generation gibt es Leute, die sagen „mach mal“, „man könnte, sollte, müsste“ und nur wenige, die es tun!

      Es ist eine Eigenart der heutigen Generation, dass sie sich für die eigene Familiengeschichte kaum interessiert. „Schnee von gestern“ sei das alles. Auf der anderen Seite ist die Familienforschung zu einem großen Thema geworden, besonders in Amerika, so dass man schon im „Internet“ nachlesen kann, wann die Altvorderen Europa den Rücken kehrten, um an neue Ufer aufzubrechen. Hier in Hamburg wird z. Z. eine alte Auswanderer-Schlafhalle und ein Informationszentrum wieder hergerichtet. Man erwartet einen Ansturm von Besuchern aus Übersee und hat auch schon weltweit Sponsoren gefunden, die das Projekt mit finanzieren wollen.

      Meine Aufzeichnungen schließen direkt an die Notizen meines Vaters an und schreiben unsere Familiengeschichte fort. Vielleicht interessieren sie einmal in einer stillen Stunde der Einkehr unsere Enkel oder auch heute noch Gefährten, die einen ähnlichen, steinigen Weg gegangen sind.

      Der vorliegende Band befasst sich mit meinen Jugendjahren, die zwischen 1949 und 1960 liegen. In diesen Jahren wurden die Weichen für meinen Lebensweg gestellt. Waren es wirklich Weichen, die zu einem Ziel führten? Eher war es ein vorgegebener Pfad, dem zu folgen war. Die heutige jüngere Elterngeneration hatte da ganz andere Möglichkeiten. Aber die Einsicht kommt mit dem Älterwerden.

      Die geschilderten Erlebnisse haben einen wahren Hintergrund und sind größtenteils aus dem Gedächtnis nach bestem Wissen und Gewissen niedergeschrieben. Eine Hilfe waren mir meine alten Schulsachen, Berichtshefte und Kollegs, die ich über Jahrzehnte bewahrt habe. Wo es dem Autor wichtig erschien, wurden alle Namen der beteiligten Personen geändert. Meine Freunde und Weggefährten von einst entschieden sich für die verkürzte Wiedergabe ihres Namens. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt. Um eine objektive Darstellung aus meiner Sicht war ich stets bemüht.

      Hamburg, im August 2004 Conrad H. von Sengbusch

      Herkunft – Kindheit zu Beginn der „goldenen“ 1950er Jahre

       Jahrgang ’36

      Ich wurde 1936 in Riga geboren und entstamme einer alten baltischen Familie von Großkaufleuten, Reedern und Fabrikanten, die schon zu Zeiten von „Katharina der Großen“ mit Alexander Gottschalk von Sengbusch das Stadthaupt von Riga stellte.

      Ehemaliges Wohn- und Geschäftshaus der Familie von Sengbusch in Riga – Foto1992

      1939 wurde die Familie nach Konitz in Westpreußen umgesiedelt. 1945 erfolgte die Flucht nach Zeulenroda in Thüringen in das mütterliche Elternhaus.

      In den Jahren 1947 bis 1949 wuchs ich bei meinem Vater in Geesthacht an der Elbe auf.

      Der Autor mit seinem Vater, aufgenommen 1947 in Hamburg.

      Er bekam keine Dänen-Schulspeisung, da 1 kg Übergewicht!

       Ein Tag von „48 Stunden“

      Natürlich gibt es keinen Tag von 48 Stunden, aber es gibt Tage, die einem so lang erscheinen und schlagartig das ganze Leben verändern. Was ich vorher alles erlebt hatte, das waren Kindheitserlebnisse, hier aber war ich an der Schwelle zu den entscheidenden Jugendjahren und damals gerade 13 Jahre!

      Es war im Juni 1949, eine Woche vor Pfingsten. Was lag hinter mir? Zwei Jahre zusammen mit meinem Vater, einer mehr oder weniger strengen Wirtschafterin, neu gewonnenen und auf einen Schlag wieder verlorenen Schulfreunden und der abrupte Abschied von dieser Zeit, die von Hunger, Kälte, Spannungen, Sorgen und der Hoffnung geprägt war, endlich einmal wieder in einer intakten Familie zu leben. Schließlich vermisste ich auch meine Mutter, die ich zwei Jahre nicht mehr gesehen hatte. Die Jahre zu dritt - mein Vater, meine ältere Schwester und ich in einer kleinen unbeheizten Mansarde im Heuweg in Geesthacht – ging nun zu Ende.

      Unsere Eltern hatten sich entschlossen, die Kinderschar in den damaligen unruhigen Zeiten aufzuteilen. Mein Vater lebte bereits seit 1946 in Westdeutschland und hatte hier einen kleinen, bescheidenen Handwerksbetrieb aufgebaut. Und weil meine Schwester und ich aus dem Baltikum gebürtig waren, empfanden es die Eltern als sicherer, uns nach Westdeutschland geben.

      Unser Domizil in Geesthacht – Wohnhaus in Geesthacht-Düneberg, Heuweg. Unser „Zuhause“ (Schlafstelle) war von 1947-49 ein Mansardenzimmer, in dem wir auch im Winter 1947 ohne Heizung „lebten“!

      Als sich die Verhältnisse in Ost und West wieder stabilisierten und die Wirtschafterin die Mitteilung bekam, dass ihr als „gefallen“ gemeldeter Mann aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehre, entschloss sich meine Mutter, uns wieder nach Zeulenroda in ihr großbürgerliches Elternhaus zurückzuholen.

      Ganz plötzlich war sie angereist, und wir Kinder saßen zwischen „Baum und Borke“, sollten sofort packen, und so kam es dann auch. Wir wurden gar nicht gefragt, sondern erlebten das Spannungsfeld zwischen meinen Eltern hautnah mit. Aber es kam noch viel besser:

      Mit dem Zug ging es gleich am nächsten Morgen zu der Verwandtschaft in die Rhön. Diese Familie hatte nichts verloren und lebte in einem Forsthaus inmitten des Reviers Wasserkuppe. Es gab hier alles, was man bei wohlhabenden Leuten erwartete: Ein eigenes Jagd- und Fischrevier, Reitpferde, Zugpferde, etwas Landwirtschaft und ergebenes Gesinde. Dennoch und trotz alles Reichtums habe ich diese Familie nie glücklich erlebt. Hass, Zwietracht und Verachtung für die angeheiratete und „verarmte Verwandtschaft aus dem Osten“, waren hier die Grundeinstellung des Denkens und Handelns. Das große Anwesen wurde von Tante M. straff geführt. Sie war das Abbild einer Tante, wie sie nicht sein soll und vor der sich Kinder fürchten: Ein schmales, blasses, blutleeres Gesicht, eine lange, dünne Nase, ein verbissener, kleiner Mund – wie ein Strich